Raumparasiten erobern Stadt zurück

Unsere gegenwärtigen Städte sind primär für den Verkehr konzipiert, wobei die Lebensqualität für die menschlichen Bewohner oft zu kurz kommt, besonders im Bereich der Straßen. In Chicago geht diese Problematik sogar noch einen Schritt weiter: Der Parkraum wurde privatisiert, nachdem die Stadt ihn während der Finanzkrise von 2008 für 1,15 Milliarden Dollar veräußerte – eine Entscheidung, die sich bald als nachteilig für Stadt und Bürger erwies.

Der Künstler, Aktivist und Soziologe Jakob Wirth brachte während der Chicagoer Architekturbiennale 2021 mit einem mobilen „Parasiten“ in Parkplatzgröße die Missstände auf den Punkt. Eine Woche lang demonstrierte er, wie man den einst öffentlichen Raum besser nutzen könnte: sei es für Wohnzwecke, als Treffpunkt oder für Veranstaltungen. Im Jahr 2023 brachte er die Idee nach Berlin und besetzte unter anderem eine Parkbucht auf dem Ikea-Parkplatz. Dort fungierte sie als visueller Stolperstein und Denkanstoß für die parkenden Personen vor Ort sowie als Aufforderung an die Fachwelt, die im Außenraum verborgenen Potenziale zu erkennen und zu nutzen.„Wir beanspruchen Raum, der uns nicht gehört, vermieten ihn und generieren daraus Kapital“, erklärt Jakob Wirth ohne jeden Hauch von Scham, jedoch mit einem verschmitzten Lächeln. Gemeinsam mit seinem Kollegen nutzt er eine zusammensteckbare Holzplattform in der Größe eines SUVs, um Raum zu besetzen. Der modulare Freiluftraum ist für Interessierte mietbar. Für einen Beitrag von fünf Euro darf man auf der Parkplatz-Plattform Kaffee trinken, Spiele spielen oder dinieren. In der Nacht kann sie sogar teilweise an Personen vermietet werden, die hier übernachten möchten. Die Holzpaletten können dafür gedreht werden, und schon entfaltet sich eine Matratze.

Die Idee, etwas anzubieten, „was quasi niemand möchte“, um daraus Gewinn zu erzielen, ist kein von den beiden Künstlern erfundenes Konzept; sie haben es adaptiert. Die Aktion namens Wunder Parking bezeichnet diese Vorgehensweise als „perverse Logik“, in der Start-ups aus der Wohnungsmarktkrise Profit schlagen und dies auch noch als eine weltverbessernde Idee verkaufen. Für Passanten, die förmlich angezogen werden, steht vor allem ein offensichtlicher Aspekt im Vordergrund: die Rückeroberung von Raum, der normalerweise für Autos reserviert ist. mehr

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