Baukunst - Gegen den Abrisswahn: Wie Weimar sein DDR-Erbe rettet
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Gegen den Abrisswahn: Wie Weimar sein DDR-Erbe rettet

19.06.2025
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Ignatz Wrobel

Die Rettung der Ostmoderne: Wie Thüringens jüngstes Denkmal zum Vorbild wird

Zwischen den Baumkronen des Ilmparks schwebt seit 2022 wieder ein Stück gerettete DDR-Geschichte. Die Mensa am Park der Bauhaus-Universität Weimar hat eine bemerkenswerte Wandlung durchlaufen: vom Abriss-Kandidaten zum denkmalgeschützten Zeugnis der Ostmoderne. Die Sanierung durch Thoma Architekten aus dem thüringischen Zeulenroda-Triebes zeigt exemplarisch, wie im Freistaat mit der baulichen Hinterlassenschaft der DDR umgegangen werden kann.

Thüringens jüngstes Denkmal

Die 1982 in Betrieb genommene Mensa steht seit 2011 unter Denkmalschutz und ist damit das jüngste denkmalgeschützte Gebäude Thüringens. Diese Entscheidung war keineswegs selbstverständlich. Als 2009 der Abriss zugunsten eines Bauhaus-Museums diskutiert wurde, formierte sich Widerstand aus der Hochschule selbst. Studierende und Architektinnen erkannten den besonderen Wert dieses Bauwerks, das exemplarisch für die späte DDR-Moderne steht.

Das Gebäude war nicht nur das soziale Zentrum der Hochschule, sondern auch architekturgeschichtlich bedeutend: Es ist zwar mit industriellem Anspruch, aber individuell und mit viel Sorgfalt für Städtebau, Material und Detail geplant worden. Die Initiative “Mensadebatte” samt eines Seminars an der Bauhaus-Universität brachte schließlich die Behörden dazu, das Bauwerk zu erhalten.

Regionale Baukultur der 1980er Jahre

Die Weimarer Mensa ist eine der letzten Mensen der späten Ost-Moderne und die einzige individuell geplante und noch existierende Mensa der DDR-Moderne. Geplant und mitgebaut wurde sie von Professoren, Mitarbeitern und Studierenden der damaligen Hochschule für Architektur und Bauwesen. Diese partizipative Herangehensweise war typisch für die Baukultur der späten DDR-Zeit, in der trotz normierter Industriebauteile individuelle Lösungen entwickelt wurden.

Die Konstruktion des rechteckigen Gebäudes basiert auf einem mit Mauerwerk ausgefachten Stahlskelettbau mit Betonrippendecken. Besonders prägnant ist die Südwestfassade: Die auskragende Südwestfassade vor Foyer und Speisesaal springt in vier Stufen sägezahnförmig zurück, um einem historischen Gärtnerhaus im Park zu entsprechen. Diese städtebauliche Rücksichtnahme zeigt die Sensibilität der DDR-Planer für den historischen Kontext Weimars.

Denkmalschutzauflagen als Planungsherausforderung

Die Sanierung erfolgte unter Denkmalschutzauflagen und erforderte regelmäßige Abstimmungen mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie und der Fakultät für Architektur. Thoma Architekten standen vor der komplexen Aufgabe, die bauzeittypische Architektur zu erhalten und gleichzeitig moderne Anforderungen an Energieeffizienz, Brandschutz und Barrierefreiheit zu erfüllen.

Die größte Herausforderung stellte die Fassade dar. Fehlende Fluchtwege führten vor der Sanierung zu einer provisorischen Stahlgerüsttreppe aus dem Speisesaal ins Freie. Als Fugenfüllung wurde der asbesthaltige Dichtstoff Morinol vorgefunden. Die Sanierung musste daher unter strengen Schadstoffauflagen erfolgen.

Materielle Authentizität versus energetische Ertüchtigung

Der Umgang mit der ursprünglichen Bausubstanz erforderte innovative Lösungen. Die vorgehängten Platten aus Waschbeton und Betonwerkstein waren verwittert, teilweise korrodiert und abgeplatzt. Da sie fest mit dem Gebäude verankert sind, hätte ihre Demontage Schäden und sichtbare Veränderungen verursacht.

