Baukunst - Scheinselbständigkeit: Architekturbüros im Visier der Prüfer
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Scheinselbständigkeit: Architekturbüros im Visier der Prüfer

16.06.2025
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Claudia Grimm

Scheinselbständigkeit im Architekturbüro: Die unterschätzte Kostenfalle

Einleitung: Aktuelle Gerichtsentscheidungen verschärfen die Prüfpraxis bei freien Mitarbeitern in Planungsbüros. Was Büroinhaber über Kriterien, Risiken und Präventionsstrategien wissen müssen.

Wenn aus Freiberuflern plötzlich Angestellte werden

Der Fall vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zeigt exemplarisch das Dilemma vieler Architekturbüros: Ein Fachplaner für Fassadenplanung arbeitete vier Jahre lang projektbezogen für ein Ingenieurbüro – 30 Stunden wöchentlich, ausschließlich von zu Hause und ohne Zugriff auf das Computersystem des Auftraggebers. Dennoch sah die Sozialversicherung den Mann als abhängig beschäftigt an und forderte 90.000 Euro Beiträge nach.

Das Gericht entschied überraschend zugunsten des Büros: Der Fachplaner sei nicht nennenswert in die Arbeitsorganisation eingegliedert gewesen und habe keinen Weisungen unterlegen. Zudem sei ein erfolgsabhängiges Entgelt aufgrund der Eigenheiten fachplanerischer Leistungen nicht regelmäßig zu erwarten. Ein Sieg, der aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass die Abgrenzung zwischen echter Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit immer schwieriger wird.

Die neuen Maßstäbe der Rechtsprechung

Das Bundessozialgericht hat seine Rechtsprechung zur Scheinselbständigkeit in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. Seit dem „Herrenberg-Urteil“ zur Statusfeststellung von Lehrkräften und der jüngsten Piloten-Entscheidung wendet es zunehmend strenge Maßstäbe an.

Besonders bemerkenswert: Die Nutzung kostspieliger Arbeitsmittel des Auftraggebers erhält eine stark abwägungserhebliche Bedeutung. Bei dem Piloten war ausschlaggebend, dass er ausschließlich das Flugzeug seines Arbeitgebers nutzte. Für Architekturbüros bedeutet dies: Wer freien Mitarbeitern CAD-Lizenzen, Plotter oder Bausoftware zur Verfügung stellt, muss besonders vorsichtig sein.

Auch der vermeintliche Schutz durch Ein-Personen-Kapitalgesellschaften bröckelt: Das Bundessozialgericht entschied im Juli 2023, dass ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht zwingend dadurch ausgeschlossen wird, weil nur Verträge zwischen Auftraggeber und einer Ein-Person-GmbH bestehen. Entscheidend bleibt das Gesamtbild der tatsächlichen Tätigkeit.

Gefährliche Graubereiche in der Planungsbranche

In unzähligen Architekturbüros werden freie Mitarbeiter beschäftigt, die nach rechtlicher Würdigung tatsächlich sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer darstellen. Entscheidend ist allein die tatsächliche Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses – Vertragsregelungen sind grundsätzlich unerheblich.

Besonders riskant sind folgende Konstellationen:

Arbeitsort und -zeit: Schreibt das Planungsbüro Arbeitsort und Arbeitszeit vor, spricht dies für eine abhängige Beschäftigung. Problematisch wird es, wenn der freie Mitarbeiter regelmäßig im Büro arbeitet oder zu festen Besprechungszeiten anwesend sein muss.

Weisungsgebundenheit: Macht das Planungsbüro mehr Vorgaben zur Art der Ausführung als gegenüber einem selbständigen Auftragnehmer üblich, deutet dies auf Scheinselbständigkeit hin. Gerade bei Bauleitung und Objektüberwachung verschwimmen hier die Grenzen.

Außenauftritt: Tritt der freie Mitarbeiter nach außen im Namen des Architekturbüros auf, ist dies ein starkes Indiz für abhängige Beschäftigung. Visitenkarten mit dem Bürologo oder die Teilnahme an Terminen als Vertreter des Büros sind kritisch.

Betriebsmittel: Die unentgeltliche Nutzung von Arbeitsmaterialien des Auftraggebers – Computer, Plotter, Telefon, Büromaterial – spricht für Scheinselbständigkeit. Besonders teuer lizenzierte Fachsoftware wird zunehmend als kritisches Kriterium gewertet.

Wenn die Nachzahlung kommt: Finanzielle Dimensionen

Wird Scheinselbständigkeit festgestellt, muss der Arbeitgeber rückwirkend sämtliche Beiträge zur Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung entrichten. Dies kann bis zu vier Jahre rückwirkend geschehen, bei Vorsatz sogar bis zu 30 Jahre.

Die Nachzahlung umfasst sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmeranteile und summiert sich auf rund 40,9 Prozent der in diesem Zeitraum gezahlten Vergütung. Ein Beispiel aus der Praxis: Das hessische Landessozialgericht bestätigte 2023 eine Nachforderung von über 103.000 Euro inklusive Säumniszuschlägen für zwei scheinselbständige Auftragsverhältnisse.

Hinzu kommen steuerliche Konsequenzen: Nach § 42d der Abgabenordnung besteht eine Verjährungsfrist von vier Jahren, bei vorsätzlicher Scheinselbständigkeit kann sogar Steuerhinterziehung vorliegen mit einer Verjährungsfrist von zehn Jahren.

