Baukunst - Museum Wiesbaden: Warum ein Wiener Büro deutsche Kulturbaupolitik beschämt
Erweiterung des Museums Wiesbaden © Schenker Salvi Weber ZT GmbH

Museum Wiesbaden: Warum ein Wiener Büro deutsche Kulturbaupolitik beschämt

26.11.2025
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Claudia Grimm

Wiener Eleganz im hessischen Südhof

Der Wettbewerb für den Erweiterungsbau des Museums Wiesbaden setzt Maßstäbe für den respektvollen Umgang mit denkmalgeschützten Ensembles

Das Museum Wiesbaden feiert 2025 seinen 200. Geburtstag. Im Jahr der Jubiläumsfeierlichkeiten verkündete das Land Hessen die Entscheidung eines Architekturwettbewerbs, der die räumliche Zukunft des Landesmuseums für Kunst und Natur besiegeln soll. Das Wiener Büro Schenker Salvi Weber setzte sich gegen 18 Mitbewerber durch und präsentiert einen Entwurf, der die heikle Balance zwischen historischer Substanz und zeitgenössischem Anspruch meisterhaft auslotet.

Ein Denkmal verlangt nach Erweiterung

Der Bestandsbau an der Friedrich Ebert Allee, zwischen 1912 und 1920 nach Plänen des renommierten Museumsarchitekten Theodor Fischer errichtet, gehört zu den bedeutendsten Kulturbauten der Landeshauptstadt. Fischer, dessen Hessisches Landesmuseum in Kassel und das Kunstgebäude am Stuttgarter Schlossplatz zeitgleich entstanden, schuf in Wiesbaden ein dreiflügeliges Ensemble, das den bildungsbürgerlichen Geist des frühen 20. Jahrhunderts atmet. Vor dem Haupteingang plante Fischer einst ein Goethe Denkmal, was angesichts der Rolle Johann Wolfgang von Goethes bei der Museumsgründung 1825 durchaus programmatischen Charakter besaß.

Heute verfügt das Haus über rund 7.400 Quadratmeter Ausstellungsfläche, die Kunstsammlungen von den Alten Meistern über die Klassische Moderne bis zur Gegenwartskunst sowie die Naturhistorischen Sammlungen beherbergen. Doch der Raum genügt längst nicht mehr. Museumsdirektor Dr. Andreas Henning bringt die Situation auf den Punkt: Der Erweiterungsbau sei grundlegend für jegliche Weiterentwicklung des Landesmuseums. Erstmals erhalte man konkurrenzfähige Sonderausstellungsflächen, adäquate Depotflächen und Räume für Gegenwartskunst.

Das Wettbewerbsverfahren

Das Land Hessen, vertreten durch das Finanzministerium, lobte den nichtoffenen Realisierungswettbewerb nach RPW aus. Der Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen übernahm die Betreuung, die Düsseldorfer FALTIN+SATTLER FSW GmbH fungierte als Wettbewerbsbetreuerin. Aus über 120 Bewerbungen wurden 20 Architekturbüros zur Teilnahme eingeladen. Das hochkarätig besetzte Preisgericht unter Vorsitz von Professorin Gesine Weinmiller vereinte Fachpreisrichterinnen und Fachpreisrichter der Architektur mit Vertreterinnen und Vertretern des Wissenschafts, des Finanzministeriums, des Landesbetriebs, des Museums, der Stadt Wiesbaden und des Landesamts für Denkmalpflege.

Das Verfahren verlief in zwei Phasen. Im Juli 2025 entschied die Jury, zwei Konzepte auf einem geteilten zweiten Rang zu platzieren und beide Büros in eine Überarbeitungsphase zu schicken. Im November 2025 beurteilte das Preisgericht die präzisierten Arbeiten erneut und votierte schließlich einstimmig für den Siegerentwurf von Schenker Salvi Weber. Den zweiten Platz belegte Wandel Lorch Götze Wach aus Frankfurt am Main. Unter den weiteren Platzierten fanden sich renommierte Büros wie Degelo Architekten, gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner, Faerber Architekten und Staab Architekten.

Die städtebauliche Herausforderung

Die Entwurfsaufgabe konzentrierte sich auf ein Baufeld im Südhof des Bestandsgebäudes, eine Entscheidung, die nach intensiven Voruntersuchungen und Abstimmungen mit allen Beteiligten getroffen wurde. Die kompakte Baufläche, die denkmalschutzrechtlichen Restriktionen und die Notwendigkeit einer sensiblen Integration in Fischers Ensemble machten die Aufgabe zu einer der anspruchsvollsten im aktuellen hessischen Kulturbauprogramm. Gefordert waren rund 3.000 Quadratmeter zusätzliche Nutzfläche für Sonder und Dauerausstellungen, Depoträume sowie Büro und Technikflächen.

