
Zwischen Mythos und Archäologie: Das Landesmuseum zeigt, wie zeitgemäße Vermittlung in denkmalgeschützten Räumen gelingt
Die Herausforderung hätte kaum größer sein können: Wie präsentiert man die komplexe Geschichte der Wikinger in einem Renaissance-Schloss, dessen Architektur selbst bereits mehrere Jahrhunderte nach der Wikingerzeit entstand? Schloss Gottorf in Schleswig meistert diesen Spagat mit einer Ausstellungsarchitektur, die den historischen Bestand respektiert und gleichzeitig moderne museumsdidaktische Standards setzt.
Architektonischer Dialog über die Jahrhunderte
Das ehemalige Residenzschloss der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf, dessen Kernbau auf das 12. Jahrhundert zurückgeht, erfuhr im 16. und 17. Jahrhundert seine prägende Umgestaltung zur vierflügeligen Renaissanceanlage. Die aktuelle Wikinger-Ausstellung nutzt geschickt die räumliche Dramaturgie des historischen Gebäudes: Der Parcours führt durch gotische Gewölbekeller, Renaissance-Säle und barocke Raumfolgen – eine architektonische Zeitreise, die der chronologischen Erzählung der Wikinger-Ära eine zusätzliche Dimension verleiht.
Besonders bemerkenswert ist die zurückhaltende Intervention der Ausstellungsarchitekten. Statt die historischen Räume mit opulenter Szenografie zu überfrachten, setzen sie auf minimalistische Einbauten aus geschwärztem Stahl und transluzenten Textilien. Diese bewusste Reduktion lässt die originalen Rippengewölbe und Stuckdecken zur Geltung kommen und schafft gleichzeitig neutrale Zonen für die Präsentation der Exponate.
Schleswig-Holstein als Wikingerland: Regionale Identität im musealen Raum
Die geografische Lage Schleswig-Holsteins zwischen Nord- und Ostsee prädestinierte die Region als Drehscheibe wikingerzeitlicher Handelsrouten. Haithabu, nur einen Steinwurf vom Schloss entfernt, war einst die bedeutendste Handelsmetropole Nordeuropas. Diese regionale Verankerung spiegelt sich in der Ausstellungskonzeption wider: Lokale Funde aus Haithabu und dem Danewerk werden nicht isoliert präsentiert, sondern in ihren europäischen Kontext eingebettet.
Die Landesbauordnung Schleswig-Holstein stellte die Planenden vor besondere Herausforderungen. Brandschutzauflagen in den historischen Holzbalkendecken erforderten innovative Lösungen bei der Wegeführung. Die Integration moderner Klimatechnik zum Schutz der empfindlichen organischen Funde musste unsichtbar erfolgen – ein Kunststück, das durch die geschickte Nutzung vorhandener Kaminschächte und Wandnischen gelang.
Zwischen Bewahrung und Inszenierung
Der konservatorische Spagat zwischen Exponatschutz und Besuchererlebnis zeigt sich exemplarisch im ehemaligen Hirschsaal. Hier inszenieren die Ausstellungsmacherinnen und -macher ein begehbares Wikingerschiff als raumgreifende Installation. Die Konstruktion schwebt frei im Raum, ohne die barocke Stuckdecke oder den historischen Parkettboden zu berühren – eine ingenieurtechnische Meisterleistung, die von den beteiligten Zimmerleuten aus der Region mit traditionellen Handwerkstechniken umgesetzt wurde.
Diese Verbindung von lokalem Handwerk und internationaler Museumsexpertise durchzieht das gesamte Projekt. Tischlerinnen und Schreiner aus dem Umland fertigten die Vitrinen nach Entwürfen eines dänischen Büros, das bereits das neue Wikingerschiff-Museum in Oslo gestaltet hatte. Der Wissenstransfer funktionierte in beide Richtungen: Die skandinavischen Kolleginnen und Kollegen lernten von den strengen deutschen Denkmalschutzauflagen, während die lokalen Handwerker neue Techniken der reversiblen Montage erlernten.
Digitale Layer in historischem Gemäuer
Die Integration digitaler Vermittlungsebenen erfolgt behutsam, aber wirkungsvoll. Projektionen auf den Kalksteinwänden der Kellergewölbe erwecken Runensteine zum Leben, ohne die Bausubstanz zu beeinträchtigen. Augmented-Reality-Stationen ermöglichen es Besuchenden, die ursprüngliche Farbigkeit der heute monochromen Artefakte zu erleben. Diese digitalen Ergänzungen folgen einem strengen Gestaltungskanon: Alle technischen Installationen sind reversibel und fügen sich farblich in die Raumschale ein.
Kritisch anzumerken bleibt die teilweise zu dominante Audiokulisse in den Obergeschossen. Die akustische Trennung der einzelnen Ausstellungsbereiche gelang nicht überall optimal – ein Problem, das in historischen Gebäuden mit ihren offenen Raumfolgen häufig auftritt. Hier wäre eine stärkere Zonierung durch textile Raumteiler wünschenswert gewesen.
Nachhaltigkeit durch Bestandsnutzung
Die Entscheidung, die Ausstellung im historischen Bestand zu realisieren statt einen Neubau zu errichten, zahlt sich auch ökologisch aus. Die graue Energie des Bestands bleibt erhalten, zusätzliche Flächenversiegelung wird vermieden. Die Klimatisierung erfolgt über eine innovative Geothermieanlage, die unter dem Schlosshof installiert wurde – ein Pilotprojekt, das vom Land Schleswig-Holstein im Rahmen des Förderprogramms “Klimaneutrale Kulturbauten” unterstützt wird.
Ausblick: Modell für andere Regionen?
Das Gottorfer Konzept könnte Schule machen. Zahlreiche Museen in historischen Gebäuden stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Die hier gefundenen Lösungen – reversible Einbauten, respektvoller Umgang mit der Bausubstanz, Integration regionaler Handwerksbetriebe – lassen sich durchaus auf andere Kontexte übertragen. Bereits jetzt haben Delegationen aus Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen Interesse an einem Erfahrungsaustausch bekundet.
Die neue Wikinger-Ausstellung in Schloss Gottorf beweist, dass moderne Museumspädagogik und Denkmalschutz keine Gegensätze sein müssen. Sie zeigt exemplarisch, wie regionale Baukultur und internationale Ausstellungsstandards zu einer kraftvollen Synthese verschmelzen können. Ein Leuchtturmprojekt, das weit über Schleswig-Holstein hinausstrahlt.

Wie Österreich seine Denkmaler digital rettet – und real gefährdet

Die Pixellüge: Wie KI-Bilder die Architektur korrumpieren