Ein Rückgriff auf den freien Mitarbeiter ist nur sehr eingeschränkt möglich. Steuerrechtlich besteht eine gesamtschuldnerische Haftung, das heißt, das Finanzamt kann ausstehende Lohnsteuerzahlungen entweder beim Mitarbeiter oder dem Büro einfordern.

Präventionsstrategien für Planungsbüros

Echte unternehmerische Freiheit schaffen: Selbständige müssen unternehmerisches Risiko tragen und über echte Entscheidungsfreiheit verfügen. Dazu gehört die eigenverantwortliche Festlegung von Aufgaben, Arbeitszeiten und Methoden.

Diversifizierung fördern: Problematisch ist, wenn der freie Architekt über längere Zeit fünf Sechstel seines Umsatzes durch denselben Auftraggeber erhält. Büros sollten freie Mitarbeiter ermutigen, weitere Auftraggeber zu akquirieren.

Eigene Betriebsmittel einfordern: Entscheidungsfreiheit über Anschaffung und Finanzierung von Betriebsmitteln, Transportmitteln und Produktionsmitteln ist ein wichtiges Kriterium für Selbständigkeit. Wer CAD-Software oder Hardware zur Verfügung stellt, sollte zumindest eine marktübliche Miete verlangen.

Unternehmerischen Außenauftritt unterstützen: Kriterien unternehmerischen Handelns sind eigene Firmenschilder, Visitenkarten und eine eigene Website. Büros sollten freie Mitarbeiter dabei unterstützen, sich professionell zu präsentieren.

Das Statusfeststellungsverfahren als Präventionsinstrument

Das Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund ist kostenfrei und dauert im Durchschnitt drei Monate. Es kann sogar im Voraus durchgeführt werden, bevor die Tätigkeit aufgenommen wird.

Seit April 2022 entscheidet die Clearingstelle nur noch über den Erwerbsstatus – Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit – und nicht mehr über die Versicherungspflicht in den verschiedenen Sozialversicherungszweigen. Diese Vereinfachung beschleunigt das Verfahren erheblich.

Wann das Verfahren empfehlenswert ist: Bei projektbezogenen Dauerverhältnissen, hohem Honorarvolumen oder wenn mehrere Kriterien für abhängige Beschäftigung vorliegen könnten. Läuft bereits eine Betriebsprüfung der Rentenversicherung, ist es für den freiwilligen Antrag zu spät.

Verbandspolitische Dimension: Handlungsbedarf erkannt

Die Architektenkammern beobachten die Entwicklung mit Sorge. Die verschärfte Rechtsprechung trifft eine Branche, die traditionell auf flexible Projektstrukturen angewiesen ist. Besonders kleinere Büros geraten unter Druck, da sie sich aufwendige Rechtsberatung oft nicht leisten können.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund interpretiert aktuelle BSG-Urteile sehr weitreichend und nimmt verstärkt öffentliche und private Bildungseinrichtungen ins Visier. Nach einem Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Sozialversicherung werden Lehrkräfte in klassischen Schulbetrieben regelmäßig als abhängig beschäftigt angesehen. Auch wenn sich dies zunächst auf den Bildungssektor bezieht, zeigt es die verschärfte Prüfpraxis.

Die Berufsverbände fordern klarere gesetzliche Regelungen und mehr Rechtssicherheit für projektbezogene Zusammenarbeit. Ein wichtiger Punkt dabei: die Anerkennung branchenspezifischer Besonderheiten bei der Abgrenzung von Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung.

Risikomanagement als Chefsache

Die Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls entscheidet über die Einstufung. Es gibt nicht das eine Merkmal, an dem man Scheinselbständigkeit zweifelsfrei erkennen kann. Büroinhaber müssen daher eine systematische Herangehensweise entwickeln.

Checkliste für Büroinhaber:

  • Regelmäßige Überprüfung aller Mitarbeiterverträge

  • Dokumentation der unternehmerischen Selbständigkeit freier Mitarbeiter

  • Vermeidung weisungsähnlicher Vorgaben

  • Förderung der Akquisition weiterer Auftraggeber

  • Professionelle Rechtsberatung bei Zweifelsfällen

Besondere Vorsicht ist geboten bei ehemaligen Angestellten, die als freie Mitarbeiter weiterbeschäftigt werden, bei sehr hohen Honorarvolumen einzelner Mitarbeiter und bei intensiver Einbindung in die Büroorganisation.

Ausblick: Verschärfung erwartbar

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zeigt eine zunehmend strengere Linie. Der Gestaltungsspielraum für Unternehmer und deren Mitarbeiter wird abermals kleiner. Planungsbüros müssen sich auf weitere Verschärfungen einstellen.

Gleichzeitig wächst der politische Druck auf eine Reform. Die Verbände setzen sich für praxistauglichere Regelungen ein, die den Besonderheiten der Planungsbranche Rechnung tragen. Bis dahin bleibt nur: maximale Vorsicht bei der Gestaltung freier Mitarbeiterverhältnisse und professionelle Beratung in Zweifelsfällen.

Die unterschätzte Kostenfalle Scheinselbständigkeit kann Büros existenziell bedrohen. Wer rechtzeitig handelt und seine Strukturen überprüft, kann böse Überraschungen vermeiden.