Die planerische Leitlinie sah eine deutliche gestalterische Trennung von Alt und Neubau vor. Die historische Struktur des Fischer Ensembles sollte respektiert, zugleich aber eine zeitgemäße Erweiterung geschaffen werden. Kein leichtes Unterfangen, denn allzu viele Erweiterungsbauten der vergangenen Jahrzehnte scheiterten an genau dieser Gratwanderung zwischen Anpassung und Eigenständigkeit.

Der Siegerentwurf: Klarheit und Respekt

Das Wiener Büro Schenker Salvi Weber, 2009 von Andres Schenker, Michael Salvi und Thomas Weber gegründet, bringt einschlägige Erfahrung im Museumsbau mit. Das KinderKunstLabor in St. Pölten, mit dem Bauherrinnen und Bauherrenpreis 2024 ausgezeichnet, das Museum Belvedere Salzburg, derzeit im Bau, sowie die Nominierung für den Mies van der Rohe Award 2018 belegen die Kompetenz des mittlerweile rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählenden Teams.

Juryvorsitzende Gesine Weinmiller begründete die Entscheidung: Der Entwurf überzeuge durch eine klare städtebauliche Haltung, respektvollen Umgang mit dem Bestand und eine eigenständige architektonische Identität. Die funktionale Organisation mit zentralem Atrium und durchdachter Erschließung biete hohe räumliche Qualität. Insgesamt handele es sich um eine überzeugende, weiterentwickelte Lösung mit großem Entwicklungspotenzial.

Nachhaltigkeit als Planungsprämisse

Der geplante Erweiterungsbau soll nach den Maßstäben des Bewertungssystems Nachhaltiges Bauen realisiert werden und mindestens den Silber Standard erreichen. Ziel ist es, den Neubau mit einem geringen CO2 Fußabdruck zu errichten und im Betrieb klimaneutral zu betreiben. Passive Strategien zur Energieeinsparung, klimaresiliente Bauweisen und der Einsatz regenerativer Energien werden Teil der weiteren Planung sein. Damit reiht sich das Projekt in die ambitionierte Nachhaltigkeitsstrategie des Landes Hessen ein.

Politische Dimension und Ausblick

Kunst und Kulturminister Timon Gremmels betonte, der Entwurf verbinde architektonische Qualität, funktionale Klarheit und eine sensible Einbindung in den historischen Bestand. Das Bauvorhaben stehe beispielhaft für den Anspruch Hessens, Kultur, Architektur und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen. Finanzminister Professor Dr. R. Alexander Lorz verwies auf die beharrlich wachsende Sammlung, die den Anbau notwendig mache.

Museumsdirektor Henning formulierte einen bemerkenswerten Wunsch: Den herausragenden Siegerentwurf zu realisieren, wäre das schönste Geschenk, das die Landesregierung dem Museum zu seinem 200jährigen Jubiläum machen könnte. Ob und wann dieses Geschenk überreicht wird, bleibt abzuwarten. Der Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen wird nun ein Verhandlungsverfahren mit den Preisträgerinnen und Preisträgern durchführen. Erst nach dessen Abschluss werden Kosten und Zeitrahmen konkretisiert.

Kritische Würdigung

Der Wettbewerb demonstriert, wie anspruchsvolle Planungskultur funktionieren kann. Die Zweiphasigkeit des Verfahrens, die hochkarätige Jurybesetzung, die Einbeziehung der Denkmalpflege von Beginn an: All dies zeugt von professionellem Vorgehen. Die Entscheidung für ein internationales Büro mit deutschsprachigem Hintergrund erscheint nachvollziehbar, brachte Schenker Salvi Weber doch sowohl Schweizer Präzision als auch österreichische Kulturbaukompetenz mit.

Ob der Erweiterungsbau tatsächlich realisiert wird, hängt letztlich von politischen Prioritäten und Haushaltsentscheidungen ab. In Zeiten knapper öffentlicher Kassen steht die Kulturbaupolitik unter besonderem Rechtfertigungsdruck. Doch gerade das 200jährige Jubiläum bietet einen symbolischen Anlass, in die Zukunft des Hauses zu investieren. Das Museum Wiesbaden, dessen Ursprünge auf bürgerschaftliches Engagement und Goethes Weitblick zurückgehen, verdient eine bauliche Fortsetzung seiner beeindruckenden Geschichte.