Baukunst - Vom Schandfleck zum Schmuckstück: Mattersburgs vorbildliche Denkmalrettung
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Vom Schandfleck zum Schmuckstück: Mattersburgs vorbildliche Denkmalrettung

27.07.2025
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Ignatz Wrobel

Von der Abrissbirne zum Betonpreis – eine burgenländische Erfolgsgeschichte

Das Kulturzentrum Mattersburg schreibt Geschichte. Nicht zum ersten Mal, aber diesmal mit besonderem Nachdruck: Der Betonkoloss aus den 1970er Jahren, einst vom Abriss bedroht, wurde beim Österreichischen Betonpreis 2025 als Sieger in der Kategorie Revitalisierung ausgezeichnet. Eine Würdigung, die weit über die Landesgrenzen des Burgenlands hinaus Signalwirkung hat.

Als Herwig Udo Graf zwischen 1973 und 1976 das erste burgenländische Kulturzentrum entwarf, schuf er mehr als nur einen Veranstaltungsort. Er manifestierte den politischen Willen einer ganzen Landesregierung in Beton. Die Kulturoffensive unter Landeshauptmann Theodor Kery und Kulturrat Gerald Mader sollte das östlichste Bundesland aus seinem kulturellen Dornröschenschlaf wecken. Der markante Sichtbetonbau wurde zum architektonischen Ausrufezeichen dieser Ambition.

Bürgerinitiative gegen Bagger

Fast vier Jahrzehnte später stand genau dieses Wahrzeichen vor dem Aus. 2014 diskutierten Verantwortliche den Abriss des sanierungsbedürftigen Gebäudes. Kostengründe, veränderte Nutzungsanforderungen und die generelle Geringschätzung brutalistischer Architektur schienen das Schicksal des Kulturzentrums zu besiegeln. Doch dann formierte sich Widerstand: Die überparteiliche Initiative “Rettet das Kulturzentrum Mattersburg” mobilisierte die Bevölkerung. Unterschriftenlisten kursierten, Diskussionsveranstaltungen fanden statt, und plötzlich wurde aus einem vermeintlichen Betonklotz ein identitätsstiftendes Bauwerk.

Die Bürgerbewegung erreichte, was in der Architekturgeschichte selten gelingt: einen echten Dialog zwischen Politik, Nutzern und Bevölkerung. Statt Abriss folgte ein Architekturwettbewerb mit klarem Auftrag: Die wesentlichen Merkmale des Brutalismus-Baus sollten erhalten, gleichzeitig aber ein zukunftsfähiges Kulturzentrum geschaffen werden.

Restrukturierung statt Tabula rasa

2016 ging HOLODECK architects aus Wien als Sieger aus dem Wettbewerb hervor. Ihr Konzept überzeugte durch sensiblen Umgang mit der Bestandssubstanz bei gleichzeitiger mutiger Weiterentwicklung. Die skulpturalen Sichtbetonelemente des Veranstaltungssaals blieben ebenso erhalten wie die charakteristischen Waschbetonplatten des Nordtrakts. Doch statt musealer Konservierung wagten die Architekten den Dialog: Ein neuer Veranstaltungssaal in warmtonigem Sichtbeton tritt dem Brutalismus-Veteranen gegenüber, verbunden durch ein gläsernes Foyer als räumliches Gelenk.

Die fünfjährige Planungs- und Bauphase von 2016 bis 2021 glich einer architektonischen Gratwanderung. In enger Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt galt es, die Balance zwischen Erhalt und Erneuerung zu finden. Das Ergebnis: 4.750 Quadratmeter multifunktionale Kulturfläche, die Landesarchiv, Landesbibliothek, Literaturhaus, Volkshochschule, Ausstellungsräume und Gastronomie unter einem Dach vereint. Der große Veranstaltungssaal fasst bei Theaterbestuhlung 410 Personen, das Literaturhaus bietet Raum für intimere Lesungen mit bis zu 70 Gästen.

