Baukunst - NRW reformiert die kommunale Vergabe: Was Büros jetzt wissen müssen
Düsseldorf © Bastian Pudil/Unsplash

NRW reformiert die kommunale Vergabe: Was Büros jetzt wissen müssen

20.08.2025
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Claudia Grimm

Zwischen Subsidiarität und Rechtssicherheit: NRWs gewagter Vergabespagat

Ein Paradigmenwechsel mit Ansage

Die nordrhein-westfälische Vergabelandschaft steht vor ihrer größten Umwälzung seit Jahren. Mit dem am 9. Juli 2025 verabschiedeten Gesetz zur Modernisierung der kommunalen Auftragsvergabe vollzieht das bevölkerungsreichste Bundesland einen bemerkenswerten Kurswechsel. Ab dem 1. Januar 2026 erhalten die 396 Kommunen zwischen Rhein und Weser deutlich mehr Spielraum bei der Vergabe öffentlicher Aufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte. Für Architektinnen und Planer bedeutet dies: Die vertrauten Vergabemuster werden aufgebrochen, neue Chancen entstehen – aber auch neue Herausforderungen.

Dezentralisierung als Leitmotiv

Der Kern der Reform liegt in der konsequenten Dezentralisierung. Während bislang landesweit einheitliche Vergaberegeln galten, können Städte und Gemeinden künftig eigene Vergabeordnungen erlassen. Köln kann andere Schwerpunkte setzen als Paderborn, Düsseldorf andere Kriterien definieren als Siegen. Diese kommunale Autonomie betrifft Planungsleistungen bis zu einem Auftragswert von 215.000 Euro – also den Großteil der alltäglichen Vergaben im kommunalen Hochbau.

Die Landesregierung reagiert damit auf jahrelange Kritik aus den Rathäusern. Zu starr, zu bürokratisch, zu wenig an lokalen Gegebenheiten orientiert – so lauteten die Vorwürfe gegen das bisherige System. Besonders kleinere Kommunen im ländlichen Raum beklagten, dass die standardisierten Verfahren ihre spezifischen Bedürfnisse ignorierten. Ein Bürgermeister aus dem Sauerland brachte es auf den Punkt: „Wir kennen unsere regionalen Büros, ihre Stärken und Schwächen. Warum sollten wir bei jedem Kindergartenumbau ein europaweites Verfahren durchführen?”

Flexibilität trifft auf Verantwortung

Die neuen Freiheiten sind allerdings kein Freibrief für Willkür. Das Gesetz definiert klare Mindeststandards: Transparenz, Gleichbehandlung und Wirtschaftlichkeit bleiben oberste Gebote. Jede Kommune muss ihre Vergabekriterien öffentlich dokumentieren und begründen. Ein digitales Landesregister soll ab März 2026 alle kommunalen Vergabeordnungen zentral erfassen – ein wichtiges Instrument für Planungsbüros, die überregional tätig sind.

Interessant wird die Ausgestaltung der Qualitätskriterien. Während manche Kommunen weiterhin primär auf den Preis schauen dürften, kündigen progressive Städte wie Münster oder Wuppertal bereits an, verstärkt auf Nachhaltigkeitsaspekte, regionale Wertschöpfung und innovative Planungsansätze zu setzen. Die Stadt Aachen plant sogar, bei kleineren Projekten verstärkt auf Konzeptwettbewerbe zu setzen – eine Chance besonders für junge Büros, sich zu profilieren.

Regionalität als Trumpfkarte

Ein zentraler Aspekt der Reform ist die explizite Stärkung regionaler Strukturen. Kommunen dürfen künftig bei der Vergabe „angemessene regionale Bezüge” berücksichtigen – eine Formulierung, die bewusst Interpretationsspielraum lässt. Für lokale Architekturbüros eröffnet dies neue Perspektiven. Ortskenntnis, etablierte Netzwerke mit regionalen Handwerksbetrieben und kurze Wege können zu echten Wettbewerbsvorteilen werden.

