
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die zahlreichen Reaktionen auf meinen letzten Beitrag zur #ZukunftArchitektur zeigen: Der Erhalt der Architekturvielfalt bewegt uns alle. Eine Kollegin schrieb treffend: „In jedem Ortskern, in dem das letzte Architekturbüro schließt, stirbt ein Stück lokale Baukultur.“ Diese Worte unterstreichen die weitreichenden Folgen des aktuellen Strukturwandels in unserem Berufsstand.
Kleine und mittlere Architekturbüros sind weit mehr als nur Dienstleister. Sie sind Kulturträger, Wirtschaftsmotorenund Innovationstreiber zugleich. Mit durchschnittlich vier bis zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bilden sie das Rückgrat der deutschen Baukultur. Ihre Bedeutung für unsere Gesellschaft lässt sich in drei wesentlichen Dimensionen erfassen:
Erstens: Regionale Verankerung. Kleine Büros kennen die lokalen Gegebenheiten, pflegen gewachsene Beziehungen zu Handwerksbetrieben und verstehen die spezifischen Bedürfnisse ihrer Region. Sie sind Bewahrer regionaler Bautraditionen und gleichzeitig Impulsgeber für zeitgemäße Interpretationen. Diese tiefe Verwurzelung ermöglicht eine Architektur, die Identität stiftet und Heimat schafft.
Zweitens: Wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Kleine und mittlere Büros sind verlässliche Arbeitgeber und Ausbildungsstätten. Sie zahlen ihre Steuern vor Ort, beauftragen regionale Handwerksbetriebe und stärken damit die lokale Wertschöpfungskette. Anders als große Konzernstrukturen bleiben sie auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ihrer Region treu.
Drittens: Gesellschaftliche Verantwortung. Die Inhaberinnen und Inhaber kleiner Büros engagieren sich häufig ehrenamtlich in Gestaltungsbeiräten, Gemeinderäten oder Bürgerinitiativen. Sie bringen ihre Expertise in kommunale Entscheidungsprozesse ein und fördern den Dialog über Baukultur vor Ort.
Doch diese vielfältige Bürolandschaft ist bedroht. Die Konzentrationsprozesse im Bausektor führen zu einer schleichenden Monopolisierung der Planungsleistungen. Große Projektentwickler setzen zunehmend auf standardisierte Lösungen und arbeiten bevorzugt mit wenigen, großen Büros zusammen. Die Folgen sind fatal: Verlust regionaler Baukultur, Standardisierung der Architektursprache und Erosion lokaler Wirtschaftskreisläufe.
Die volkswirtschaftlichen Kosten dieser Entwicklung sind erheblich. Wenn kleine Büros aufgeben müssen, gehen nicht nur Arbeitsplätze verloren. Mit ihnen verschwindet auch jenes spezifische Wissen um lokale Bautraditionen, klimatische Bedingungen und soziale Strukturen, das für eine nachhaltige Stadtentwicklung unerlässlich ist.
Ein Blick ins europäische Ausland zeigt: Länder wie Dänemark, die Niederlande oder die Schweiz haben die Bedeutung ihrer kleinteiligen Architekturszene erkannt. Durch gezielte Förderung, faire Vergabepraktiken und Schutz vor ruinösem Preiswettbewerb sichern sie die Existenz ihrer kleinen und mittleren Büros.
Die Vielfalt der Architekturszene ist ein Standortvorteil, den es zu bewahren gilt. Dafür braucht es politische Weichenstellungen:
- Angemessene Honorare, die qualitätsvolle Arbeit ermöglichen
- Faire Vergabeverfahren, die auch kleineren Büros Chancen eröffnen
- Gezielte Förderung junger Büros und Existenzgründerinnen
- Entbürokratisierung von Planungsprozessen
- Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe
Diese Forderungen sind keine Architekten-Folklore. Sie sind Voraussetzung für den Erhalt einer vielfältigen Baukulturund lebendiger Regionen.
Setzen wir uns gemeinsam dafür ein.
Die Diskussion unter #ZukunftArchitektur zeigt: Das Bewusstsein für die Bedeutung architektonischer Vielfalt wächst. Lassen Sie uns diesen Schwung nutzen. Teilen Sie Ihre Erfahrungen, Ideen und Erfolgsgeschichten. Schreiben Sie an ZukunftArchitektur@baukunst.art oder beteiligen Sie sich in den sozialen Medien.
Nur gemeinsam können wir die Zukunft einer vielfältigen Architekturlandschaft sichern.
Mit kollegialen Grüßen,
Ihr
Stuart Stadler
Architekt

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