Baukunst-Architektur am Abgrund: Nachwuchs zwischen Burnout und Aufbruch
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Architektur am Abgrund: Nachwuchs zwischen Burnout und Aufbruch

15.10.2024
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stu.ART

Alarmierende Signale aus dem Fundament: Der nexture+ Nachwuchsreport 2023/24

In der Welt der Architektur und Planung herrscht Unruhe. Der kürzlich veröffentlichte nexture+ Nachwuchsreport 2023/24 zeichnet ein beunruhigendes Bild der Situation junger Architektinnen und Architekten, Innenarchitektinnen und Innenarchitekten, Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten sowie Stadt- und Raumplanerinnen und -planer in Deutschland. Die Ergebnisse dieser umfassenden Umfrage unter 815 Teilnehmenden werfen ein Schlaglicht auf die Arbeitsbedingungen, Gehälter und Zukunftsperspektiven des Nachwuchses in der Baubranche.

Zwischen Traum und Wirklichkeit

Die Architektur gilt nach wie vor als kreativer Beruf mit hoher gesellschaftlicher Relevanz. Doch die Realität des Berufsalltags scheint für viele Berufseinsteiger ernüchternd. Obwohl 71% der Architektinnen und Architekten ihren Beruf immer noch als Traumberuf bezeichnen, spielen 76% mit dem Gedanken, ihren Arbeitsplatz in naher Zukunft zu wechseln. Diese Diskrepanz zwischen Idealvorstellung und Wirklichkeit ist alarmierend und deutet auf tiefer liegende Probleme hin.

Prekäre Arbeitsbedingungen als Normalzustand

Ein Hauptgrund für die Unzufriedenheit sind die oft prekären Arbeitsbedingungen. 54% der Berufseinsteigenden leisten regelmäßig Überstunden, im Durchschnitt 4,3 Stunden pro Woche. Besonders bedenklich: 79,5% dieser Mehrarbeit bleibt unbezahlt. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt bei alarmierenden 42,4 Stunden. Diese Zahlen offenbaren eine Arbeitskultur, die auf der Ausbeutung junger Talente basiert und langfristig nicht tragfähig ist.

Gehaltsrealität vs. Lebenshaltungskosten

Die Gehälter im Architektursektor bleiben hinter den Erwartungen zurück. Mit einem durchschnittlichen Einstiegsgehalt von 39.000 Euro brutto pro Jahr für Masterabsolventinnen und -absolventen liegt die Branche deutlich unter vergleichbaren kreativen und technischen Berufen. Angesichts steigender Lebenshaltungskosten in urbanen Zentren, wo die meisten Architekturbüros angesiedelt sind, ist es wenig verwunderlich, dass 52% der Befragten mit ihrem Einstiegsgehalt unzufrieden sind.

Fehlende Perspektiven und mangelnde Unterstützung

Die Umfrage zeigt auch strukturelle Probleme auf: 63% der Befragten sehen in ihrem jetzigen Unternehmen keine guten Aufstiegschancen. Die fehlende Unterstützung beim Kammerbeitritt und bei der beruflichen Weiterentwicklung verstärkt das Gefühl der Stagnation. Hier sind sowohl die Arbeitgeber als auch die Architektenkammern gefordert, attraktivere Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen.

Diskriminierung und toxische Arbeitskultur

Besorgniserregend ist auch, dass sich 17% der Befragten am Arbeitsplatz diskriminiert fühlen. Sexistische Kommentare, unfaire Aufgabenverteilung und Benachteiligung aufgrund von Migrationshintergrund oder Sprachfehlern sind keine Einzelfälle. Eine solche Arbeitskultur ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern schadet auch der Innovationskraft und Attraktivität der Branche.

Lichtblicke und Handlungsansätze

Trotz der düsteren Gesamtsituation gibt es auch positive Aspekte: 56% der Befragten sind insgesamt mit ihrer Arbeit glücklich. Dies zeigt, dass die Leidenschaft für den Beruf nach wie vor vorhanden ist. Um diese zu erhalten und zu fördern, sind jedoch dringende Reformen notwendig.

Architekturbüros müssen ihre Arbeitskultur überdenken und faire Bedingungen schaffen. Dazu gehören angemessene Vergütung, klare Überstundenregelungen und transparente Karrierewege. Die Architektenkammern sind gefordert, den Berufseinstieg zu erleichtern und als echte Interessenvertretung auch für den Nachwuchs zu agieren.

Bildungseinrichtungen sollten ihre Curricula an die Realität des Berufsalltags anpassen. Praxisnahe Ausbildung in Bereichen wie Projektmanagement, Baurecht und digitale Technologien kann die Absolventen besser auf die Herausforderungen vorbereiten.

Fazit: Ein Weckruf für die Branche

Der nexture+ Nachwuchsreport 2023/24 ist ein deutlicher Weckruf an die gesamte Architekturbranche. Die Diskrepanz zwischen dem Image des kreativen Traumberufs und der oft ernüchternden Realität muss dringend adressiert werden. Nur wenn es gelingt, faire und attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen, kann die Branche im Wettbewerb um die besten Talente bestehen und ihre wichtige gesellschaftliche Rolle auch in Zukunft erfüllen.

Die Architektur steht vor großen Herausforderungen – vom Klimawandel bis zur Digitalisierung. Um diese zu meistern, braucht es motivierte und gut ausgebildete Nachwuchskräfte. Der Bericht zeigt deutlich: Es ist höchste Zeit zu handeln, um den Beruf zukunftsfähig zu gestalten und seine Attraktivität wiederherzustellen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die nächste Generation von Architektinnen und Architekten nicht nur von einem Traumberuf träumt, sondern ihn auch lebt.