
Hitzefalle Beton: Die unterschätzte Gefahr
Hitze sowie Sonnenstrahlen, die direkt auf eine frisch gegossene Betonfläche fallen, lassen den Beton zu schnell aushärten und einen Teil des enthaltenen Wassers verdunsten. Dies kann zu einer Rissbildung führen oder die Randzonen schwächen. Was Fachleute als “Verbrennen” des Betons bezeichnen, entwickelt sich von einem theoretischen Randphänomen zur alltäglichen Planungsherausforderung. Bei Oberflächentemperaturen von über 60 Grad Celsius an sonnenbeschienenen Fassaden offenbart sich ein systemisches Problem der deutschen Baubranche.
Insbesondere in den besonders heißen Sommern 2003 und 2013 kam es auf mehreren deutschen Autobahnen zum plötzlichen Ausknicken von Betonplatten mit zum Teil schweren Unfällen. Der tragische Tod eines Motorradfahrers 2013 auf der A93 markierte einen Wendepunkt in der Diskussion. Was im Tiefbau bereits dramatische Folgen zeitigte, erreicht nun den Hochbau – mit erheblichen berufspolitischen Konsequenzen für Architektinnen und Ingenieure.
Normenkollaps trifft Klimarealität
Die technische Regellandschaft gleicht einem Anachronismus. Seit dem Sommer 2023 führt die Normenreihe DIN 1045: Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton verschiedene Normen zusammen, doch die zugrundeliegenden klimatischen Annahmen stammen aus einer Zeit, als Hitzesommer die absolute Ausnahme darstellten. Grundsätzlich soll die Einbautemperatur +30 °C nicht über- und +5°C nicht unterschreiten. Nach DIN 1045-3 sind die Mindesttemperaturen des Frischbetons beim Einbau gefordert – Vorgaben, die angesichts der aktuellen Klimaentwicklung wie aus einer anderen Epoche wirken.
Die Bundesarchitektenkammer schlägt Alarm. Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer ergänzt: „Wir müssen Siedlungen in der Stadt und auf dem Land widerstandsfähiger machen gegen den Klimawandel, der mehr Starkregen und Hitze bringt”. Doch zwischen politischer Willensbekundung und technischer Umsetzung klafft eine gefährliche Lücke.
Der 900-Milliarden-Euro-Elefant im Raum
Fachleute schätzen die Folgekosten des Klimawandels bis 2050 auf rund 900 Milliarden Euro, hauptsächlich durch Schäden an Gebäuden, Infrastruktur und in der Landwirtschaft. Diese astronomische Summe landet zunehmend auf den Schreibtischen der Berufshaftpflichtversicherer – und damit indirekt bei den Planenden. Die Versicherungswirtschaft reagiert bereits: Prämienerhöhungen von 15 bis 20 Prozent innerhalb der letzten zwei Jahre sind keine Seltenheit mehr.
Die rechtliche Situation verschärft die Problematik. Planende befinden sich in einer kafkaesken Situation: Sie müssen nach veralteten Normen planen, haften aber für Schäden, die unter aktuellen klimatischen Bedingungen entstehen. Ein Teufelskreis, der nach politischen Lösungen schreit.
Verfassungsrang für Klimaanpassung
Die Reaktion der Berufsverbände fällt entsprechend radikal aus. „Die Klimaanpassung muss nach Artikel 91 a als Gemeinschaftsaufgabe im Grundgesetz verankert werden”, fordern Mitglieder der Allianz Gemeinsam für eine wasserbewusste Stadtentwicklung. Diese Forderung, unterstützt von der Bundesarchitektenkammer, der Bundesingenieurkammer und 14 weiteren Verbänden, markiert einen Paradigmenwechsel in der Berufspolitik.
Die Bundesarchitektenkammer und die Bundesingenieurkammer haben gemeinsam mit 16 Verbänden der planenden Berufe ihre „Forderungen zur Bundestagswahl 2025″ formuliert, in denen Klimaanpassung eine zentrale Rolle spielt. Die politische Dimension ist klar: Ohne verbindliche rechtliche Grundlagen und gesicherte Finanzierung bleibt Klimaanpassung ein Lippenbekenntnis.
Deutsche Anpassungsstrategie: Hoffnungsschimmer oder Papiertiger?
