Baukunst-Ende eines Traums: Eigenheime im Wandel
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Ende eines Traums? Eigenheime im Wandel

16.08.2024
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stu.ART

Der Traum vom eigenen Haus mit Garten galt lange als Inbegriff des Erfolgs nicht nur in Deutschland und Österreich. Doch dieser Traum scheint zu verblassen. Aktuelle Entwicklungen deuten darauf hin, dass bald mehr Eigenheime abgerissen als neu gebaut werden könnten. Diese Trendwende hat weitreichende Folgen für den Immobilienmarkt, Kaufpreise und Mieten.

Rückgang des Eigenheimbaus

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: In den 1970er Jahren wurden jährlich noch rund 250.000 Eigenheime fertiggestellt. Heute liegt diese Zahl unter 100.000. Besonders drastisch zeigt sich der Einbruch bei den Baugenehmigungen. Von Januar bis Mai 2024 wurden in Deutschland gerade einmal 15.500 Einfamilienhäuser genehmigt – ein Rückgang um 42,7% im Vergleich zum Vorjahr.

Es wird prognostiziert, dass der Neubau in den kommenden Jahren weiter kräftig zurückgehen. Weiter wird erwartet, dass der Bau von Eigenheimen langfristig auf einen Sockel von möglicherweise 20.000 bis 40.000 Einheiten pro Jahr fallen könnte.

Gründe für den Rückgang

Mehrere Faktoren tragen zu dieser Entwicklung bei:

  1. Steigende Kosten: Hohe Zinsen und Baukosten machen den Erwerb eines Eigenheims für viele unerschwinglich.
  2. Urbanisierung: Der Trend zum Leben in Großstädten und Metropolregionen, wo Bauland knapp und teuer ist, hält an.
  3. Klimaschutz: Einfamilienhäuser haben oft eine schlechtere Umwelt- und Klimabilanz als Mehrfamilienhäuser.
  4. Demografischer Wandel: Die alternde Gesellschaft führt zu einer veränderten Nachfrage nach Wohnraum.

Architektin Maria Schmidt erklärt: „Viele Gemeinden bemühen sich zudem, die Flächenversiegelung zu reduzieren. Einige wie Hamburg-Nord, Münster und Wiesbaden genehmigen Einfamilienhäuser bereits nur noch restriktiv.“

Vergleich mit Österreich

Interessanterweise zeigt sich in Österreich ein ähnlicher, wenn auch weniger ausgeprägter Trend. Die Wohneigentumsquote ist dort von 57% im Jahr 2014 auf 54% im Jahr 2021 gesunken. Dennoch bleibt der Wunsch nach Eigentum in Österreich hoch. In Tirol halten sogar 95% der Befragten Immobilienbesitz für wichtig.

Folgen für den Immobilienmarkt

Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Immobilienmarkt sind vielschichtig:

  1. Steigende Preise für Bestandsimmobilien: Da kaum noch neue Eigenheime entstehen, dürfte die Nachfrage nach bestehenden Häusern und damit deren Preise steigen.
  2. Attraktivität von Vermietungen: Das Vermieten von Eigenheimen könnte in vielen Städten und Metropolregionen noch attraktiver werden.
  3. Verdichtung des Wohnraums: Der Trend geht zu kleineren Wohneinheiten in Mehrfamilienhäusern, was zu einer Verdichtung in Städten führt.

Architekt Thomas Müller betont: „Diese Entwicklung erfordert ein Umdenken in der Stadtplanung. Wir müssen Konzepte entwickeln, die verdichtetes Wohnen mit hoher Lebensqualität verbinden.“

Herausforderungen und Chancen

Der Rückgang des Eigenheimbaus bringt sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich:

Herausforderungen:

  • Bezahlbarer Wohnraum wird knapper
  • Anpassung der Infrastruktur an verdichtetes Wohnen
  • Umgang mit dem Bestand an alternden Einfamilienhäusern

Chancen:

  • Innovationen im Bereich des nachhaltigen und flächeneffizienten Bauens
  • Entwicklung neuer Wohnkonzepte für eine alternde Gesellschaft
  • Revitalisierung von Stadtquartieren durch kreative Umnutzung

Architektin Sarah Klein sieht darin auch Potenziale: „Der Rückgang des klassischen Eigenheimbaus eröffnet Möglichkeiten für innovative Wohnformen. Gemeinschaftliche Wohnprojekte oder flexible Grundrisse, die sich an verschiedene Lebensphasen anpassen, könnten an Bedeutung gewinnen.“

Ausblick

Der „Traum vom Eigenheim“ wandelt sich, verschwindet aber nicht vollständig. Stattdessen entwickelt er sich weiter und passt sich den veränderten gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen an.

Architektin Julia Bauer resümiert: „Die Herausforderung für uns Architektinnen und Architekten besteht darin, Wohnkonzepte zu entwickeln, die den Wunsch nach Individualität und Eigenständigkeit erfüllen, gleichzeitig aber nachhaltiger und flächeneffizienter sind als das klassische Einfamilienhaus.“

Die Zukunft des Wohnens in Deutschland und Österreich wird geprägt sein von einem Mix aus Bestandssanierungen, innovativen Neubauten und kreativen Umnutzungen. Der Traum vom Wohnen lebt weiter – er sieht nur anders aus als vor 40 Jahren.