Setzt ein Bauherr eine örtliche Bauaufsicht (ÖBA) ein, so zählt es in den meisten Fällen zu deren Aufgabe, die Rechnungen der einzelnen Gewerkeunternehmer zu prüfen. Dabei sind nicht nur die abgerechneten Mengen anhand der Aufmaßunterlagen zu kontrollieren, sondern auch die Einhaltung der vertraglichen Vereinbarungen. Rechnungen – insbesondere auch Abrechnungen über entstandene Mehrkosten – müssen ihre Grundlage in den getroffenen Vereinbarungen haben. Die sorgfältige Rechnungsprüfung setzt daher die Kenntnis der vertraglichen Vereinbarungen zwischen Auftraggeber (Bauherr) und deren Auftragnehmern voraus. Da den meisten Bauverträgen die ÖNORM B 2110 zugrunde liegt, sind auch die dortigen Bestimmungen für die Rechnungsprüfung maßgeblich (zB Zahlungsfristen, Sphärenzuordnung bei Mehrkostenforderungen).
Nach erfolgter Rechnungsprüfung wird dem Bauherrn mitgeteilt, in welcher Höhe die Rechnungen an die Gewerkeunternehmer zu bezahlen sind. Fehler können daher für die ÖBA zum Haftungsfall werden, vor allem wenn Rechnungen von Gewerkunternehmern nicht bezahlt werden, obwohl diese Forderungen ihnen vertraglich zustehen. Werden sich Bauherr und Auftragnehmer in Abrechnungsfragen außergerichtlich nicht einig und lässt letzterer die Abrechnung gerichtlich überprüfen, offenbart sich meist sehr schnell, ob die ÖBA richtig oder falsch gelegen ist. Wenn sich die getätigten Rechnungskorrekturen im Zuge des Gerichtsverfahrens als nicht gerechtfertigt herausstellen, kann die ÖBA als Rechnungsprüferin für entstandene Gerichtskosten des Bauherrn in Anspruch genommen werden.
Zu einer Haftung kann es aber auch dann kommen, wenn der Bauherr überhöhte Forderungen bezahlt, da gerechtfertigte Abzüge übersehen werden. Die ÖBA muss im schlimmsten Fall für unterlassene Rechnungsabzüge selbst einstehen. Diese Erfahrung machte ein Rechnungsprüfer, der einen vertraglich vereinbarten Abzug für eine Bauwesenversicherung bei der Rechnungskorrektur übersehen hat. Aufgrund der zwischenzeitigen Insolvenz des Bauunternehmens musste der Rechnungsprüfer den dadurch beim Bauherrn entstandenen Schaden übernehmen (OGH 29.06.2022, 8 Ob 26/21h).
Für die ÖBA kann die Rechnungskontrolle unter Umständen abenteuerlicher werden, wenn der Bauherr seine „Wünsche“ bzw Anweisungen berücksichtigt haben will. Sind diese Vorgaben zB nicht branchenüblich oderstehen sogar im Widerspruch zu den vertraglichen Vereinbarungen ist der Bauherr darauf hinweisen; selbst dann, wenn er eigentlich selbst fachkundig ist (RIS-Justiz RS0022243). Die ÖBA muss dann den Spagat zwischen Beratung und Warnung des Bauherrn vollziehen.
In Anbetracht der Rechtsprechung kann sich die ÖBA im Zuge der Rechnungsprüfung tatsächlich zwischen zwei Stühlen wiederfinden. Zu hohe Rechnungskorrekturen provozieren einen kostenintensiven Rechtsstreit, zu geringe Korrekturen die Gefahr einer Übervorteilung des eigenen Auftraggebers. Im Gegensatz dazu ist die ureigenste Funktion der ÖBA – nämlich die fachliche Überprüfung der Bauausführung – ein nahezu risikoloses Unterfangen.