Landesspezifische Herausforderungen

Die Transformation des Kulturzentrums spiegelt burgenländische Besonderheiten wider. Als strukturschwaches Bundesland mit disperser Siedlungsstruktur stehen kulturelle Leuchtturmprojekte vor besonderen Herausforderungen. Die Landesregierung erkannte die Bedeutung des Projekts und unterstützte es als exemplarisches “Sanieren und Weiterbauen von denkmalgeschützter Architektur der 70er Jahre”. Diese Förderphilosophie unterscheidet sich deutlich von anderen Bundesländern, wo brutalistische Bauten oft noch immer als Schandflecke gelten.

Besonders bemerkenswert ist die Integration neuer Funktionen: Landesarchiv und Landesbibliothek fanden im erweiterten Kulturzentrum eine neue Heimat. Diese Bündelung landeseigener Kulturinstitutionen an einem Standort folgt einer spezifisch burgenländischen Raumordnungslogik, die in einem Flächenbundesland mit geringer Bevölkerungsdichte Synergien schaffen muss.

Betonpreis als Bestätigung

Die Auszeichnung mit dem Österreichischen Betonpreis 2025 krönt nicht nur ein gelungenes Einzelprojekt. “Die Sanierung des Brutalismus-Baus aus dem Jahr 1976, dessen Abriss bereits zur Diskussion stand, erfolgte mit großer Sorgfalt und Respekt vor der ursprünglichen architektonischen Sprache”, begründete Juryvorsitzende Anja Fischer die Entscheidung. Der hinzugefügte Neubau trete in einen gleichwertigen Dialog mit dem Hauptgebäude und zeuge von zeitgemäßem, nachhaltigem Anspruch.

Diese Würdigung hat Signalcharakter für den Umgang mit der Nachkriegsmoderne in Österreich. Während in Wien oder Graz brutalistische Ikonen längst Kultstatus genießen, kämpfen Bauten in den Bundesländern oft noch um Anerkennung. Das Mattersburger Beispiel zeigt: Regionale Baukultur der 1970er Jahre verdient nicht nur Respekt, sondern kann durch intelligente Transformation neue Relevanz gewinnen.

Modellcharakter für Österreich

Was in Mattersburg gelang, könnte Schule machen. Die erfolgreiche Rettung und Revitalisierung des Kulturzentrums demonstriert, dass Bürgerbeteiligung, politischer Wille und architektonische Expertise gemeinsam Berge – oder in diesem Fall Betonkolosse – versetzen können. Für andere burgenländische Gemeinden mit ähnlichen Herausforderungen bietet das Projekt wertvolle Lehren: Der charakteristische Sichtbeton der Gemeindebauten in Eisenstadt, die brutalistischen Wohnanlagen in Oberwart oder das umstrittene Amtsgebäude in Güssing könnten von ähnlichen Transformationsprozessen profitieren.

Die Landesbauordnung des Burgenlandes, die 2019 novelliert wurde, trägt diesem neuen Bewusstsein bereits Rechnung. Explizit werden nun “baukulturell wertvolle Ensembles” geschützt – eine Formulierung, die auch die Architektur der Nachkriegsmoderne einschließt.

Ausblick

Das Kulturzentrum Mattersburg steht heute besser da als je zuvor. Die Nutzerinnen und Nutzer haben das sanierte Gebäude begeistert angenommen, die Veranstaltungszahlen steigen kontinuierlich. Barbara Mayer, Leiterin des Literaturhauses, schwärmt von den neuen räumlichen Möglichkeiten und der Verbindung von Innen- und Außenraum.

Der Betonpreis 2025 ist dabei mehr als eine Auszeichnung – er ist eine Bestätigung für alle, die sich für den Erhalt eingesetzt haben. Von der Bürgerinitiative über die Landespolitik bis zu den Architekten bewiesen alle Beteiligten: Brutalismus im Burgenland muss kein Abrisskandidat sein. Er kann, richtig transformiert, zur Ikone werden. Eine Ikone, die nicht nur von gestern erzählt, sondern auch für morgen taugt.