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Stuttgart ©Jan Böttinger/Unsplash

Im Dialog der Epochen: Carpaccios Meisterwerke in Sterlings architektonischem Manifest

19.12.2024
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Ignatz Wrobel

Renaissance im Farbenrausch – Venezianische Meisterwerke in Sterlings Architektur-Ikone

Ein fast ironischer Zufall: Ausgerechnet in der Neuen Staatsgalerie Stuttgart, diesem Meilenstein postmoderner Architektur, präsentiert sich ab November die erste große Carpaccio-Schau Deutschlands. Wo sonst könnte die farbenfrohe Bilderwelt des venezianischen Meisters besser zur Geltung kommen als in James Sterlings provokant-spielerischem Museumsbau von 1984?

Die Architektur als Rahmen

Der Bau selbst ist eine Hommage an die Kunstgeschichte – ein geschickt komponiertes Spiel mit historischen Zitaten. Grellgrüne Fensterrahmen kontrastieren mit klassischem Travertin, knallbunte Handläufe durchziehen die strengen Steinformationen. Sterlings Museum wurde anfangs heftig kritisiert, heute gilt es als Meisterwerk der Postmoderne. Der britische Architekt brach bewusst mit der kargen Nachkriegsmoderne und schuf einen Bau, der selbst zum Kunstwerk wurde.

Venezianische Pracht trifft auf postmoderne Provokation

In dieser architektonischen Inszenierung entfaltet sich nun die Ausstellung „Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig“. Rund 55 Werke, darunter bedeutende internationale Leihgaben, erzählen von einer Zeit des Aufbruchs. Vittore Carpaccio (1460/65-1525/26) war einer der gefragtesten Maler seiner Zeit, ein Meister der detailreichen Bilderzählung. Seine monumentale Altartafel „Der heilige Thomas von Aquin“ (1507) aus dem Bestand der Staatsgalerie wurde aufwendig restauriert und erstrahlt in neuem Glanz.

Zeitgenössischer Dialog

Bemerkenswert ist der Dialog zwischen Architektur und Ausstellung: Wie Carpaccio seine Bilderwelten mit pittoresken Details und architektonischen Zitaten anreicherte, so spielte auch Stirling virtuos mit historischen Verweisen. Beide Künstler – der Maler und der Architekt – schufen komplexe visuelle Erzählungen, die das Publikum ihrer Zeit gleichzeitig irritierten und faszinierten.

Innovation in der Tradition

Die Staatsgalerie setzt mit dieser Ausstellung neue Maßstäbe. Christiane Lange, Direktorin des Hauses, betont die Bedeutung des Forschungsprojekts zum Bestand ‚Barbini-Breganze‘, aus dem die Schau erwuchs. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Sammlung wirft neues Licht auf die venezianische Malerei um 1500.

Multimediale Dimension

Innovativ ist auch die musikalische Begleitung: In Zusammenarbeit mit dem SWR entsteht ein „Soundtrack“ zur Ausstellung, der die Klangwelt des venezianischen Quattrocento lebendig werden lässt. Die Musik wird Teil der Gesamtinszenierung – ganz im Sinne eines Gesamtkunstwerks.

Fazit

Die Ausstellung ist mehr als eine kunsthistorische Präsentation: Sie ist ein Dialog zwischen Epochen, zwischen Nord und Süd, zwischen malerischer und architektonischer Innovation. Sterlings Bau erweist sich dabei als ideale Bühne für Carpaccios Bilderwelten – beide vereint die Lust am Detail, am Zitat und an der kreativen Transformation des Überlieferten.

Die Schau läuft vom 15. November 2024 bis zum 2. März 2025. Ein umfangreicher Katalog (Hirmer Verlag, 288 Seiten) dokumentiert dieses außergewöhnliche Zusammentreffen von Renaissance und Postmoderne.

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