Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Resonanz auf mein letztes Editorial „Warum Ihre Stimme zählt“ war überwältigend. Zahlreiche Zuschriften erreichten mich, voll von Frustration, Sorge, aber auch Kampfgeist. Viele von Ihnen teilten ihre persönlichen Erfahrungen mit – von jungen Architektinnen, die trotz Leidenschaft für den Beruf erwägen, die Branche zu verlassen, bis hin zu erfahrenen Kollegen, die um das Überleben ihrer Büros kämpfen. Diese Reaktionen bestärken mich in der Überzeugung: Die Lage unseres Berufsstands kann man als kritischer bezeichnen.
Ein Kollege schrieb: „Wir arbeiten mehr, tragen mehr Verantwortung, aber verdienen weniger. Wie lange können wir das noch durchhalten?“ Eine andere Stimme mahnte: „Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es bald keine unabhängige Architektur mehr geben.“ wieder ein anderer meint “wir müssen uns besser organisieren und sollten nicht auf die Kammern warten sondern heute aktiv werden. Es geht um nichts weniger, als um die Zukunft unseren gesamten Berufsstand”. Diese Worte treffen den Kern unserer aktuellen Situation und sind Anlass für diesen dringenden Aufruf.
Als Architekt mit vier Jahrzehnten Berufserfahrung sehe ich unseren Stand heute an einem Wendepunkt. Die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, sind nicht mehr nur fachlicher Natur – sie bedrohen die Grundlagen unserer Profession und damit die Qualität der gebauten Umwelt.
Der Wegfall einklagbarer Mindestsätze in der HOAI hat einen ruinösen Preiswettbewerb entfacht. Vor allem Architekten und Architektinnen mit kleinen und mittleren Büros sehen sich gezwungen, Aufträge zu Honorarenanzunehmen, die weder die Komplexität der Aufgaben noch das damit verbundene Risiko angemessen abbilden. Diese Entwicklung ist alarmierend. Wie sollen wir qualitativ hochwertige Architektur liefern, wenn die finanziellen Mittel dafür nicht zur Verfügung stehen?
Besonders besorgniserregend ist die fehlende Anpassung der Honorare an die geänderten Anforderungen und die Inflation. Während die Komplexität unserer Arbeit durch neue Vorschriften, technologische Entwicklungen und höhere Nachhaltigkeitsstandards stetig zunimmt, stagnieren unsere Honorare oder sinken sogar. Die Inflation frisst zusätzlich an unserer Vergütung, ohne dass dies in den Honorarordnungen berücksichtigt wird. Diese Schere zwischen Leistung und Vergütung öffnet sich immer weiter und gefährdet die wirtschaftliche Basis vieler Architekturbüros. Eine regelmäßige, an den Lebenshaltungskosten orientierte Anpassung der Honorare ist dringend erforderlich, um die Qualität und Zukunftsfähigkeit unserer Arbeit zu sichern.
Gleichzeitig lastet auf uns eine gesamtschuldnerische Haftung, die in keinem Verhältnis zu unserem Einfluss auf den Bauprozess steht. Planerinnen haften für Fehler von Handwerkern, auf deren Auswahl sie oft keinen Einfluss haben. Dieses Missverhältnis zwischen Verantwortung und Kontrolle ist nicht nur unfair, sondern auch existenzbedrohendfür viele Büros.
Die Konsequenzen dieser Entwicklungen sind gravierend. Junge Talente wenden sich ab, da sie in anderen Branchen bessere Bedingungen vorfinden. Etablierte und hier vor allem kleinere Büros kämpfen ums Überleben und sehen sich gezwungen, Kompromisse bei der Qualität einzugehen. Die Baukultur, einst Aushängeschild unserer Gesellschaft, droht zu verkümmern.
Doch wir dürfen nicht resignieren. Es liegt an uns, gemeinsam für bessere Rahmenbedingungen zu kämpfen. Unsere Berufsverbände und Kammern müssen sich vehementer für eine Reform der HOAI und eine Neuordnung der Haftungsregelungen einsetzen. Wir brauchen eine breite öffentliche Debatte über den Wert guter Architektur und die Bedingungen, unter denen sie entstehen kann.
