
Salzburg im Wandel: Zwischen Verkehrswende und Wohnbaunovelle
Die Stadt Mozart wird radikal neu gedacht. Was nach dem gescheiterten S-Link-Projekt wie ein planungspolitischer Offenbarungseid aussah, entpuppt sich als Chance für eine umfassende Transformation. Salzburg wagt den großen Wurf: eine Verkehrswende, die den Autoverkehr auf 20 Prozent reduzieren soll, gepaart mit einer völlig neu konzipierten Wohnbauförderung. Ein Laboratorium für postfossile Stadtentwicklung – oder doch nur salzburgerische Selbstüberschätzung?
Die große Verkehrswende: Modal Split als Identitätsfrage
Nach dem Aus des S-Links, der unterirdischen Durchbindung der Salzburger Lokalbahn bis nach Hallein, erarbeitet die Stadt einen neuen langfristigen Mobilitätsplan 2040. Das Ziel ist es, bis dahin den Modal Split zu 80 Prozent auf den Umweltverbund, also Öffis, Fahrräder und Zufußgehen, zu verlagern. Nur noch 20 Prozent der Menschen sollen dann mit dem eigenen Auto unterwegs sein. Eine bemerkenswerte Zielsetzung für eine Stadt, die ihre Identität über Jahrhunderte aus der Spannung zwischen Weltoffenheit und kleinbürgerlicher Gemütlichkeit bezog.
Das Neutor, der Einfahrtstunnel in die Salzburger Altstadt, wird auch nach Ende der Festspielbaustelle für den Durchzugsverkehr gesperrt bleiben. Die Verkehrsberuhigung für die Innenstadt hat die rot-rot-grüne Stadtregierung am Donnerstag mit einer Mehrheit im Planungsausschuss beschlossen. Was zunächst als temporäre Baustellenmaßnahme begann, wird zur dauerhaften Neuordnung des städtischen Raums. Der Herbert-von-Karajan-Platz mutiert zur Begegnungszone – eine symbolische Geste, die zeigt, wie sich Salzburg von seiner automobilen Vergangenheit verabschiedet.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Zwischen 2012 und 2022 sank der Anteil des motorisierten Individualverkehrs von 44 Prozent auf 37 Prozent. Sieben Prozentpunkte in einem Jahrzehnt – das klingt nach einem kontinuierlichen Wandel. Doch der große Sprung auf 20 Prozent bis 2040 bedeutet eine Halbierung des verbleibenden Autoverkehrs. Eine städtebauliche Revolution, die weit über verkehrstechnische Fragen hinausreicht.
Wohnbauförderung 2025: Salzburger Pragmatismus neu justiert
Parallel zur Verkehrswende revolutioniert das Land seine Wohnbaupolitik. Das Salzburger Wohnbauförderungsgesetz 2025 wurde in der Landtagssitzung vom 18.12.2024 beschlossen. Aus Bankensicht ist eine entscheidende Neuerung, dass neben dem nicht rückzahlbaren Einmalzuschuss, ein rückzahlbarer unverzinster Annuitätenzuschuss im Ausmaß von max. Euro 500 pro Monat gewährt wird. Eine bemerkenswerte Weiterentwicklung, die zeigt, wie sich regionale Wohnbaupolitik an veränderte Finanzierungsrealitäten anpasst.
Einfacheres Fördersystem für den Mietwohnungsbau mit einem fixen Förderbetrag von 2.520 Euro pro Quadratmeter für gemeinnützige Wohnbauträger. Neue Einkommensgrenzen, die mehr Menschen den Zugang zu geförderten Mietwohnungen ermöglichen. Bis zu 80.000 Euro Kaufförderung für den Erwerb von Wohnung oder Haus, je nach Familienkonstellation. Was auf den ersten Blick wie technische Justierungen wirkt, ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel: weg von komplexen Punktesystemen, hin zu kalkulierbaren Rahmenbedingungen.
