
Zwischen Marketing und Baukultur
Die Paradoxie des Erfolgs
Wer die Zahlen des Oberösterreichischen Holzbaupreises 2025 betrachtet, könnte meinen, der Holzbau stehe vor seinem endgültigen Durchbruch. 140 Einreichungen in der zehnten Ausgabe des Wettbewerbs – ein beeindruckendes Zeugnis für die Vitalität der Branche. Doch als jemand, der vier Jahrzehnte lang die Höhen und Tiefen der Architekturszene erlebt hat, stimmen mich diese Zahlen nachdenklich.
Die Euphorie ist berechtigt, keine Frage. Holz bindet CO₂, wächst nach und bietet gestalterische Möglichkeiten, von denen unsere Großväter nicht zu träumen wagten. Doch zwischen dem berechtigten Enthusiasmus für nachhaltiges Bauen und dem unvermeidlichen Branchen-Marketing klafft eine Lücke, die kritisches Hinterfragen verdient.
Qualität statt Quantität: Ein alter Grundsatz gerät ins Wanken
Sechs Preise, zwei Sonderpreise, neun Anerkennungen und ein Publikumspreis – das klingt nach einer großzügigen Verteilung von Lorbeeren. Zu großzügig? In meiner Laufbahn habe ich gelernt, dass wahre architektonische Exzellenz selten ist. Wenn fast jede achte Einreichung eine Auszeichnung erhält, muss man sich fragen: Verwässern wir den Begriff der Qualität?
Der Kagerer-Stadl in Auberg, ausgezeichnet mit dem Sonderpreis „Baukultureller Austausch durch Gemeinschaft“, mag ein sympathisches Projekt sein. 1.700 ehrenamtliche Stunden sprechen für Engagement, doch rechtfertigen sie automatisch architektonische Anerkennung? Die Vermischung sozialer und gestalterischer Bewertungskriterien ist gefährlich – sie führt zu einer Nivellierung, die der Baukultur nicht dienlich ist.
Die Jury: Kompetenz oder Konsens?
Unter dem Vorsitz von Professor Tom Kaden vom Institut für Architekturtechnologie der TU Graz sollte fachliche Kompetenz gewährleistet sein. Dennoch ist auffällig, wie sehr sich die Preisverteilung an politischen und wirtschaftlichen Erwartungen orientiert. Jede Kategorie muss bedient, jede Region berücksichtigt werden – ein Spagat zwischen fachlicher Bewertung und regionalpolitischer Rücksichtnahme.
Besonders kritisch sehe ich die Kategorie „Außer Landes“, die oberösterreichischen Holzbauunternehmen ermöglicht, Projekte außerhalb des Bundeslandes einzureichen. Hier wird aus einem regionalen Qualitätswettbewerb ein Exportförderungsinstrument. Legitim? Vielleicht. Aber es zeigt, wie sehr wirtschaftliche Interessen architektonische Bewertungen beeinflussen.
Das Problem der Selbstreferenzialität
Die Initiatoren des Preises – Building Innovation Cluster, proHolz OÖ, Landesinnung Holzbau OÖ und Fachvertretung der Holzindustrie OÖ – verfolgen primär wirtschaftliche Ziele. Das ist nachvollziehbar und legitim. Problematisch wird es jedoch, wenn diese Interessengruppen gleichzeitig die Deutungshoheit über architektonische Qualität beanspruchen.
Ein Wettbewerb, der alle drei Jahre stattfindet und konsequent wächst, folgt der Logik der Markterschließung. Je mehr Teilnehmer und Gewinner, desto größer die mediale Aufmerksamkeit, desto stärker die Branchen-PR. Diese Mechanik ist verständlich, steht aber im Spannungsfeld zu einer kritischen Qualitätsbewertung.
Nachhaltigkeit als Allzweckwaffe
„Ein Kubikmeter Holz speichert eine Tonne CO₂“ – diese Formel wird mantrahaft wiederholt, als würde sie automatisch gute Architektur garantieren. Nachhaltigkeit ist zweifellos wichtig, aber sie darf nicht zur Ausrede für gestalterische Mittelmäßigkeit werden. Die besten Gebäude waren schon immer nachhaltig – nicht wegen ihrer Materialwahl, sondern wegen ihrer zeitlosen Qualität.
Die inflationäre Verwendung des Nachhaltigkeitsbegriffs verschleiert oft fundamentale architektonische Schwächen. Ein schlecht geplantes Holzhaus ist ökologisch und ökonomisch verschwenderischer als ein gut durchdachter Massivbau. Diese Wahrheit auszusprechen, macht einen nicht zum Feind des Holzbaus, sondern zu seinem kritischen Freund.
Die Tyrannei des Publikumspreises
Besonders bedenklich ist die Einführung eines Publikumspreises. Demokratisierung der Architekturkritik klingt sympathisch, ist aber gefährlich. Gute Architektur war nie populär – sie war provozierend, herausfordernd, manchmal unbequem. Wenn wir Architektur dem Geschmack der Masse unterwerfen, erhalten wir bestenfalls das kleinste gemeinsame Vielfache, schlimmstenfalls architektonischen Populismus.
Die Begeisterung der Bevölkerung für Holzbau ist erfreulich, aber sie sollte nicht über fachliche Qualitätskriterien gestellt werden. Ein Publikumspreis gehört ins Fernsehen, nicht in ernsthafte Architekturwettbewerbe.
Zwischen Tradition und Innovation
Oberösterreich verfügt über eine reiche Holzbautradition. Diese zu würdigen und weiterzuentwickeln ist wichtig. Doch Tradition darf nicht zur Folklore verkommen. Die Herausforderung besteht darin, zeitgemäße Architektur zu schaffen, die regionale Kompetenz mit universellen Qualitätsansprüchen verbindet.
Einige der ausgezeichneten Projekte zeigen beeindruckend, wie das gelingen kann. Andere wirken wie ambitionierte Heimwerkerarbeiten mit PR-Abteilung. Diese Spreizung ist symptomatisch für eine Branche im Umbruch.
Ausblick: Mut zur Reduktion
Für die Zukunft des Holzbaupreises wünsche ich mir weniger Quantität und mehr Qualität. Weniger Kategorien, weniger Gewinner, weniger politische Rücksichten. Dafür schärfere Kriterien, mutigere Bewertungen und den Mut zu sagen: Nachhaltigkeit allein macht noch keine gute Architektur.
Der Oberösterreichische Holzbaupreis hat das Potenzial, zu einem respektierten Qualitätssiegel zu werden. Dazu muss er sich jedoch vom Marketing emanzipieren und zu einer echten Qualitätsdiskussion werden. Das wäre im Interesse aller – der Architekten und Architektinnen, der Handwerker und Handwerkerinnen und nicht zuletzt der Menschen, die in diesen Gebäuden leben und arbeiten müssen.
Die Holzbaubranche in Oberösterreich hat Beeindruckendes geleistet. Jetzt braucht sie den Mut zur kritischen Selbstreflexion. Nur so kann aus einem regionalen Branchenevent ein Beitrag zur österreichischen Baukultur werden.

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