Gebaute Astronomie

In Indien wird die erfolgreiche Mondlandung gefeiert. Noch ist er Neuland, obwohl die Weltraumforschung dort eine lange Tradition hat. Davon zeugen vier große Observatorien, die präzise Himmelsbeobachtungen ermöglichten. Im 18. Jahrhundert trieb ein indischer Herrscher mittelalterliche Astronomiemethoden auf die Spitze. Von den revolutionären Arbeiten Galileis und Newtons erfuhr er nicht.

Während in Europa Isaac Newton die Physik des Sonnensystems klärte und das Fernglas die Astronomie revolutionierte, reizte man in Indien orientalische Methoden bis ins Extrem aus. Verantwortlich dafür war ein junger, hochbegabter Herrscher mit einem Faible für Wissenschaft. Jai Singh, der Maharadscha des indischen Reichs Amber, lernte bei einem Feldzug den Astronomen und Mathematiker Pandit Jagannatha Samrat kennen und machte ihn zu seinem Lehrer. Jai Singh begnügte sich allerdings nicht mit heimischem Wissen. Jagannatha Samrat wurde dazu angehalten, fremde Sprachen zu lernen, um sich das Wissen anderer Kulturen anzueignen. Das Inventurverzeichnis von Singhs Bibliothek, das anfangs nur Bücher in Sanskrit enthalten hatte, zeigt ab 1715 astronomische Bücher aus dem persisch-arabischen Kulturkreis. Jagannatha Samrat lernte die beiden Sprachen und begann, wissenschaftliche Werke zu übersetzen. Es handelte sich zum Teil um Schriften, die aus dem antiken Griechenland stammten, darunter das wichtigste Mathematikbuch der Antike, die „Elemente“ des Euklid, die Jagannatha Samrat in Sanskrit übersetzte, sowie Werke des antiken Astronomen Ptolemäus.

In dieser Zeit erwarb Jai Singh auch zwei Bücher über Instrumente zur Himmelsbeobachtung. Fasziniert von der fremden Technologie, ließ er sich mehrere der beschriebenen Geräte anfertigen, darunter ein kugelförmiges Instrument von zwei Metern Durchmesser. Er war jedoch über die mangelnde Qualität enttäuscht. Die Metallverarbeitung zu dieser Zeit dürfte an der für astronomische Zwecke benötigten Genauigkeit gescheitert sein. Die nach historischen Vorbildern in größerer Ausführung konstruierten Geräte litten an ihrem hohen Eigengewicht. Singh gab diesen Zugang auf und setzte von da an ganz auf Stein als Material. Der Zugang erwies sich als erfolgreich. Die Aktivitäten gipfelten im Bau fünf monumentaler Observatorien im Norden Indiens, von denen vier erhalten sind. Das größte von ihnen steht in Jaipur und ist ein sogenannter Jantar-Mantar-Komplex, der heute zum Welterbe der Unesco zählt. Der Name steht für eine Gruppe von astronomischen Geräten mit unterschiedlicher Funktion, in diesem Fall 19 Stück. Jai Singh legt in seinen Schriften Wert darauf, die Instrumente selbst entworfen und geplant zu haben. Der Ansatz, dem er folgte, war mehr als hundert Jahre zuvor in ähnlicher Weise von dem dänischen Astronomen Tycho Brahe angewandt worden. Er kommt vollständig ohne Linsen oder die daraus konstruierten Teleskope aus. Welche Genauigkeit trotzdem möglich war, zeigt sich an der Tatsache, dass Brahe im Lauf der Planeten am Himmel markante Abweichungen fand. Johannes Kepler gelang es anhand dieser Daten festzustellen, dass sich Planeten nicht auf perfekten Kreisbahnen, sondern auf minimal in die Länge gezogenen elliptischen Bahnen bewegen. Die Größe von Singhs Observatorien hatte dabei nichts mit etwaigem Geltungsdrang zu tun, sondern erhöhte ihre Genauigkeit. Die zeitliche Auflösung, die sich mit damit theoretisch erreichen ließ, lag bei etwa zwei Sekunden, ein Wert, der sich in der Praxis aufgrund von Ungenauigkeiten beim Bau nicht ganz realisieren lässt. Die Observatorien befanden sich in reger Verwendung, im Jahr 1734 waren zwanzig heimische Astronomen allein bei der Anlage in Jaipur angestellt. Jai Singhs Ziel war es, die aus dem arabischen Raum bekannten astronomischen Tabellen des Gelehrten Ulugh Beg aus Samarkand zu überarbeiten, den sein Astronom Jagannatha Samrat verehrte. Es handelte sich um Arbeiten, die auf dem antiken astronomischen Weltbild des Ptolemäus basieren, bei denen die Erde im Mittelpunkt des Universums steht. Auch Ulugh Beg hatte in Samarkand ein Observatorium betrieben, das Zeitgenossen als „Weltwunder“ bezeichneten.

