
Wie die post-smartphone Ära unsere Vorstellung von Interface-Design und räumlicher Interaktion transformiert
Seit Steve Jobs 2007 das iPhone enthüllte, hat sich kaum etwas Grundlegendes an der Smartphone-Form verändert: ein flaches Rechteck, dominiert von einem scrollbaren Bildschirm, überlagert von standardisierten App-Icons. Diese Designer-Orthopädie hat sich so tief ins kulturelle Gedächtnis eingegraben, dass es schwerfällt, sich eine alternative Zukunft vorzustellen. Doch genau hier setzt die Zusammenarbeit zwischen OpenAI und Jony Ive an. Sie stellt eine provokative These in den Raum: Was, wenn die Bildschirmoberfläche nicht die Zukunft der Mensch-Computer-Interaktion ist, sondern deren Sackgasse?
Screenless Computing: Die Wiederkehr des Kontexts
Das geplante OpenAI-Gerät wird beschrieben als so groß wie eine Handfläche, ohne Bildschirm, ausgestattet mit Kameras und Mikrofonen – ein Objekt, das seine Umgebung versteht und interpretiert. Dies ist nicht einfach die Negation des Smartphone-Paradigmas, sondern dessen Umwertung. Statt dass das Gerät eine virtuelle Welt im Kleinen darstellt, wird es zur intelligenten Schnittstelle zwischen BenutzerInnen und ihrer physischen Realität. DesignerInnen und ArchitektInnen kennen dieses Prinzip lange: die Macht des Kontexts. Ein Raum funktioniert nicht, weil er „schön” ist, sondern weil er versteht, was seine NutzerInnen in diesem Moment brauchen. Das ist der gewaltige Unterschied zum Smartphone, das die Welt auf eine glatte, gleichmachende Oberfläche reduziert hat.
Die bisherigen Versuche: Gescheiterte Experimente oder Lehrbeispiele?
Es wäre naiv, zu übersehen, dass diese Vision nicht neu ist. Das Humane AI Pin (699 Dollar) und das Rabbit R1 (199 Dollar) sollten 2024 die Post-Smartphone-Ära einleiten. Sie scheiterten spektakulär. Das AI Pin hatte miserabele Akkulaufzeiten, das R1 erwies sich als kaum mehr als eine Android-App in Hardware-Form. Warum aber scheiterten diese Produkte wirklich? Nicht weil die Idee falsch war, sondern weil sie die fundamentale gestalterische Aufgabe unterschätzten: Es reicht nicht, einen Bildschirm zu entfernen und zu hoffen, dass künstliche Intelligenz das Problem löst. Man muss eine völlig neue Sprache der Interaktion erfinden – eine, die nicht mehr auf Sichtbarkeit, sondern auf Intuition und Antizipation basiert. Genau das ist Ives Expertise.
Der Designer als Übersetzer zwischen Welten
Jony Ive hat sein Leben damit verbracht, technische Komplexität in Form zu übersetzen. Der iMac, das iPod Shuffle, das iPhone – alle diese Objekte sind Meisterwerke der Reduktion auf das Wesentliche. Sie zeigen, dass grossartige Designer nicht Technologie verstecken, sondern ihre innere Logik sichtbar und erlebbar machen. Bei einem screenless AI-Device ist diese Aufgabe noch radikaler: Wie macht man künstliche Intelligenz körperlich erlebbar? Wie kommuniziert ein Objekt Vertrauen und Sicherheit, wenn es keine Bedienoberfläche gibt, auf der BenutzerInnen ihre Kontrolle ausüben können? Das ist nicht länger Produktdesign im klassischen Sinne – das ist räumliches Design, das ist Choreografie der Interaktion.
