Baukunst - Haus der Geschichte: Wenn Demokratie zum Erlebnispark wird
Wie Deutschland seine Konflikte ausblendet © Stiftung Haus der Geschichte/Das Hochhaus

Haus der Geschichte: Wenn Demokratie zum Erlebnispark wird

14.12.2025
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Claudia Grimm

Die neue Dauerausstellung in Bonn zwischen partizipativer Inszenierung und historischer Oberflächlichkeit

Am 9. Dezember 2025 öffnete das Haus der Geschichte in Bonn seine Pforten für die erste grundlegende Neukonzeption seit der Eröffnung 1994. Was Kulturstaatsminister Wolfram Weimer bei der Eröffnung als Ort beschrieb, an dem die deutsche Geschichte Körperlichkeit und Seele bekomme, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ambivalentes Unterfangen zwischen demokratischem Bildungsauftrag und nostalgischer Erlebnisarchitektur.

Ein Museum sucht seine Identität

Das von Ingeborg und Hartmut Rüdiger entworfene Gebäude an der Bonner Museumsmeile galt bei seiner Fertigstellung als gelungener Ausdruck republikanischer Bescheidenheit. Die klare Linienführung aus Granit, Sichtbeton und Betonstein, die über Rampen verbundenen Ausstellungsebenen und das zentrale Foyer als kommunikatives Herzstück verkörperten jenen nüchternen Geist der Bonner Republik, den das Haus inhaltlich dokumentieren sollte. Metall und Glas, die konsequente Tageslichtführung und die zurückhaltende Materialität unterschieden das Museum bewusst von monumentalen Kultstätten wie der benachbarten Bundeskunsthalle.

Dreißig Jahre später steht das Haus vor einer grundlegend veränderten Herausforderung. Mehr als 14 Millionen Besucherinnen und Besucher haben die alte Ausstellung durchschritten, doch die chronologische Gewichtung war zunehmend aus dem Gleichgewicht geraten. Die 35 Jahre nach 1990 beanspruchten zuletzt kaum mehr Raum als die vier Jahre unmittelbarer Nachkriegszeit. Die Neukonzeption verspricht Abhilfe: Der Zeitraum von 1990 bis 2025 erhält nun ebenso viel Fläche wie die gesamte Ära der deutschen Teilung.

Erlebnis verdrängt Erkenntnis

Unter dem programmatischen Titel Du bist Teil der Geschichte setzt die neue Dauerausstellung auf maximale Partizipation. Besucherinnen und Besucher können ihre Silhouette auf historische Bilder projizieren, ihr Geburtsjahr eingeben, um Fotografien der entsprechenden Dekade aufleuchten zu sehen, oder herausfinden, wie häufig der eigene Name in Deutschland vorkommt. Ein riesiges rundes Kino inszeniert den 9. November 1989 als emotionalen Höhepunkt, den Ausstellungsdirektor Thorsten Smidt unbefangen als Gänsehautmoment bezeichnet.

Was auf den ersten Blick zeitgemäß und zugänglich wirkt, offenbart bei näherer Betrachtung eine problematische Schlagseite. Die Zahl der Objekte wurde um die Hälfte reduziert, von über 7.000 auf etwa 3.850 Exponate. Noch gravierender wiegt die Zurücknahme vertiefender Angebote: Während die alte Ausstellung an nahezu jeder Station Videos und ausfahrbare Schautafeln zur Verfügung stellte, müssen sich Interessierte nun meist mit knappen Übersichtstafeln in betont einfacher Sprache begnügen.

Die Architektur des Ausweichens

Besonders auffällig ist das, was fehlt. Die rund 90 Einzelschicksale einfacher Leute, die zur Identifikation einladen sollen, stehen in merkwürdigem Kontrast zur nahezu vollständigen Abwesenheit prägender Politikerinnen und Politiker. Konrad Adenauer ist außer durch seinen Mercedes 300 aus der Ausstellung praktisch verschwunden. Der Regierungswechsel von 1982 wird nicht einmal erwähnt. Angela Merkels Vitrine verzichtet auf Wir schaffen das und Merkel muss weg zugunsten von Deutschland-Kette und Rautenhänden.