Die Platten wurden also am Gebäude hängend, Stück für Stück gesäubert und sandgestrahlt. Auch Risse wurden an der Fassade ausgebessert und verklebt sowie insgesamt zwei Kilometer Fugen von schadstoffbelasteter Dichtmasse befreit. Ein nur vier Zentimeter dünner Dämmputz sichert auf der Wandinnenseite den Wärmeschutz, ohne das Äußere zu verändern.

Innovative Glaslösungen für historische Fenster

Bei der Verglasung kamen moderne Technologien zum Einsatz. Die demontierbaren Fensterprofile wurden mit einer thermischen Trennlage zum Stahlrahmen und neuen Glasscheiben nachgerüstet. Für die Verglasung kam das farbneutrale Sonnenschutzglas Cool-Lite SKN 176 auf Basis von Planiclear zur Anwendung. Diese Lösung ermöglicht maximale Transparenz bei verbessertem Wärmeschutz – ein wichtiger Aspekt für die Raumatmosphäre des Speisesaals.

Erhalt der charakteristischen Innenraumgestaltung

Besonders gelungen ist der Umgang mit der ikonischen Beleuchtung. Das gerasterte Flirren der mundgeblasenen Kugelleuchten an koppelbaren Metallelementen – wie sie auch im Palast der Republik zum Einsatz gekommen waren – prägt den Raumeindruck. Den zur Entrauchung nötig gewordenen Oberlichtern im Speisesaal fielen allerdings einige der von Peter Rockel 1976 entworfenen Elemente zum Opfer.

Thoma Architekten hatten mit dem Bauherrn darum gerungen, 50 % der über 500 aufwendig zu reinigenden und damit aus hygienischen Gründen verworfenen Leuchten zu erhalten. Dieser Kompromiss zwischen denkmalpflegerischen Anforderungen und praktischen Notwendigkeiten zeigt die Gratwanderung solcher Projekte.

Regionale Handwerkskompetenzen und Budgetdisziplin

Über die finanzielle Seite des Projekts staunt Projektleiter Daniel Geyer von Thoma Architekten noch heute: „Wir haben das Gesamtbudget eingehalten.” Bei einem Investitionsvolumen von 19 Millionen Euro ist dies bemerkenswert für ein denkmalgeschütztes Sanierungsprojekt dieser Komplexität.

Die Zusammenarbeit mit regionalen Partnern erwies sich als Erfolgsfaktor. Neben der ARGE TGA Mensa Weimar aus Jena übernahm das Berliner Milan-Ingenieurbüro die Küchentechnik. Die Glaslieferung erfolgte durch das GK Glaskontor Erfurt – ein Beispiel für die Verzahnung thüringischer und überregionaler Kompetenzen.

Neue Standards für DDR-Moderne

Die Weimarer Mensa setzt neue Maßstäbe für den Umgang mit der DDR-Architektur in Thüringen. Ab 2020 erhielt die Mensa eine neue Haus- und Küchentechnik sowie eine Heizungsanlage mit Heiz-Kühl-Decken. Die Erschließung wurde überarbeitet und aktuellen Brandschutzauflagen angepasst. Die neue Mensa ist barrierefrei und verfügt über 500 Sitzplätze.

Ein Modell für andere Regionen

Es steht zu erwarten, dass in absehbarer Zeit auch die Ästhetik der 1980er-Jahre samt ihrer guten Ideen wieder Wertschätzung erfährt. Die Weimarer Sanierung beweist, dass graue Energie nicht sinnlos drangegeben wurde, dass Material in situ verbleiben konnte und dass die Leistung der DDR-Bauwirtschaft Anerkennung findet.

Das Projekt zeigt exemplarisch, wie Thüringen mit seinem baulichen Erbe umgeht. Die Entscheidung für den Erhalt statt für den Neubau war nicht nur kulturell, sondern auch ökologisch weitsichtig. In Zeiten des Klimawandels und der Ressourcenknappheit wird die Sanierung von Bestandsbauten zur regionalen Schlüsselkompetenz.

Die Mensa ging noch während der Bauarbeiten im Dezember 2021 abschnittsweise in Betrieb. Als letzter Baustein ist seit Mai 2022 auch die Kücheneinrichtung der Cafeteria zu nutzen. Der Blick der Studierenden schweift wieder durch die großen Glasfronten in die Baumkronen des Ilmparks – ein Stück gerettete Geschichte im Herzen Thüringens.