Die unterschätzte Dimension: Vertrauensarchitektur
Hier offenbaren sich tiefe Probleme, die weder Ive noch Altman einfach „designen” können. Ein palmengrosses Gerät mit Kameras und Mikrofonen, das ständig seine Umgebung analysiert und vorhersagt, was die Benutzerin gerade braucht – das ist nicht nur eine technische Innovation. Es ist ein Eingriff in die Privatsphäre, die Autonomie und das Vertrauen. Nach internen Berichten kämpft das OpenAI-Team mit genau diesen Fragen: Soll das Gerät immer aktiv sein und mitlauschen? Oder nur auf explizite Aufforderung reagieren? Wer kontrolliert die gesammelten Daten? Wie unterscheidet sich das von totaler Überwachung? Diese Fragen lassen sich nicht allein durch Design lösen – sie erfordern eine gesellschaftliche Debatte über die Grenzen zwischen Dienlichkeit und Kontrolle.
Nachhaltigkeit im Kontext der Entwöhnung
Ein kritischer Punkt betrifft die Nachhaltigkeit dieser Vision. Das Smartphone hat sich als ökologisches Desaster erwiesen – Billigelektronik mit kurzen Lebenszyklen, seltene Erden, Elektroschrott in biblischen Mengen. Das OpenAI-Gerät könnte diesen Zyklus entweder durchbrechen oder verstärken. Ein langlebiges, modulares Objekt aus nachhaltigen Materialien, das den klassischen Upgrade-Zwang ersetzt? Das wäre revolutionär. Ein weiteres Gadget, das alle zwei Jahre durch ein neues Modell ersetzt wird, weil die KI-Modelle zu gross werden? Das wäre desaströs. Bislang gibt es keine verlässlichen Signale, in welche Richtung OpenAI plant. Überhaupt: Das Versprechen von Jony Ive, dass dieses Gerät die „unbequeme Beziehung” zwischen Menschen und Technologie heilen könnte, ist bemerkenswert angesichts seiner eigenen Biografie. Der Designer, der das Smartphone zum Massenprodukt machte, präsentiert sich nun als dessen Überwinder. Das ist brillant oder zynisch, je nach Perspektive.
Was Architektur und Design von diesem Experiment lernen können
Der Wert des OpenAI-Projekts liegt weder in seinem kommerziellen Erfolg noch im einzelnen Produkt. Er liegt darin, dass es eine verdrängte Frage wieder auf den Tisch bringt: Wie gestaltet man für Kontexte statt für Oberflächen? Wie entwirft man Interfaces, die unsichtbar sind? Das ist letztlich die Aufgabe von ArchitektInnen und DesignerInnen: Eine bessere Schnittstelle zwischen Menschen und ihrer Umgebung zu schaffen. Das Smartphone hat uns gelehrt, dass Reduktion, Klarheit und Intuitivität funktionieren können. Das kommende Gerät könnte lehren, dass noch radikalere Formen der Immateriellität möglich sind – und dass sie ihre eigenen, neuen Probleme mit sich bringen. Die Frage ist nicht, ob Ive und Altman „das Smartphone ersetzen” werden. Die Frage ist, welche neue Abhängigkeit, welche neue Form von Kontrollierbarkeit und Verletzlichkeit mit ihrer Lösung entstehen wird. Das ist eine architektonische Frage par excellence.
Fazit: Zwischen Hoffnung und Vorsicht
Das Smartphone war nicht einfach ein Produkt – es war eine Neugestaltung der Aufmerksamkeit, der Zeit und der Präsenz. Ein screenless AI-Device könnte eine ebenso tiefe Transformation darstellen. Aber es könnte auch ein teures Gadget für die Superreichen sein, während die gesellschaftlichen Probleme des digitalen Kapitalismus ungelöst bleiben. Was wir von Ive, Altman und ihrem Team erwarten sollten, ist nicht Technologie-Messiahismus, sondern Ehrlichkeit: über die Grenzen ihrer Vision, über die Datenschutzfragen, über die ökologischen Konsequenzen. Ein wirklich innovatives Design würde nicht nur eine neue Benutzeroberfläche versprechen, sondern auch eine neue Benutzer-Verantwortung.

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