Mit der Deutschen Anpassungsstrategie 2024 wurden erstmals messbare Ziele für die Klimaanpassung in Deutschland festgelegt. Die meisten Ziele sollen im Jahr 2030 erreicht werden. Die Strategie unterteilt sich in sieben Cluster, darunter Infrastruktur, Stadtentwicklung und übergreifende Handlungsfelder. Doch die Umsetzung stockt bereits an der Basis.
Das Bundesbauministerium arbeitet parallel an einer Überarbeitung der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB). Erste Entwürfe sehen vor, dass klimaadaptierte Betonmischungen zunächst nur in Pilotprojekten mit wissenschaftlicher Begleitung eingesetzt werden dürfen. Ein typisch deutscher Kompromiss, der Innovation ausbremst und Rechtssicherheit vorgaukelt.
Europäische Harmonisierung als Chance und Risiko
Die EU-Kommission treibt eine überarbeitete Bauproduktenverordnung voran, die Klimaresilienz als Grundanforderung definiert. Für deutsche Planungsbüros bedeutet dies zusätzlichen Dokumentationsaufwand und neue Nachweispflichten. Die Kammern befürchten eine „praxisferne Überregulierung”, die besonders kleine und mittlere Büros überfordern könnte.
Gleichzeitig eröffnet die europäische Perspektive neue Möglichkeiten. Spanische und italienische Architektenkammern bieten Mentoring-Programme für deutsche Kolleginnen und Kollegen an. Der Erfahrungsaustausch mit Ländern, die seit Jahrzehnten mit extremen Temperaturen planen, wird zur Notwendigkeit.
Ausbildungsmisere verschärft Fachkräftemangel
Die Hochschullandschaft reagiert träge auf die neuen Anforderungen. Nur 30 Prozent der Architekturfakultäten haben ihre Curricula um Module zum klimaadaptierten Bauen erweitert. Die Dekane verweisen auf fehlende Ressourcen – ein Argument, das angesichts der Dringlichkeit zynisch wirkt.
Das Betonieren bei hohen Temperaturen führt zu einem schnelleren Ansteifen und zur Verkürzung der Verarbeitungszeit. Dieses Grundwissen fehlt vielen Absolventinnen und Absolventen. Die Kammern versuchen, die Lücke durch Fortbildungen zu schließen, stoßen aber an Kapazitätsgrenzen. Die Nachfrage nach Seminaren zum thermischen Verhalten von Baustoffen hat sich binnen zwei Jahren verdreifacht.
Technische Lösungen contra Kostendruck
Lösungsansätze existieren durchaus. Bei Lufttemperaturen zwischen + 5 °C und – 3 °C muss die Betontemperatur beim Einbringen mindestens + 5 °C betragen – für Kälte gibt es präzise Vorgaben. Für Hitze fehlen vergleichbare Standards weitgehend. Spezielle Betonrezepturen, Kühlverfahren während des Transports, angepasste Nachbehandlung – all dies kostet Geld.
Die HOAI bietet keine ausreichende Grundlage für die Abrechnung klimaangepasster Planungsleistungen. Ein Versäumnis, das die Verbände dringend korrigieren wollen. Ohne angemessene Honorierung bleibt Klimaanpassung ein wirtschaftliches Verlustgeschäft für Planungsbüros.
Der Blick nach vorn: Zwischen Innovation und Regulation
Anstelle von Hitzeinseln in Asphalt- und Betonwüsten, müssen wir Entsiegelungen vorantreiben, so die einhellige Forderung der Verbände. Doch die Realität sieht anders aus: Die Versiegelung nimmt weiter zu, während gleichzeitig die Anforderungen an die Hitzebeständigkeit bestehender Bauwerke steigen.
Die Branche steht vor einem fundamentalen Umbruch. Die Kombination aus Klimawandel, veralteten Normen und steigendem Haftungsdruck erzwingt einen Paradigmenwechsel. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob Politik und Verwaltung schnell genug reagieren, um die drohende Haftungskrise abzuwenden.

Wie Österreich seine Denkmaler digital rettet – und real gefährdet

Die Pixellüge: Wie KI-Bilder die Architektur korrumpieren









