
Ein Phantom mit klarem Plan: Wie Erich Schwaiger Münchens Innenstadt umgestaltet
Die Münchner Innenstadt erlebt derzeit ein ungewöhnliches Phänomen: Ein Investor kauft mit bemerkenswerter Geschwindigkeit Immobilien in bester Lage auf. Erich Schwaiger, bekannt aus dem Südpark-Projekt Obersendling, bricht Anfang Oktober 2025 auf zum Einkauftour durch die Fußgängerzone. Hirmer, Sport Schuster, Kaut-Bullinger – Marken, die für Generationen Münchnerinnen und Münchner über Jahrzehnte prägten. Für Immobilienmaklerin und -makler ist es ein rätselhaftes Muster. Für die Stadt ein Moment der Neuausrichtung.
Was zunächst wirkt wie die Sammelleidenschaft eines wohlhabenden Investors, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als strategisches Immobilien-Mosaik. Schwaiger, der bereits Erfahrungen mit großflächigen Entwicklungen hat, konzentriert sich nicht auf periphere Lagen oder Lückenbauplätze. Er zielt auf die traditionsreiche Kernzone ab – dort, wo die großen Namen des Münchner Einzelhandels ihre Wurzeln haben.
Die Strategie dahinter
Die Rapidität der Transaktionen überraschte Immobilienexperten. Innerhalb weniger Tage realisiert Schwaiger mehrere Käufe von Leuchtturm-Immobilien. Das ist kein Zufall, sondern deutet auf eine vorbereitete Akquisitionsstrategie hin. Die Branche munkelt: Was plant ein Investor mit diesen Kultorten? Eine klassische Neunutzung unter bestehender Fassade? Ein radikales Nutzungskonzept?
Die Alte Akademie in der Fußgängerzone rückt dabei in besonderes Augenmerk. Diese Ruine – hinterlassen von René Benkos Signa-Imperiums – ist längst ein urbaner Wundpunkt geworden. Oberbürgermeister Dieter Reiter spricht vom „Schandfleck mitten im Herzen der Fußgängerzone”. Hier konkurriert Schwaiger mit etablierten Playern wie der Heinz Hermann Thiele Familienstiftung und der Hammer AG. Ein ehemaliger CSU-Oberbürgermeister-Kandidat tritt ebenfalls in Erscheinung – die Alte Akademie ist offenbar ein Preis-Objekt geworden, um das mehrere Konzepte ringen.
Das regional-planerische Rätsel
Was bei dieser Entwicklung aus architektonischer Perspektive besonders interessiert: Folgt Schwaiger einem übergreifenden Leitbild? Oder sind es Opportunitätskäufe im Kontext einer generellen Neubewertung innerstädtischer Flächen?
Bayern und München speziell erleben ein urbanes Umdenken. Die klassischen Einzelhandelsflächen, jahrzehntelang Garant für funktionsfähige Fußgängerzonen, verlieren ihre Exklusivität. Onlinehandel, veränderte Konsumgewohnheiten, nachlassende Frequenzen in urbanen Zentren – die Symptome sind diagnosziziert. Die Therapie aber bleibt unklar.
Schwaiger könnte Vorbote einer neuen Epoche sein. Nicht die Tertiarisierung alter Einzelhandelsflächen (wie in vielen deutschen Innenstädten üblich), sondern deren Transformation in flexible, multifunktionale Areale. Mixed-Use-Konzepte mit Büro, Wohnen, experimentelle Kultur- und Kreativräume – München hätte durchaus Kapazität für solche Experimente.
Baurechtliche und kulturelle Komplexitäten
Allerdings: München ist nicht beliebig. Die Landeshauptstadt Bayerns unterliegt – wie alle bayerischen Gemeinden – spezifischen Vorgaben der Bayerischen Bauordnung (BayBO). Neue Nutzungen in der historischen Altstadt erfordern Abwägung mit Denkmalschutzinteressen, Gestaltungsbeiräten, und städtebaulichen Qualitätsstandards. Die Stadt verfügt über einen renommierten Gestaltungsbeirat. Architektonisch versiertheit ist eine Voraussetzung, nicht eine Option.
Was Schwaiger vorhätte – und hier liegt die Kernfrage der Branche – muss sich nicht nur planungsrechtlich, sondern auch kulturell mit Münchens Selbstverständnis auseinandersetzen. Die Innenstadt ist nicht Spielfeld für beliebige Kapitalverwertung, sondern historisch gewachsener Raum mit eigenem Charakter. Die Alte Akademie etwa – wann immer sie reaktiviert wird – wird an ihrer Geschichte gemessen: Ein Ort von kulturellem Gewicht, einstmals Sitz der Kunstakademie, später Münchner kulturelle Institution.
Der Freistaat in der Verantwortung
Interessanterweise droht Schwaiger im Kontext der Alten Akademie mit rechtlichen Schritten gegen den Freistaat Bayern. Das ist ein signaler Moment: Ein privater Investor, der einen öffentlichen Träger in die juristische Defensive treibt. Hier vermischt sich Privateigentum mit öffentlichem Anspruch. Bayern – als Freistaat – muss sich Fragen gefallen lassen: Wie lange lässt man Kulturgüter unbespielt? Welche Verantwortung trägt der öffentliche Sektor?
Das ist keine rein architektonische, sondern auch eine politische Frage. Und sie deutet auf eine generelle Neubewertung hin: Der Privatsektor könnte künftig auch in Münchens Zentrum stärker gestaltend eingreifen.
Ausblick und Chancen
Eines ist klar: Schwaiger ist kein anonymer Finanzinvestor. Er hat Ortskenntnis, baut Erfahrung mit komplexen Projekten. Das Südpark-Projekt in Obersendling – ein ehemaliges Industrie-Areal – zeigt: Der Mann kann überzeugend umdenken. Urbane Transformation ist sein Metier.
Wenn Schwaiger also die klassischen Einzelhandelsflächen Münchens umgestaltet, könnte das die Innenstadt in eine andere Zukunft führen – weniger Konsum-orientiert, möglicherweise experimenteller, offener für neue urbane Mischformen. Oder aber es werden am Ende klassisch Luxus-Wohnungen daraus – die Variante ohne städtebauliche Innovation.
Die Münchner Stadtplanerin und der Stadtplaner sollten genauer hinschauen. Wir alle sollten es. Denn was hier entsteht, könnte exemplarisch sein: Für die Frage, wie Innenstädte überhaupt noch funktionieren können. Und wer die Verantwortung dafür trägt.

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