
Vom Stillstand zur Dynamik – Lösungsansätze für Österreichs Wohnbaukrise
Im eleganten Ambiente des Wiener ORF-Funkhauses versammelten sich kürzlich Vertreter der Wohnbaubranche, um bei der mittlerweile 81. Auflage des vom STANDARD und dem Fachmagazin Wohnen Plus organisierten Wohnsymposiums über Auswege aus der aktuellen Wohnbaukrise zu diskutieren. Die Diagnose war eindeutig: Zu wenig Neubau, zu hohe Kosten und eine Vielzahl regulatorischer Herausforderungen prägen das Bild des österreichischen Wohnungsmarktes. Doch welche Therapievorschläge können den Patienten wieder auf die Beine bringen?
Wirtschaftsexperte sieht mehrere Baustellen
Den volkswirtschaftlichen Rahmen skizzierte Gabriel Felbermayr, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), der die aktuelle Lage nüchtern einordnete. Die Zinswende und die umstrittene KIM-Verordnung brachten die Baukonjunktur ab Mitte 2022 dramatisch zum Erliegen. Interessanterweise machte Felbermayr die Verordnung, die Ende Juni auslaufen wird, nur für etwa 20 Prozent des Rückgangs des Kreditvolumens verantwortlich – der Hauptteil gehe auf das Konto der schnellen Zinserhöhungen.
Der Wifo-Chef forderte ein Umdenken bei mehreren Stellschrauben: Die Wohnbauförderungen sollten überarbeitet, eine überzeugende Fachkräftestrategie entwickelt und das Problem des Baulandhortens durch geeignete Maßnahmen adressiert werden. Das Wifo propagiert dafür eine Bodenwertsteuer, die sich am Verkehrswert orientiert und die Grunderwerbsteuer ersetzen könnte.
Scharfe Kritik äußerte Felbermayr auch am Mietrecht: „Ich höre sehr oft, dass sich das Sanieren nicht rechnet. Mit Abreißen und neu bauen entkommt man der Mietenregulierung, das zahlt sich aus.“ Genau dieses Dilemma verhindere jedoch die ökologisch sinnvollere Sanierung von Bestandsgebäuden.
Positiver Ausblick trotz Rezessionsphase
Trotz des angekündigten Sparpakets der Regierung, das die Konjunktur zunächst dämpfen und laut Felbermayr zu „einem weiteren Rezessionsjahr“ führen werde, zeigte er sich für den Wohnbausektor vorsichtig optimistisch. Die Baukosten hätten sich auf hohem Niveau stabilisiert, das Neukreditvolumen steige wieder, und das Wohn- und Baukonjunkturprogramm der Vorgängerregierung sollte 2025 und 2026 endlich Wirkung zeigen.
Bestand oder Neubau – eine falsche Dichotomie?
Die Debatte, ob Österreich überhaupt noch Neubauten brauche oder sich auf den Bestand konzentrieren sollte, prägte einen wesentlichen Teil der anschließenden Podiumsdiskussion. Daniel Fügenschuh, Präsident der Kammer der Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker, betonte, dass Österreich zwar nicht „fertig bebaut“ sei, aber jede Entscheidung zwischen Sanierung und Abriss mit Neubau faktenbasiert und klimatechnisch fundiert getroffen werden müsse.
Michael Gehbauer, Geschäftsführer des gemeinnützigen Bauträgers WBV-GPA, stellte klar, dass angesichts des starken Bevölkerungswachstums ein völliger Verzicht auf Neubau illusorisch sei: „Alle Wohnungen tatsächlich zu mobilisieren, die man gerne mobilisieren möchte, das geht in Wirklichkeit nur mit Zwangsmaßnahmen.“ Der Neubau bleibe also unumgänglich und sei „auch für die Konjunktur positiv“.
Architektin Amila Širbegović von der Wiener Magistratsabteilung 50 brachte einen weiteren Aspekt ein: „Die Stadt der Zukunft ist ja schon gebaut, die meisten Menschen wohnen schon in Bestandswohnungen.“ Sie plädierte für verstärkte Sanierungsförderungen und lobte zugleich einige Aspekte des Regierungsprogramms, wie den Ausbau des „Housing first„-Ansatzes für Obdachlose und die Verlängerung der Mindestbefristungsdauer bei Mietverträgen von drei auf fünf Jahre.
Zweifel an der Wirksamkeit der Mietpreisbremse
Bemerkenswert war die einhellige Kritik an der Mietpreisbremse – selbst von unerwarteter Seite. Gehbauer, obwohl Chef der SPÖ-nahen Fraktion im Gemeinnützigensektor, zeigte kein Verständnis für die Maßnahme, weil dadurch Geld reduziert werde, „das ganz automatisch in die Wirtschaft fließe“. Er bezeichnete die Bremse als „wirtschaftspolitisch nicht sinnvoll“.
Felbermayr regte an, den erst für 2028 angekündigten Drei-Prozent-Deckel sofort einzuführen, allerdings für alle Mietsegmente: „Jetzt ist das Signal sicher nicht das beste, dass man dort kappt, wo eh schon gedeckelt ist, und dort nicht, wo es freie Mieten gibt.“ Positiver beurteilte er das angekündigte Bonus-Malus-System im Mietrecht, das die energetische Qualität eines Gebäudes berücksichtigt und einen Anreiz für energetische Sanierungen schaffen soll.
Zweckbindung der Wohnbauförderung skeptisch gesehen
Skepsis äußerte Martin Clemens Weber, Leiter der Stabstelle Immobilien in der Erste Bank, hinsichtlich der im Regierungsprogramm angekündigten Zweckbindung der Wohnbauförderung. Seit der Abschaffung 2008 erheben die Länder das Geld selbst. „Wenn man denen jetzt sagt: ‚Ihr müsst das Geld wieder für den Wohnbau ausgeben‘, dann wird es ein Hauen und Stechen geben“, prognostizierte Weber. Angesichts der klammen öffentlichen Kassen sei mit erheblichem Widerstand zu rechnen.
Gleichzeitig warb er für mehr privates Kapital im Wohnbau, etwa durch zweckgebundene Wohnbauanleihen. Das österreichische System genieße international durchaus Vorbildcharakter – kürzlich habe eine Delegation aus Prag bei ihm vorgesprochen, die das österreichische Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz kopieren wolle.
Fazit: Verschiedene Wege, gemeinsames Ziel
Die Diskussion machte deutlich, dass es keinen Königsweg aus der Wohnbaukrise gibt, sondern verschiedene parallele Ansätze notwendig sind. Eine Förderung des Neubaus bei gleichzeitiger Stärkung der Sanierungsquote scheint ebenso unerlässlich wie eine Reform der Mietregulierung und neue Finanzierungsmodelle. Besonders wichtig: Der Klimaschutz muss dabei integraler Bestandteil aller Lösungen sein, um teure Strafzahlungen wegen verfehlter Klimaziele zu vermeiden.
Das 81. Wohnsymposium bot damit nicht nur eine präzise Diagnose der aktuellen Probleme, sondern auch konkrete Therapievorschläge – nun liegt es an der Politik, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen und den Wohnbau wieder in Schwung zu bringen.

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