Besonders bemerkenswert ist die Einführung des „Mietkauf 2.0″-Modells. Während das ursprüngliche Mietkaufkonzept oft an starren Bestimmungen scheiterte, setzt die neue Salzburger Variante auf Flexibilität. Ein Ansatz, der zeigen könnte, wie regionale Wohnbaupolitik jenseits ideologischer Grabenkämpfe funktionieren kann.
Das Paradox der geförderten Eigentumswohnung
Doch nicht alles läuft rund im Salzburger Wohnungslabor. Die insgesamt 120 geförderten Eigentumswohnungen des Projekts „Gnice“ im Salzburger Stadtteil Gneis drohten zum Ladenhüter zu werden – dabei kosteten sie nur die Hälfte des dort üblichen Quadratmeterpreises. Ein Phänomen, das auf den ersten Blick paradox erscheint: Warum bleiben günstige Wohnungen unverkauft?
Die Antwort liegt in den Vergabebestimmungen. Wer einmal die Berechtigung für eine geförderte Eigentumswohnung erhalten hat, ist oft jahrelang an strenge Auflagen gebunden. Hauptwohnsitzpflicht, Weiterverkaufsbeschränkungen, bürokratische Hürden – die versteckten Kosten der Förderung können den nominellen Preisvorteil schnell aufzehren. Ein Lehrstück darüber, wie gut gemeinte regionale Politik an der Realität ihrer Zielgruppen vorbeischrammen kann.
Baukultur zwischen Innovation und Tradition
Fernab der großen politischen Würfe entstehen auch architektonische Perlen. Ein zweites Leben hat in Maishofen in Salzburg nicht nur eine alte Busgarage bekommen, sondern auch diverse Materialien, die beim Umbau wieder zum Einsatz kommen durften, etwa Fliesen und Zirbenholz. Das zum „Best Workspace“ ausgezeichnete Projekt zeigt, wie regionale Baukultur zwischen Recycling-Ethik und alpiner Materialästhetik navigieren kann.
Solche Projekte sind nicht nur architektonische Statements, sondern auch Antworten auf regionale Herausforderungen. In einem Bundesland, wo Bauland knapp und die Landschaft sensibel ist, gewinnt die Umnutzung bestehender Strukturen strategische Bedeutung. Die Busgarage in Maishofen wird zum Symbol für eine Baukultur, die Ressourcenschonung mit regionaler Identität verknüpft.
Salzburger Bauordnung: Zwischen Welterbe und Modernisierung
Bebauungspläne der Aufbaustufe werden nur in Anlassfällen bei Bauvorhaben mit einer Gesamtgeschoßfläche von mehr als 2.000 m² oder einer Baumasse von mehr als 7.000 m³ bzw. im Gewerbegebiet ab einer Baumasse von mehr als 15.000 m³ erstellt – so die nüchterne Sprache der Salzburger Planungspraxis. Doch hinter diesen Paragraphen verbirgt sich ein komplexes Spannungsfeld.
Das 1967 verabschiedete Altstadterhaltungsgesetz und der UNESCO-Welterbestatus von 1996 haben Salzburg zu einem planungsrechtlichen Sonderfall gemacht. Salzburgs Innenstadt ist seit 1967 durch ein Landesgesetz, das Altstadterhaltungsgesetz, geschützt, und seit 1996 UNESCO-Welterbe (Historisches Zentrum der Stadt Salzburg), besonders um seines dominant barocken Stadtbildes willen. Eine architektonische Käseglocke, die gleichzeitig Schutz und Beschränkung bedeutet.
1983 begann, initiiert von Stadtrat Johannes Voggenhuber, eine Architekturreform, hin zu zeitgenössischem Bauen, nachdem Salzburg durch die Wohnungsnot der Nachkriegszeit städteplanerisch unkontrolliert gewachsen war. Diese Reform wirkt bis heute nach. Sie zeigt, wie regionale Baukultur zwischen Denkmalschutz-Orthodoxie und zeitgenössischen Anforderungen navigieren kann, ohne ihre Identität zu verlieren.
