Baukunst - Frank Gehry gestorben: Nachruf auf den Architekten des Guggenheim Bilbao
Guggenheim Museum Bilbao © Depositphotos_21669199_S

Frank Gehry gestorben: Nachruf auf den Architekten des Guggenheim Bilbao

11.12.2025
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Ignatz Wrobel

Frank Gehry ist tot – seine Signature Architecture lebt weiter

Am 5. Dezember 2025 verstarb Frank Owen Gehry in seinem Haus in Santa Monica nach einer kurzen Atemwegserkrankung. Der kanadisch amerikanische Architekt wurde 96 Jahre alt. Mit ihm verliert die Architekturwelt einen ihrer prägendsten und zugleich umstrittensten Gestalter der vergangenen Jahrzehnte.

Der späte Aufstieg zum Stararchitekten

Gehrys Karriere verlief alles andere als geradlinig. Geboren 1929 in Toronto als Sohn jüdisch polnischer Einwanderer unter dem Namen Ephraim Owen Goldberg, zog er 1947 mit seiner Familie nach Los Angeles. Er studierte Architektur an der University of Southern California und Stadtplanung in Harvard. Seine frühen Jahre waren geprägt von konventionellen Bauten und finanziellen Schwierigkeiten – zeitweise fuhr er sogar Lieferwagen, um über die Runden zu kommen.

Der Wendepunkt kam Ende der 1970er Jahre, als Gehry begann, mit vermeintlich ärmlichen Materialien zu experimentieren: Sperrholz, Wellblech, Maschendrahtzaun. Diese Cheapskate Architecture, wie er sie selbst nannte, markierte den Beginn einer radikal neuen Formensprache. Sein eigenes Wohnhaus in Santa Monica, das er 1978 umbaute, wurde zur architektonischen Sensation und zum Manifest seiner dekonstruktivistischen Ästhetik.

Bilbao und die Geburt eines Phänomens

Den internationalen Durchbruch erlebte Gehry erst jenseits seines 60. Geburtstags. 1997 eröffnete das Guggenheim Museum in Bilbao – ein Bauwerk, das die Architekturgeschichte in ein Davor und Danach teilen sollte. Die titanverkleidete Skulptur am Nervión verwandelte eine niedergehende Industriestadt in ein globales Reiseziel. Der Begriff Bilbao Effekt wurde zum Synonym für die transformative Kraft spektakulärer Architektur.

Philip Johnson, der Nestor der amerikanischen Architektur, nannte es das großartigste Gebäude unserer Zeit. Kritiker, Akademikerinnen und das breite Publikum waren gleichermaßen begeistert – ein seltener Moment kollektiver Verzückung in einer oft zerstrittenen Disziplin. Der Pritzker Preis, die höchste Auszeichnung der Architektur, war Gehry bereits 1989 verliehen worden, als sein späterer Erfolg noch gar nicht absehbar war.

Gehrys Spuren in Deutschland

Auch im deutschsprachigen Raum hinterließ Gehry markante Bauten. Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein von 1989 gilt als sein erster reifer Bau und etablierte seinen unverwechselbaren Stil erstmals auf europäischem Boden. Der Neue Zollhof in Düsseldorf, fertiggestellt 1999, prägte die Transformation des ehemaligen Hafens zum Medienhafen entscheidend mit. Das Museum MARTa in Herford demonstrierte 2005, dass Gehrys Formensprache auch mit traditionellem Ziegelmauerwerk funktioniert.

Besonders interessant ist das DZ Bank Gebäude am Pariser Platz in Berlin von 2001. Hier musste sich Gehry den strengen Gestaltungsvorgaben des historischen Platzes unterordnen – die Fassade fügt sich brav in die Nachbarschaft ein. Doch im Inneren öffnet sich ein dynamisches Atrium mit einem skulpturalen Konferenzsaal, den Kritikerinnen als implodierten Gehry beschrieben haben. Ergänzt wurde sein Berliner Vermächtnis 2017 durch den intimen Pierre Boulez Saal.

Die Kritik an der Signature Architecture

Gehrys Werk blieb nicht unwidersprochen. Die Kritik an der sogenannten Signature Architecture, jener selbstreferentiellen Formensprache, die einen Bau schon auf dem Foto unverwechselbar macht, wuchs mit seinem Erfolg. Städte überall auf der Welt erhofften sich vom Engagement eines Stararchitekten einen eigenen Bilbao Effekt – und wurden häufig enttäuscht. Eine Studie der TU München kam zu dem ernüchternden Fazit: Die Bilbao Formel gibt es nicht.

Die immensen Baukosten, die aufwendige Instandhaltung und die oft fragwürdige Nutzbarkeit spektakulärer Kulturbauten standen zunehmend in der Kritik. Gehrys noch immer unvollendetes Guggenheim Museum in Abu Dhabi geriet wegen der Arbeitsbedingungen auf der Baustelle ins Visier von Menschenrechtsorganisationen. Die Frage, ob die Architektur dem Raumprogramm dient oder umgekehrt das Programm der Architektur, begleitete Gehrys Schaffen durch seine gesamte Karriere.

Das digitale Erbe

Die entscheidende Innovation lag nicht allein in der Formensprache, sondern im Werkzeug: Gehry nutzte als einer der Ersten die gleiche Software, mit der auch Kampfjets entworfen werden, um seine delirierenden Fassaden zu realisieren. Der Computer ermöglichte den präzisen Zuschnitt jeder einzelnen Titanplatte in Bilbao, jeder geschwungenen Glasfläche in Paris. Ohne digitale Planung wären Gehrys Bauten unbaubar geblieben.

Dieser Pioniergeist prägte eine ganze Generation von Architektinnen und Architekten. Nur Zaha Hadid konnte sich mit einer eigenen, ebenfalls dem Computer entlockten Formensprache als ähnlich gesinnte Konkurrentin behaupten. Gemeinsam definierten sie, was im digitalen Zeitalter architektonisch möglich wurde.

Ein ambivalentes Vermächtnis

Frank Gehry hinterlässt ein Werk, das polarisiert. Seine Bauten sind Ikonen der zeitgenössischen Architektur und gleichzeitig Symbole einer Ära, in der der Wow Faktor wichtiger schien als städtebauliche Einbindung oder nachhaltige Nutzung. Dass er die Bezeichnung Stararchitekt nie mochte, gehört zu den Ironien seines Lebens. Es gibt Leute, die Gebäude entwerfen, die technisch und finanziell nicht gut sind, und es gibt solche, die das tun, sagte er einmal lakonisch.

Als Gehry nach der Fertigstellung des Guggenheim Museums auf einen Hügel über Bilbao stieg und auf sein Werk blickte, fragte er sich kurz, was er da zur Hölle den Menschen angetan habe. Diese Selbstironie, gepaart mit unerschütterlichem Optimismus, machte ihn sympathisch. Architektur sollte nicht traurig sein, war eines seiner Credos. Seine Bauten, die keinen rechten Winkel zu kennen scheinen, sind alles andere als das: Sie strahlen Lebensfreude aus, auch wenn sie manchmal zu laut sind für ihre Umgebung.

Mit Frank Gehry endet eine Ära der Architektur, die den Mut hatte, die Schwerkraft herauszufordern. Ob seine Bauten in fünfzig Jahren noch als Meisterwerke gelten oder als Verirrungen einer überhitzten Kulturindustrie – das wird die Zeit zeigen. Was bleibt, ist das Staunen über einen Mann, der seine Häuser tanzen lehrte.