Baukunst-Architektur für alle: Wie Débora Mesa Molina das Wohnungsproblem lösen könnte
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Architektur für alle: Wie Débora Mesa Molina das Wohnungsproblem lösen könnte

25.02.2025
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Berthold Bürger

Grenzgänge der Architektur: Débora Mesa Molina an der ETH Zürich

Die Neuberufene an der ETH Zürich will mit ihrer Mischung aus grenzenlosem Denken und praktischer Erfahrung die Architektur neu erfinden – und nebenbei ein altes Problem lösen.

Von der Fabrik ins Klassenzimmer

Die frisch ernannte Professorin für Architektur, Kunst und Technologie Débora Mesa Molina bringt einen ungewöhnlichen Ansatz an die ETH Zürich: Für sie beginnt Architektur nicht am Reißbrett, sondern mit dem Machen. Eine Überzeugung, die sie bereits als Gründerin des Ensamble Studios und des Start-ups WoHo in die Praxis umgesetzt hat. „In unserem experimentellen Büro nehmen wir uns die Zeit, Themen zu recherchieren, die wir für dringend halten, und unsere eigenen Projekte zu bauen“, erklärt die spanische Architektin. „Unser Büro hat sich zu einer Fabrik entwickelt.“

Diese Fabrik-Mentalität spiegelt eine fundamentale Philosophie wider, die Mesa Molina an die ETH mitnimmt: Architektinnen und Architekten müssen wieder zu Machern werden. Sie selbst lernte ihren Beruf nicht nur durch Theorie, sondern durch praktische Erfahrungen in Fabriken und auf Baustellen – etwa 2006, als sie mit Steinbruchfachleuten eine monumentale strukturelle Mauer aus übrig gebliebenen Steinen für die SGAE-Zentrale in Santiago de Compostela errichtete.

Das Schlüsselproblem des Wohnens

Mesa Molinas Karriere kreist um ein zentrales Problem: Wie kann Architektur von hoher Qualität gleichzeitig erschwinglich und nachhaltig sein? Die Antwort sieht sie in der industriellen Vorfertigung – allerdings nicht als kalte, monotone Massenproduktion, sondern als kreative, anpassungsfähige Systemlösung.

Mit ihrem 2020 gegründeten Start-up WoHo (kurz für World Homes) hat sie eine solche Lösung entwickelt: ein modulares System aus vier Kernkomponenten – Decke, Wand, Küche/Bad und Fenster. „Das Ziel ist es, Qualität, Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen und den Bauprozess viel schlanker zu gestalten“, beschreibt Mesa Molina ihr Konzept.

Das System gleicht einem architektonischen Lego-Baukasten, der weltweit einsetzbar sein soll. Durch geschickte Materialkombinationen – CO₂-armer Beton trifft auf Brettsperrholz – können sowohl niedrige als auch hohe Gebäude mit denselben Grundelementen errichtet werden. Die Balance zwischen globaler Standardisierung und lokaler Anpassungsfähigkeit steht dabei im Zentrum. „Die Idee ist, mit Blick auf Grossprojekte das Universelle einzigartig zu machen“, erläutert die Architektin ihren Ansatz.

Lernen vom Automobilbau

Mesa Molina schaut bewusst über den Tellerrand der Architektur hinaus – und ermutigt andere dazu, es ihr gleichzutun. Ein bemerkenswerter Vergleich, den sie zieht, lässt aufhorchen: „Es gibt viel zu optimieren, wenn man das Bauwesen mit der Automobilindustrie vergleicht. Wir stellen an unsere Autos höhere Anforderungen als an unsere Häuser.“

Tatsächlich hinkt die Baubranche in Sachen Qualitätssicherung, Effizienz und Abfallvermeidung anderen Industriezweigen hinterher. Mesa Molina plädiert für einen Wissenstransfer: Architektinnen und Architekten sollten von anderen Branchen lernen – nicht nur bezüglich der Produktqualität, sondern auch hinsichtlich Prozessmanagement und Sicherheit.

Diese interdisziplinäre Neugier will sie auch ihren künftigen Studierenden an der ETH vermitteln. „Das Erlernen von Automatisierungs- und Fertigungstechnologien ist heute wichtig“, betont sie. Einer ihrer geplanten Kurse könnte sich mit dem Entwurf vorgefertigter Häuser für unterversorgte Gemeinden befassen – ein Thema, das praktisches Wissen mit sozialer Verantwortung verbindet.