Dass Jai Singh nicht auf die hundert Jahre zuvor entwickelten Teleskope setzte, lag nicht daran, dass er sie nicht gekannt hätte. Er interessierte sich durchaus für das Konzept und besaß auch selbst einige Teleskope. Doch er blieb mittelalterlichen Himmelsbeobachtungstraditionen treu. Statt auf europäisches Wissen zu setzen, suchte er neue Methoden in der muslimischen Welt, aus der er auch Fachleute rekrutierte. Sein Kontakt zur europäischen Astronomie kam, wie könnte es anders sein, über die Jesuiten zustande. Sie hatten Kontakte nach Indien und China und sorgten für den intellektuellen Austausch zwischen Europa und Asien. Jesuiten forschten in den 1730er-Jahren an den indischen Observatorien. Singh schickte sie auf eine Mission nach Europa, um das dortige astronomische Wissen zu sammeln und in Form von Büchern nach Indien zu bringen. Geleitet wurde sie von einem gewissen Bruder Figuerado. Doch der Stützpunkt der jesuitischen Missionstätigkeit in Europa war Portugal, das zu dieser Zeit kein Zentrum der Astronomie war. 1729 trafen die Jesuiten von Goa kommend in Portugal ein, um die astronomischen Tabellen Indiens und Portugals abzustimmen und astronomisches Wissen aus Europa zu sammeln. Medien in Paris berichteten von der Gesandtschaft aus Indien, doch Hinweise, dass die Mönche Paris oder London besucht hätten, fehlen.

Die astronomische Revolution, die etwas weiter im Osten stattfand, drang nicht nach Portugal vor. In den Büchern, die die Mönche nach Indien brachten, fehlten die wichtigsten Aspekte des europäischen Wissens. Weder Kepler, Galilei noch Newton wurden erwähnt. Auch die damals genauesten Tabellen des Astronomen John Flamsteed fehlten. Jai Singh konzentrierte sich unbelastet von diesen Entwicklungen auf die Überarbeitung seiner eigenen astronomischen Tabellen. Diese wurden in einem Werk namens „Zij-i Muhammad Shahi“ veröffentlicht. Ihm wird vorgeworfen, Teile davon vom französischen Astronomen de La Hire abgeschrieben zu haben, dessen Tabellen ihm die Jesuiten mitgebracht hatten. Obwohl ihre Genauigkeit in Europa schnell von moderneren Beobachtungen übertroffen wurde, hatten sie in Indien lange Bestand.

In dieser Schrift gibt Singh auch einen Hinweis darauf, warum er auf Teleskope verzichtete. Zwar wurden solche bereits in Indien hergestellt und man konnte mit ihnen den Mond, die Ringe des Saturn und vier seiner Monde beobachten. Doch Singh schließt: „Da das Teleskop dem Durchschnittsmenschen nicht ohne weiteres zur Verfügung steht, werden wir unsere Berechnungsregeln nur für das bloße Auge zugrunde legen.“

Letztlich verhinderten Traditionen und mangelhafte Kommunikation eine größere Wirkung der indischen Astronomie im 18. Jahrhundert. Dem aktuellen Raumfahrtprogramm scheint es besser zu ergehen. Indien schwingt sich dieser Tage zur vierten Nation auf, die eine sanfte Landung auf dem Mond realisieren konnte, und wird bald erste Daten vom Südpol liefern. Doch wissenschaftlichen Fortschritten stehen Tradition und Rückwärtsgewandtheit gegenüber. Erst kürzlich wurde die Lehre von der Evolution aus dem indischen Lehrplan gestrichen, weil sie manchen religiösen Kreisen nicht ins Bild passt. Der Mond scheint unproblematisch zu sein; für den Erfolg der Landefähre wurde innig gebetet.

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