Baukunst - Sozialer Wohnungsbau statt Blechlawinen: Karlsruhes mutiger Schritt
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Sozialer Wohnungsbau statt Blechlawinen: Karlsruhes mutiger Schritt

23.09.2025
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Claudia Grimm

Garagendächer als Bauland: Ein Leuchtturm mit Schattenseiten

Zwischen den Zeilenbauten des Karlsruher Stadtteils Rintheim hat sich etwas Bemerkenswertes entwickelt. Wo jahrzehntelang nur Betondecken die Autos vor Regen schützten, thronen heute zwölf neue Wohnungen auf drei Garagenkomplexen. Die Volkswohnung Karlsruhe hat geschafft, woran andere Kommunen verzweifeln: Sie hat brachliegende Flächen mitten in der Stadt aktiviert – ohne einen einzigen Quadratmeter Grün zu versiegeln.

Baden-Württemberg prescht vor

Was in Karlsruhe gelungen ist, spiegelt die progressive Planungskultur Baden-Württembergs wider. Die Landesbauordnung wurde bereits 2019 reformiert, um innovative Nachverdichtung zu erleichtern. Während Bayern noch über Lockerungen der Abstandsflächenregelungen diskutiert und Nordrhein-Westfalen mit seiner komplexen Genehmigungspraxis kämpft, zeigt der Südwesten, wie pragmatische Lösungen aussehen können.

Der Karlsruher Architekt Falk Schneemann hat dabei nicht nur ein architektonisches, sondern ein regionales Statement gesetzt: Die Holzfertigbauweise nutzt ausschließlich Materialien aus dem Schwarzwald und der Rheinebene. „Wir wollten zeigen, dass regionale Wertschöpfung und sozialer Wohnungsbau kein Widerspruch sind”, erklärt der Planer, dessen Büro seit Jahren auf lokale Handwerksbetriebe setzt.

Ost-West-Gefälle der Möglichkeiten

Die Realität sieht andernorts ernüchternd aus. Besonders in den östlichen Bundesländern, wo Garagenhöfe zur DNA der Plattenbausiedlungen gehören, scheitern ähnliche Projekte reihenweise. In Dresden-Prohlis stehen über 2.000 Garagen leer, in Leipzig-Grünau verfallen ganze Komplexe. Die sächsische Bauordnung würde Aufstockungen theoretisch erlauben, doch die maroden DDR-Fertigteilkonstruktionen tragen keine zusätzlichen Lasten.

„Sehr dünner Beton mit kleinen Fundamenten”, charakterisiert Schneemann das Problem. Die westdeutschen Garagen der 1960er und 70er Jahre seien dagegen oft überraschend solide. Ein baukulturelles Erbe, das niemand auf dem Schirm hatte.

Föderale Blockaden

Der wahre Hemmschuh liegt jedoch tiefer: im deutschen Baurecht. Während die Niederlande mit ihrer „Crisis- en herstelwet” temporäre Nutzungsänderungen binnen Wochen genehmigen, dauern Bebauungsplanänderungen hierzulande Jahre. Bayern pocht auf seine restriktiven Abstandsflächenregelungen, Hessen verweist auf den Bestandsschutz alter Bebauungspläne, und in Berlin scheitern Projekte am Milieuschutz.

Das 2021 beschlossene Baulandmobilisierungsgesetz sollte Abhilfe schaffen. Doch die Bilanz ist ernüchternd: Von den 16 Bundesländern haben nur Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin die neuen Spielräume in ihre Landesbauordnungen übernommen. Rheinland-Pfalz diskutiert noch, Sachsen-Anhalt schweigt.

Lokale Allianzen als Erfolgsrezept

Wo es funktioniert, zeigt sich ein Muster: In Karlsruhe arbeiteten Volkswohnung, Stadtplanungsamt und lokale Zimmereibetriebe Hand in Hand. Die Stadt Reutlingen, ebenfalls in Baden-Württemberg, ging einen pragmatischeren Weg: Die dortige GWG setzte Fertigmodule von Schwörerhaus auf neue Garagen – von Anfang an statisch eingeplant.

In München hingegen scheiterte ein ähnliches Projekt der Gewofag am Widerstand der Lokalbaukommission. Die bayerische Landeshauptstadt, die mit 1,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern und astronomischen Mieten kämpft, hat geschätzte 50.000 Garagen. Ein ungenutztes Potenzial von theoretisch 10.000 Wohnungen.

Klimaanpassung trifft Wohnungsnot

Die Karlsruher Lösung punktet auch klimatisch: Die Holzbauweise speichert CO₂, die Dächer sind begrünt, Photovoltaik ist vorbereitet. Das Land Baden-Württemberg förderte das Projekt mit 1,2 Millionen Euro aus dem Programm „Wohnungsbau BW – innovativ”. Andere Bundesländer haben keine vergleichbaren Programme.

Dabei wäre gerade in Hitze-Hotspots wie Frankfurt, Mannheim oder dem Ruhrgebiet die Kombination aus Nachverdichtung und Klimaanpassung essentiell. Doch während Stuttgart seinen Holzbau-Offensive vorantreibt, verharrt Düsseldorf in der Betontradition.

Ein Modell mit Grenzen

Bei aller Euphorie: Das Karlsruher Modell ist kein Selbstläufer. Die 4,5 Millionen Euro Gesamtkosten relativieren sich, wenn man bedenkt, dass nur zwölf Wohnungen entstanden. Die Quadratmeterkosten will die Volkswohnung nicht nennen – „experimenteller Ansatz”, heißt es.

Trotzdem: Die Mieten von 7,75 bis 9,30 Euro pro Quadratmeter sind in Karlsruhe, wo der Durchschnitt bei 12 Euro liegt, eine soziale Tat. Die Warteliste ist lang, die mediale Aufmerksamkeit groß. Delegationen aus Hamburg, Frankfurt und sogar Wien pilgern nach Rintheim.

Ausblick: Revolution von unten

Die Lösung wird nicht vom Bund kommen. Zu verfahren ist die Große Koalition der Bedenkenträger aus Bauordnungsrecht, Brandschutzlobby und Nimby-Mentalität. Die Revolution muss von unten kommen: von mutigen kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, progressiven Oberbürgermeisterinnen und Landräten, die sich trauen, alte Pläne über Bord zu werfen.

Nordrhein-Westfalen plant eine „Experimentierklausel” in der Landesbauordnung. Thüringen prüft ein Sonderprogramm für Garagenaufstockungen. Selbst das traditionsbewusste Bayern denkt um: Ein Pilotprojekt in Augsburg soll 2025 starten.

Die Garagen sind da. Die Wohnungsnot auch. Was fehlt, ist der politische Mut, beides zusammenzubringen. Karlsruhe hat es vorgemacht. Der Rest ist Föderalismus.