Diese Entpolitisierung der Politikgeschichte setzt sich in der Darstellung jüngerer Entwicklungen fort. Der Ost-West-Gegensatz scheint mit einem Schaukasten zur Treuhand überwunden. Die Flüchtlingskrise wird auf die Formel reduziert, dass Probleme bei Unterbringung und Integration die Stimmung hätten kippen lassen. PEGIDA und andere Proteste von rechts kommen überhaupt nicht vor. Die AfD, seit Jahren Gesprächsthema Nummer eins im politischen Deutschland, ist gerade einmal mit drei Flyern vertreten.

Nordrhein-Westfalen und die Last der Repräsentation

Als bundespolitisches Museum in Nordrhein-Westfalen trägt das Haus der Geschichte eine besondere Verantwortung. Es repräsentiert nicht nur die Geschichte der alten Bundeshauptstadt, sondern auch das demokratische Selbstverständnis eines Bundeslandes, das sich seiner Rolle als bevölkerungsreichster Flächenstaat bewusst ist. Die nordrhein-westfälische Tradition kritischer Geschichtsarbeit, wie sie etwa das Haus der Geschichte NRW in Düsseldorf verkörpert, findet in der neuen Bonner Dauerausstellung allerdings kaum Widerhall.

Dabei wäre gerade die rheinische Planungskultur prädestiniert, den Zusammenhang von Alltag und Politik differenziert darzustellen. Die sozialliberalen Gesellschaftsreformen, die Protestbewegungen gegen den NATO-Doppelbeschluss, die strukturpolitischen Verwerfungen des Ruhrgebiets: All dies sind Themen, die im neuen Ausstellungskonzept zu Modephänomenen verblassen oder gänzlich verschwinden.

Zwischen Lagerfeuer und Bildungsauftrag

Die konzeptionelle Grundentscheidung, Kontroversen weitgehend zu meiden und den Alltag als kleinsten gemeinsamen Nenner zu präsentieren, mag aus vermittlungspraktischer Perspektive nachvollziehbar erscheinen. Doch erfüllt ein republikanisches Museum seinen Auftrag, wenn es das, was die Gesellschaft tatsächlich spaltet, ausblendet? Lernen Besucherinnen und Besucher demokratischen Streit und persönliche Meinungsbildung, wenn sie lediglich durch nostalgische Schaufensterlandschaften der Siebziger spazieren und das eigene Kinderzimmer der Neunziger wiederentdecken?

Staatsminister Weimer sprach in seiner Eröffnungsrede davon, dem Faustisch-Ewigen an uns Deutschen werde hier Genüge getan. Die Wortwahl irritiert. Wer in dieser Ausstellung die bundesdeutsche Seele sucht, wird vermutlich vor allem eine Geschichte der Konsensfähigkeit finden, die gerade dort schweigt, wo Konsens am nötigsten wäre.

Ein Fazit mit Vorbehalten

Die architektonische Hülle des Hauses der Geschichte, dieser einladende, vielschichtige Bau, der demokratische Vielfalt und transparentes Denken reflektieren sollte, wirkt angesichts der inhaltlichen Neuausrichtung fast zu selbstbewusst. Die kluge Raumkonzeption der Architekten Rüdiger verdiente eine Ausstellung, die sich der Komplexität deutscher Zeitgeschichte ebenso stellt wie die Architektur selbst. Was bleibt, ist ein professionell inszeniertes Erlebnisangebot, das seine 3.850 Objekte ansprechend präsentiert, aber die Zumutung historischer Bildung scheut. Ob das den 850.000 jährlichen Besucherinnen und Besuchern gerecht wird, die mehr erwarten dürften als kuratierte Nostalgie, sei dahingestellt.