Die KI-Herausforderung meistern

Die Architektur steht nicht nur vor baulichen Herausforderungen, sondern auch vor einem technologischen Wandel. Mesa Molina sieht in der Künstlichen Intelligenz sowohl Chancen als auch Risiken: „Das Risiko von KI und anderen Computertechnologien besteht darin, dass Architektinnen und Architekten, die nicht in der Konstruktion ausgebildet sind, weitgehend aus der Architekturpraxis verdrängt werden, sobald die Kreativität weitverbreitet ist.“

Ihre Antwort darauf ist überraschend einfach: zurück zur Materie, zurück zum Handwerk. „Architektinnen und Architekten sind für die gebaute Umwelt sehr wichtig, weil wir ganzheitliches Wissen und Sensibilitäten mitbringen und uns gutes Bauen am Herzen liegt.“ Diese Ganzheitlichkeit – das Verständnis für Material, Konstruktion, Logistik und physikalische Gesetze – kann keine KI ersetzen.

Handwerk trifft Hightech

Trotz ihres Fokus auf Industrialisierung und Automatisierung verliert Mesa Molina nie den Wert traditioneller Bautechniken aus dem Blick. „Es gibt Synergien zwischen handwerklicher und industrieller Fertigung, die es zu entdecken gilt“, erklärt sie. Ihr Studio an der ETH soll genau dafür ein Experimentierfeld werden.

Diese Verbindung von Alt und Neu, von Handgemachtem und Maschinellem, zeigt sich auch in ihren bisherigen Projekten. Besonders eindrucksvoll ist das 2018 realisierte „Ca’n Terra“ auf Menorca – ein alter Steinbruch, den Mesa Molina in einen modernen Wohnraum verwandelte. Hier trifft jahrhundertealte Steinbearbeitung auf zeitgenössisches Design.

Vom Prototyp zur Realität

Die Professur an der ETH Zürich kommt für Mesa Molina zu einem spannenden Zeitpunkt: Ihr Start-up WoHo hat 2022 eine 18.000 Quadratmeter große Fabrik in Madrid eröffnet und realisiert derzeit sein erstes Gebäude mit sieben Wohneinheiten. „Wir haben das Projekt selbst entwickelt, weil wir keine Bauherrschaft gefunden haben, die bereit war, das Risiko einzugehen“, erzählt sie. Ein Minimum Viable Product, wie es im Start-up-Jargon heißt – der erste Schritt zur Marktreife.

Diese praktische Erfahrung wird Mesa Molina nun mit in die Lehre nehmen. „Die Herstellung von Dingen ist für Architektinnen und Architekten entscheidend, um über Architektur nachzudenken“, betont sie. Ihr Studio an der ETH soll ein Ort werden, an dem künftige Architektinnen und Architekten lernen, den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden zu berücksichtigen – vom Entwurf über die Konstruktion bis zum Betrieb.

Ausblick: Grenzen überwinden

Mesa Molinas Berufung an die ETH Zürich bringt frischen Wind in die Schweizer Architekturlandschaft. Ihr Ansatz – die Verbindung von Handwerk und Hightech, von globaler Standardisierung und lokaler Anpassung, von kreativer Gestaltung und industrieller Effizienz – könnte ein Modell für die Zukunft des Bauens sein.

Die Herausforderungen sind gewaltig: steigende Baukosten, Wohnungsmangel, Klimawandel. Doch Mesa Molina begegnet ihnen mit einem ungewöhnlichen Mix aus Pragmatismus und Vision. Sie zeigt, dass architektonische Innovation nicht nur am Computer, sondern auch in der Werkstatt entsteht. Dass Schönheit und Effizienz keine Gegensätze sein müssen. Und dass die größten Durchbrüche oft an den Schnittstellen verschiedener Disziplinen entstehen.

Für Studierende, Forschende und Praktizierende der Architektur liefert Mesa Molina damit eine klare Botschaft: Wer die komplexen Herausforderungen unserer gebauten Umwelt meistern will, muss über den eigenen Tellerrand hinausschauen – und bereit sein, von anderen zu lernen.Social Media Posts