
Dreiklang der Baukultur: Tag der Architektur in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland
Drei Bundesländer, drei Ansätze für nachhaltige Architekturvermittlung
Baden-Württemberg setzt mit dem Motto „Leerstand – Lücken – Potenziale!“ strategische Akzente, Rheinland-Pfalz feiert 30 Jahre Tradition mit 69 Projekten und verstärktem Umbaufokus, während das Saarland auf intensive Betreuung und strenge Qualitätskriterien vertraut.
Am letzten Juniwochenende 2025 verwandelt sich Deutschland wieder in eine große Ausstellungshalle für zeitgenössische Baukultur. Unter dem bundesweiten Motto „Vielfalt bauen“ öffnen Hunderte von Architekturobjekten ihre Türen. Ein regionaler Vergleich zwischen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland zeigt: Die drei Länder interpretieren die bundesweite Vorgabe höchst unterschiedlich und entwickeln eigene Strategien für die Baukulturvermittlung.
Baden-Württemberg: Strategischer Fokus auf Transformation
Die Architektenkammer Baden-Württemberg (AKBW) geht mit dem prägnanten Landesmotto „Leerstand – Lücken – Potenziale!“ strategisch vor. Die Touren stehen dieses Jahr unter dem Motto „Leerstand – Lücken – Potenziale!“ Diese programmatische Zuspitzung verdeutlicht den Wandel in der Bauaufgabe: Nicht mehr das Bauen auf der grünen Wiese steht im Mittelpunkt, sondern die intelligente Transformation vorhandener Strukturen.
Bemerkenswert ist der institutionelle Rahmen, den die AKBW für ihre Veranstaltung schafft. In einer Auftaktveranstaltung zum Tag der Architektur am 23. Juni berichten Vertreter von IBA’27, der Diözese Rottenburg-Stuttgart, des Industrieunternehmens Bosch sowie der Kommune Lauchringen am Hochrhein über Best-Practice-Beispiele. Diese Kooperation zwischen Internationale Bauausstellung, Kirche, Industrie und Kommune zeigt die Vernetzungsqualität der baden-württembergischen Architektenschaft.
Die regionalen Kammergruppen entwickeln differenzierte Vermittlungsformate: Die Kammergruppen bieten ein buntes Programm an: ob zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Bus, gemeinsam geht es durch die baden-württembergischen Stadt- und Landkreise. Seit 2003 dokumentiert die AKBW systematisch ihre Aktivitäten, was auf eine langfristige Strategieentwicklung hindeutet.
Rheinland-Pfalz: Dreißig Jahre Tradition mit Innovationskraft
Als einer der vier Pioniere von 1995 blickt Rheinland-Pfalz auf eine besonders lange Tradition zurück. 30 Jahre Tag der Architektur in Rheinland-Pfalz: Zu viert ging es 1995 mit Hessen, Thüringen und dem Saarland an den Start. Diese Erfahrung zeigt sich in der strategischen Ausrichtung: Von ursprünglich vier Ländern entwickelte sich eine bundesweite Bewegung, die heute alle Länderarchitektenkammern umfasst.
Die Architektenkammer Rheinland-Pfalz (AKRP) präsentiert 2025 ein umfangreiches Programm mit 69 Objekten und zeigt dabei klare inhaltliche Schwerpunkte. Mehr als die Hälfte der Bauobjekte sind Modernisierungen, Nutzungsänderungen oder eben Umbauten. Leerstände und Plätze wurden mit Leben gefüllt, Schulen, Weingüter und Wohnhäuser erweitert oder modernisiert, Denkmale revitalisiert und in ehemaligen Scheunen wird jetzt gewohnt.
Besonders bemerkenswert ist die gesellschaftspolitische Dimension, die Joachim Rind, Präsident der AKRP, formuliert: „Erfreulich, dass fünf beispielhafte Kitas im Programm sind“, hebt Rind hervor. Kindertagesbetreuung in qualitätsvollen Räumen sei ein wichtiger Bestandteil der sozialen Infrastruktur und Voraussetzung für Chancengleichheit. Die Verbindung zwischen Architekturqualität und sozialer Gerechtigkeit verdeutlicht den Anspruch, Baukultur als gesellschaftlichen Auftrag zu verstehen.
Die Kooperation mit dem Women in Architecture Festival unterstreicht die Innovationsbereitschaft: Der „Tag der Architektur“ steht 2025 auch unter dem Motto „Vielfalt bauen“, weil er vom „WIA Women in ArchitectureFestival“ zur Sichtbarmachung von Frauen in Architektur, Stadtplanung, Innen-und Landschaftsachitektur, flankiert wird.
Saarland: Intensive Betreuung und strenge Kriterien
Das kleinste der drei Länder entwickelt einen besonders intensiven Ansatz der Qualitätssicherung. Die teilnehmenden Objekte werden dann anhand der eingereichten Unterlagen von einer Auswahlkommission ausgewählt, die sich durch eine bemerkenswerte Zusammensetzung auszeichnet: Die Auswahlkommission setzt sich aus einem Sitzungsleiter bzw. einer Sitzungsleiterin, jeweils einem Vertreter der kleinen Fachrichtungen (Stadtplanung, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur), den Kreisvertrauensarchitekten sowie zwei Medienvertretern zusammen.
Die Bewertungskriterien sind präzise definiert und umfassen sechs Aspekte: Gestaltung/ Entwurfsqualität/ Ästhetik; Städtebauliche Einbindung; Ökonomie; Ökologie/ Nachhaltigkeit; Prozessqualität und soziokultureller Hintergrund. Diese Systematik geht über reine Gestaltungsqualität hinaus und berücksichtigt gesellschaftliche und wirtschaftliche Dimensionen.
Besonders bemerkenswert ist die persönliche Betreuung: Einmalig ist zudem: Am „Tag der Architektur“ sind Architekten und/oder Bauherren vor Ort und geben detaillierte Einblicke in die Entstehung und Umsetzung der Projekte. Diese Garantie der persönlichen Anwesenheit von Planern und Bauherren unterscheidet das saarländische Konzept von anderen Ländern, wo dies nicht immer gewährleistet ist.
Regionale Unterschiede als Stärke der Baukulturvermittlung
Die drei Länder entwickeln unterschiedliche Strategien für dasselbe Ziel: die Vermittlung zeitgenössischer Baukultur an eine breite Öffentlichkeit. Baden-Württemberg nutzt thematische Zuspitzung und institutionelle Vernetzung, Rheinland-Pfalz setzt auf bewährte Quantität mit gesellschaftspolitischen Akzenten, das Saarland auf intensive Qualitätssicherung und persönliche Betreuung.
Diese Vielfalt der Ansätze spiegelt die föderale Struktur des deutschen Planungswesens wider. Während die Länderbauordnungen rechtliche Unterschiede schaffen, entwickeln die Architektenkammern eigenständige Strategien der Baukulturvermittlung. Die regionalen Besonderheiten – von der baden-württembergischen Innovationskraft über die rheinland-pfälzische Tradition bis zur saarländischen Intensität – werden zu Stärken, die andere Regionen inspirieren können.
Der Erfolg liegt nicht in der Uniformität, sondern in der regionalen Differenzierung. Jedes Land entwickelt Formate, die zu seiner Architekturlandschaft, seinen institutionellen Strukturen und seiner Planungskultur passen. Diese Vielfalt macht den Tag der Architektur zu einem lebendigen Abbild der deutschen Baukulturlandschaft – föderal organisiert, regional verwurzelt und überregional vernetzt.
Hier finden Sie die Programme zum „Tag der Architektur“

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