Allerdings warnt die Architektenkammer NRW vor überzogenen Erwartungen. Kammerpräsidentin Ernst-Böhm betont: „Regionalität darf kein Deckmantel für Protektionismus werden. Die EU-rechtlichen Grundsätze gelten weiterhin.” Tatsächlich bewegt sich die Reform in einem schmalen rechtlichen Korridor. Zu offensive Bevorzugung lokaler Anbieter könnte schnell zu Klagen führen – ein Risiko, das viele Kommunen scheuen dürften.

Digitalisierung als Beschleuniger

Bemerkenswert ist der Digitalisierungsschub, den die Reform mit sich bringt. Alle Kommunen müssen bis 2027 digitale Vergabeplattformen einrichten. Kleinere Gemeinden können sich dabei zu Vergabeverbünden zusammenschließen und gemeinsame Plattformen nutzen. Das Land stellt hierfür 45 Millionen Euro Fördermittel bereit – ein Signal, dass die Digitalisierung ernst gemeint ist.

Für Planungsbüros bedeutet dies: Die Zeiten handschriftlicher Angebotsabgaben sind endgültig vorbei. Wer nicht digital aufgestellt ist, wird künftig keine öffentlichen Aufträge mehr akquirieren können. Gleichzeitig vereinfacht die Digitalisierung die Teilnahme an Vergabeverfahren erheblich. Lange Anfahrtswege zur Angebotsabgabe entfallen, die Dokumentation wird transparenter, Rückfragen können schneller geklärt werden.

Qualifikation und Nachwuchs im Fokus

Ein innovativer Baustein der Reform sind die sogenannten „Nachwuchsquoten”. Kommunen können festlegen, dass bei bestimmten Projekten ein definierter Anteil der Planungsleistungen durch Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger erbracht werden muss. Düsseldorf will diese Option nutzen, um gezielt junge Talente zu fördern. Etablierte Büros müssen sich darauf einstellen, verstärkt in Arbeitsgemeinschaften mit Newcomern zu agieren.

Diese Regelung adressiert ein drängendes Problem der Branche: den Fachkräftemangel. Viele Kommunen beklagen, dass bei Ausschreibungen immer dieselben Büros zum Zuge kommen, während qualifizierter Nachwuchs keine Chance erhält, Referenzen aufzubauen. Die Reform könnte hier einen wichtigen Impuls setzen.

Herausforderungen für mittelständische Büros

Nicht alle Aspekte der Reform sind unumstritten. Besonders mittelständische Büros befürchten einen erhöhten Akquisitionsaufwand. Statt sich mit einer landesweiten Vergabeordnung auseinanderzusetzen, müssen sie künftig potentially 396 verschiedene Regelwerke im Blick behalten. Der administrative Aufwand könnte gerade für Büros mit 10 bis 30 Mitarbeitenden zur Belastung werden.

Auch die Gefahr einer Zersplitterung der Vergabelandschaft ist real. Wenn jede Kommune eigene Präqualifikationssysteme entwickelt, eigene Nachweispflichten definiert und eigene Bewertungsmatrizen erstellt, droht ein bürokratischer Flickenteppich. Das Land hat zwar Mustervorlagen angekündigt, deren Nutzung bleibt aber freiwillig.

Ausblick: Evolution statt Revolution

Bei aller Euphorie über neue Freiheiten – die Reform wird keine Revolution über Nacht auslösen. Die meisten Kommunen werden zunächst vorsichtig agieren, bestehende Vergabepraxis nur behutsam modifizieren. Erst mittelfristig, wenn erste Erfahrungen vorliegen und sich Best-Practice-Modelle herauskristallisieren, dürfte das volle Potenzial der Reform sichtbar werden.

Für Architekturbüros gilt: Wer die Chancen der Reform nutzen will, muss sich jetzt vorbereiten. Das bedeutet: Digitale Infrastruktur ausbauen, regionale Netzwerke stärken, Kooperationen mit jungen Büros ausloten und vor allem – die lokalen Entwicklungen genau beobachten. Die Vergabelandschaft in NRW wird bunter, vielfältiger, aber auch anspruchsvoller. Eine Entwicklung, die der Baukultur im Land durchaus guttun könnte.