Baukunst - Millionen-Einkaufszentrum statt Park! Bozen ärgert sich über Chipperfields Koloss
Bozen? ©Baukunst.art

Millionen-Einkaufszentrum statt Park! Bozen ärgert sich über Chipperfields Koloss

29.10.2025
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Ignatz Wrobel

Ein ambitionierter Kompromiss

Die Eröffnung des WaltherPark im Oktober 2025 markiert das Ende einer europaweit ungewöhnlichen Baugeschichte. Ein Megaprojekt, das erst unter René Benko Gestalt annahm, dann durch die Signa-Pleite kollabierte und schließlich von der deutschen Schoeller Group zu Ende gebracht wurde. Stararchitekt David Chipperfield, dessen Name mit dem Projekt untrennbar verbunden ist, stand vor einer klassischen Aufgabe: Wie verhält man sich zu einem Bauwerk, das geschäftlich unvermeidlich ist, architektonisch aber schwer zu verteidigen?

Die Antwort lautet: Man verlegt das Problem nach außen. Statt sich mit der kommerziellen Realität auseinanderzusetzen – 50.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, 80 internationale Marken, ein Starbucks statt eines Parks – konzentrierte sich Chipperfield auf das, was sichtbar ist: die Fassade. Das Resultat ist im besten Sinne elegant, im kritischen Sinne aber auch genau das, was das Marketing verspricht – eine Tarnung. Cremefarbene, kantellierte Säulen im 4,20-Meter-Rhythmus, messinggoldene Rahmen, viel Luft dazwischen. Eine italienische Leichtigkeit, die an die 1950er-Jahre erinnert. Alles spielt hier Stadt. Nur die Stadt fehlt.

Das Verschwinden des öffentlichen Raums

Bozen stand vor zehnjähriger Planungszeit vor einer echten urbanen Aufgabe: Ein ehemaliger Busbahnhof im Zentrum sollte revitalisiert werden. Das Areal lag tatsächlich brach, die Situation war unbefriedigend. Doch die Lösung, die sich durchsetzte, folgte einer fatalen Logik: Investoren mit Kapital gegen lokale Planungskompetenz auszutauschen. Wie aus stadtsoziologischer Perspektive mehrfach dokumentiert wurde, war dies weniger das Ergebnis einer strategischen städtebaulichen Auseinandersetzung, sondern eher die Folge jahrzehntelangen Stillstands der städtischen Planung selbst.

Der Preis dieser Abkürzung ist erheblich. Der alte Bahnhofspark – ein öffentlicher Freiraum – wurde teilweise von der Shopping-Mall einverleibt. Ein Dachgarten auf der dritten Etage ersetzt ihn formal, nicht aber funktional. Die Bushaltestellte wurde vom Bahnhofsvorplatz an die andere Seite der Mall verlegt. Und der unterirdische Zufahrtstunnel zur Tiefgarage führt zu mehr Autoverkehr, nicht weniger – eine paradoxe Situation bei ausdrücklich formulierten Nachhaltigkeitszielen.

Das politische Theater der Referendalität

2016 führte die Stadt Bozen ein Referendum durch. Rund zwei Drittel der Bevölkerung stimmten für das Projekt – ein Resultat, das seitdem von Befürwortenden als Legitimation angeführt wird. Eine naive Lesart dieser Abstimmung übersieht jedoch eine zentrale Tatsache: Die Frage war nicht ob ein Projekt, sondern dieses Projekt. Alternative Szenarien wurden nicht zur Abstimmung gestellt. Die Argumentation folgte einem klassischen Muster – Bozen ohne WaltherPark ist provinziell, Bozen mit WaltherPark ist europäisch. Ein rhetorisches Spiel, das die Bevölkerung in eine Dichotomie presst, die keine echte Wahl darstellt.

Die Frage der regionalen Identität

Ein bis heute ungelöstes Problem betrifft die Frage der regionalen Identität Südtirols. Der WaltherPark war einmal mit der Hoffnung verbunden, dass hier ein regional verwurzelter Ort entstünde – ein Quartier, das Südtirols Besonderheit widerspiegelt. Stattdessen zeigt sich: Esselunga im Untergeschoss, Peek & Cloppenburg, Virgin Active, die üblichen internationalen Ketten. Ein austauschbares Einkaufszentrum, das genauso gut in Rom oder Mailand stehen könnte. Das ist nicht die Schuld Chipperfields, sondern die der Betreiber und der Politik, die es zuließ.

Architekten wie Thomas Huck haben schon früh vor einer Fehlentwicklung gewarnt: Eine Shopping-Mall zieht Kaufkraft vom Zentrum ab und führt zur Öde der Ortskerne in der Umgebung. Die Bozner Architektinnen und Architekten hätten gerne einen polyzentrischen Ansatz mit lebendigen Quartieren gesehen. Stattdessen wurde auf ein monolithisches Objekt gesetzt.

Architektur und ihre Grenzen

Was Chipperfield geleistet hat, verdient Anerkennung – aber nicht Unkritikalität. Er hat eine Shopping-Mall entworfen, die nicht wie eine Shopping-Mall aussieht. Das ist schwieriger als es klingt. Die Säulenordnung, die Fassadenrhythmik, die Proportionen – alles funktioniert. Es ist zeitgenössische Architektur von hohem Standard. Doch auch der beste Architekt kann nicht einer Nutzung entkommen, die seinem urbanen Denken grundsätzlich widerspricht.

Chipperfield selbst hat gesagt: »WaltherPark gibt der Stadt etwas zurück.« Das ist die Formel, die alle Projektbefürworter verwenden. Doch geben ist hier ein metaphorisches Wort. Faktisch wurde privater Raum dort installiert, wo vorher öffentlicher Raum war. Die Fassade funktioniert als Besänftigungsrhetorik – als architektonische Kompensation für eine urbane Fehlentwicklung.

Ein Blick in die Zukunft

Die eigentliche Frage wird sich erst langfristig zeigen: Wird der WaltherPark zu einem belebten Quartiersanker oder zu einer Altlast? In Wien und Innsbruck haben ähnliche Signa-Projekte gezeigt, dass Investorenstädte langfristig auch zu Investorenstädten bleiben – mit allen Konsequenzen. Die Sorgen um die Austrocknung des innerstädtischen Einzelhandels sind nicht grundlos. Und die Verkehrssituation wird sich verschärfen, nicht entspannen.

Was bleibt, ist ein beeindruckendes Gebäude in einer fragwürdigen Situation. Und ein Lehrstück darüber, was passiert, wenn architektonische Ambition auf städtebauliche Konzeptlosigkeit trifft.