Der Gestaltungsbeirat: Salzburger Planungskultur im Wandel
Dem 1983 ins Leben gerufenen Gestaltungsbeirat der Stadt Salzburg obliegt die Begutachtung von Bebauungsplänen der Aufbaustufe und Großprojekten. Ausgenommen ist nur der Bereich der Altstadtschutzzone. Das unabhängige Expertengremium besteht aus Fachleuten aus den Bereichen Architektur, Stadtplanung und Landschaftsplanung und wird vom Gemeinderat für jeweils 3 Jahre bestellt.
Doch die Salzburger Planungskultur steht vor neuen Herausforderungen. Die aktuell in Salzburg üblichen „Bürgerbeteiligungen sind im Wesentlichen Bürgerinformationen“, kritisiert die Initiative Um+Bau+Kultur. Ein Befund, der zeigt, wie schwer sich etablierte Planungskulturen mit partizipativen Ansätzen tun – gerade in einer Stadt, die ihre Identität über Jahrhunderte aus der Spannung zwischen Bürgerstolz und obrigkeitlicher Lenkung bezog.
Klimawandel als regionaler Planungsauftrag
Die neue Salzburger Wohnbauförderung setzt konsequent auf Nachhaltigkeit. Bei der Förderung von Neubauten wird der Einsatz eines hocheffizienten Energiesystems vorausgesetzt und die definierten Energiekennzahlen (LEKT Wert max. eingehalten werden müssen. Was in anderen Bundesländern noch diskutiert wird, ist in Salzburg bereits Fördervoraussetzung.
Verbesserung des baulichen Wärmeschutzes (Dämmung von Außenwände, obersten Geschossdecken, Dachschrägen, Kellerdecken, Fenster) Errichtung oder Erneuerung von Wärmebereitstellungsanlagen (Biomasseheizungen, Fernwärme, Wärmepumpen) Thermische Solaranlagen und Photovoltaikanlagen zur Energiegewinnung werden prioritär gefördert. Ein klares Signal, dass regionale Förderpolitik als Instrument der Klimapolitik begriffen wird.
Regionalität als Planungsprinzip
Die Salzburger Entwicklungen zeigen exemplarisch, wie regionale Besonderheiten zu innovativen Lösungsansätzen führen können. Die Kompaktheit der Stadt, die Sensibilität der Landschaft, der Tourismusdruck – all diese Faktoren zwingen zu kreativen Antworten. Was als regionale Beschränkung beginnt, wird zur Quelle planerischer Innovation.
Es wird in der Bauordnung besonderer Wert auf Energieeffizienz und Umweltschutz gelegt. Die Bauordnung enthält Vorschriften, die darauf abzielen, den Energieverbrauch von Gebäuden zu minimieren und die Umweltauswirkungen von Bauprojekten zu reduzieren. Die Salzburger Bauordnung wird damit zum Modellfall für eine Gesetzgebung, die ökologische Nachhaltigkeit nicht als Zusatzanforderung, sondern als Grundprinzip versteht.
Ausblick: Salzburg als Modellregion?
Die Salzburger Experimente sind noch lange nicht abgeschlossen. Die Verkehrswende bis 2040 bleibt ein ambitioniertes Ziel, dessen Umsetzung erst beweisen muss, ob sie mehr ist als planerischer Voluntarismus. Die neue Wohnbauförderung steht vor der Bewährungsprobe der Praxis. Und die Balance zwischen Welterbe-Schutz und zeitgemäßer Stadtentwicklung bleibt eine Daueraufgabe.
Doch eines ist bereits jetzt erkennbar: Salzburg demonstriert, wie regionale Planungskultur auf globale Herausforderungen reagieren kann, ohne ihre Eigenart zu verlieren. Eine Stadt, die sich nicht zwischen Tradition und Innovation entscheiden muss, sondern beide produktiv miteinander verknüpft. Das könnte durchaus Modellcharakter haben – nicht nur für andere Tourismusstädte, sondern für alle Regionen, die vor der Aufgabe stehen, ihre gewachsenen Strukturen klimafit und zukunftstauglich zu machen.

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