An dieser Stelle sind wir alle gefordert: Es ist unsere Aufgabe mit oder ohne Architektenverbänden und unsere Vertreterinnen und Vertreter des Berufsstands in den Architektenkammern, die Verantwortlichen zum Handeln zu zwingen. Zu lange haben wir zugesehen, wie unsere Interessen vernachlässigt wurden. Jetzt ist es an der Zeit, aktiv Einfluss zu nehmen, sei es durch verstärktes Engagement in den Gremien, durch öffentlichkeitswirksame Aktionenoder durch gezieltes Lobbying bei politischen Entscheidungsträgern. Nur wenn wir unsere Stimme erheben und unsere Forderungen mit Nachdruck vertreten, können wir die dringend notwendigen Veränderungen herbeiführen.
Zugleich sind wir als Architektinnen und Architekten gefordert, neue Wege zu gehen. Kooperationen und interdisziplinäre Zusammenarbeit können helfen, Risiken zu verteilen und Ressourcen zu bündeln. Digitale Technologien bieten Chancen zur Effizienzsteigerung – nutzen wir sie klug, ohne dabei die gestalterische Qualität aus den Augen zu verlieren.
Die Herausforderungen unserer Zeit – Klimawandel, Ressourcenknappheit, demografischer Wandel – erfordern mehr denn je innovative architektonische Lösungen. Doch diese können nur entstehen, wenn wir als Berufsstand die notwendigen Rahmenbedingungen dafür schaffen können.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass Architektur auch in Zukunft mehr ist als das bloße Erfüllen von Normen und das Minimieren von Kosten. Unsere Aufgabe ist es, Räume zu schaffen, die Menschen inspirieren, die nachhaltigund zukunftsfähig sind. Dies erfordert Zeit, Kreativität und ein faires, angemessenes Honorar.
Es ist an der Zeit, dass wir uns Gehör verschaffen – bei Auftraggebern, in der Politik und in der Gesellschaft. Nur so können wir sicherstellen, dass auch kommende Generationen von Architektinnen und Architekten ihren Beruf mit Leidenschaft und Verantwortung ausüben können.
Doch um wirklich etwas zu bewegen, brauchen es Ihre Stimme und Ihr Engagement. Ich rufe Sie daher auf:
- Teilen Sie Ihre Erfahrungen: Wie erleben Sie die aktuelle Situation in Ihrem Berufsalltag? Welche konkreten Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Honorargestaltung, der Haftung oder der Qualitätssicherung?
- Entwickeln von Lösungsvorschläge: Welche Ideen haben Sie, um auskömmliche Arbeitsbedingungen für unseren Berufsstand zu schaffen? Wie können wir die HOAI reformieren, die Haftungsregelungen anpassen oder die öffentliche Wahrnehmung unserer Arbeit verbessern?
- Beteiligen Sie sich aktiv: Engagieren Sie sich in Ihren lokalen Architektenkammern, Berufsverbänden oder initiieren Sie Diskussionsrunden mit Kolleginnen und Kollegen. Jede Stimme zählt, jede Idee kann der Funke sein, der Veränderung entfacht.
- Vernetzen Sie sich: Nutzen Sie soziale Medien, Fachforen oder regionale Treffen, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und gemeinsame Strategien zu entwickeln.
Dies ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn der Leidensdruck groß genug ist und die Notwendigkeit handeln zu müssen sich in aktivem Engagement sichtbar wird.
Lassen Sie uns Ihre Beiträge, Ideen und Vorschläge sammeln und bündeln. Schreiben Sie an ZukunftArchitektur@baukunst.art oder nutzen Sie den Hashtag #ZukunftArchitektur in den sozialen Medien. Wir werden die eingegangenen Beiträge, die Reaktionen in den sozialen Medien unter dem #ZukunftArchitektur und andere Reaktionen sammeln und auch auf unserer Homepage über das Ergebnis dieses Meinungsbilds berichten.
Gemeinsam können wir einen Weg finden, der es uns ermöglicht, weiterhin qualitativ hochwertige Architektur zu schaffen, die nicht nur baut, sondern gestaltet, die nicht nur unterbringt, sondern Lebensqualität schafft. Die Zukunft der Baukultur liegt in unseren Händen – ergreifen wir diese Verantwortung mit Entschlossenheit und Mut.
Ich freue mich auf Ihre Rückmeldungen und den gemeinsamen Diskurs.
Mit herzlichen Grüßen,
Ihr
Stuart Stadler
Architekt