Baukunst - Abriss-Alarm in Frankfurt: Wie die Kulturmeile historische Denkmäler verschlingt
Frankfurt © unsplash/Jan-Philipp Thiele

Abriss-Alarm in Frankfurt: Wie die Kulturmeile historische Denkmäler verschlingt

28.07.2025
 / 
 / 
Claudia Grimm

Ein architektonischer Konflikt zwischen Vision und Bewahrung

Frankfurt am Main, die Stadt der Kontraste, steht erneut vor einer städtebaulichen Zerreißprobe. Während die Skyline unaufhaltsam in die Höhe wächst, droht am Boden ein Stück Baugeschichte zu verschwinden. Der geplante Neubau des Schauspielhauses auf dem Areal der Frankfurter Sparkasse wirft einen langen Schatten auf gleich mehrere denkmalgeschützte Gebäude. Was als ambitioniertes Kulturprojekt gedacht war, entwickelt sich zu einem Lehrstück über den ewigen Konflikt zwischen städtebaulicher Entwicklung und Denkmalschutz.

Die sogenannte Kulturmeile, jenes Prestigeprojekt zwischen Stadt, Sparkasse und Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), sollte eigentlich Frankfurts kulturelle Zukunft sichern. Doch nun zeigt sich: Der Preis könnte der Verlust architektonischer Vergangenheit sein. Ein Dilemma, das in der Mainmetropole beileibe kein Einzelfall ist.

Die bedrohten Zeitzeugen

An der Neuen Mainzer Straße 53 erhebt sich seit 1908 ein Geschäftshaus, das die wilhelminische Ära in Stein gemeißelt hat. Seine breite Risalitfassade mit Kolossalpilastern, der kleine Axialgiebel und die retardierende Bauplastik – für Laien vielleicht nur Fachbegriffe, für Architekturhistorikerinnen und -historiker jedoch Zeugnis einer Epoche, in der Frankfurt seine Identität als moderne Handelsmetropole formte. Das neoklassizistische Gebäude ist mehr als nur eine hübsche Fassade; es dokumentiert den Übergang der Stadt ins 20. Jahrhundert.

Nur zwei Hausnummern weiter, an der Nummer 55, steht ein noch älterer Zeitzeuge: Ein klassizistisches Gebäude aus dem Jahr 1830, das die biedermeierliche Bürgerlichkeit Frankfurts verkörpert. Beide Bauten stehen unter Denkmalschutz – ein Status, der in der Praxis jedoch oft weniger Schutz bietet, als man vermuten möchte.

Doch nicht nur an der Neuen Mainzer Straße droht Verlust. Am Willy-Brandt-Platz steht das denkmalgeschützte Foyer der zum Abriss vorgesehenen Theater-Doppelanlage. Herzstück dieses Raumes ist die Wolkenskulptur des Künstlers Zoltan Kemeny – ein Kunstwerk, das die optimistische Aufbruchsstimmung der Nachkriegsmoderne atmet. Es ist diese Art von Raumkunst, die unwiederbringlich verloren geht, wenn der Abrissbirne freie Bahn gelassen wird.

Das Kulturmeile-Projekt: Vision mit Nebenwirkungen

Die Vereinbarung zur Kulturmeile klang zunächst vielversprechend: Ein neues Schauspielhaus sollte im nördlichen Teil des Sparkassen-Areals entstehen, dort wo ursprünglich ein 175 Meter hohes Hochhaus geplant war. Die Beschreibung des Standorts versprach sogar explizit: “Die denkmalgeschützte Sockelzone zur Neuen Mainzer Straße ist dabei vollständig zu erhalten und frühzeitig in die Planung einzubeziehen.”

Doch wie so oft liegt der Teufel im Detail. Der Hochhaus-Standort wurde mittlerweile nach Süden verlegt, wodurch das Baudenkmal von 1908 nun mitten im geplanten Theaterareal liegt. Die veröffentlichten Visualisierungen lassen wenig Gutes ahnen: Das historische Gebäude würde wohl in den Theater-Neubau “integriert” – ein Euphemismus, der in Frankfurt oft genug bedeutet hat, dass von einem Denkmal nur die Fassade übrig bleibt.

Die mahnende Stimme der Fachleute

Der Landesdenkmalrat, jenes Expertengremium, das den hessischen Wissenschafts- und Kunstminister berät, schlägt Alarm. Ko-Vorsitzender Philipp Oswalt bringt es auf den Punkt: Das für Theater und Hochhaus vorgesehene Grundstück sei für die Bauaufgabe sehr beengt. Die ebenfalls geschützten Wallanlagen müssten berücksichtigt werden. Eine architektonische Quadratur des Kreises.

Oswalt spricht aus, was viele Denkmalschützerinnen und Denkmalschützer denken: “Es ist in Frankfurt leider eine bittere Tradition, von denkmalgeschützten Bauten nur die Fassade zu erhalten.” Eine Fassadenerhaltung mag oberflächlich betrachtet wie ein Kompromiss erscheinen, doch sie beraubt ein Gebäude seiner Seele, seiner räumlichen Logik, seiner Geschichte.

Die Warnungen gehen noch weiter: Nicht nur das Gebäude von 1908 sei gefährdet, auch das klassizistische Nachbarhaus von 1830 sowie die Wallanlagen könnten durch Baugrube und Baustelleneinrichtung in Mitleidenschaft gezogen werden. Ein Dominoeffekt der Zerstörung, der weit über das eigentliche Baufeld hinausreicht.

Frankfurts problematischer Umgang mit dem Erbe

Die Kritik des Landesdenkmalrats trifft einen wunden Punkt der Frankfurter Stadtentwicklung. Die Mainmetropole hat sich den Ruf erworben, besonders rücksichtslos mit ihrer historischen Bausubstanz umzugehen. Die Liste der Verluste ist lang: Vom Abriss ganzer Gründerzeitviertel in den 1960er und 70er Jahren bis zur jüngsten Kontroverse um das “Haus mit der Friedenstaube” – immer wieder musste Altes dem vermeintlich Neuen weichen.

Besonders bitter: Bei der Abwägung der Varianten zum Neubau der Städtischen Bühnen spielte die Frage des Denkmalschutzes offenbar keine Rolle. Ein Versäumnis, das symptomatisch ist für eine Planungskultur, die Denkmalpflege oft als lästiges Hindernis betrachtet statt als Bereicherung der städtischen Identität.

Der Verein “Stadtbild Deutschland” führt das neoklassizistische Gebäude bereits in der Kategorie “Abriss wahrscheinlich” – eine resignierte Einschätzung, die auf Erfahrungswerten beruht. Zu oft schon haben in Frankfurt wirtschaftliche Interessen und städtebauliche Visionen über den Erhalt historischer Substanz triumphiert.

Ein Blick über den Main: Regionale Besonderheiten

Frankfurts Umgang mit seinem baulichen Erbe steht exemplarisch für eine hessische, ja deutsche Problematik. Während andere Bundesländer wie Bayern oder Sachsen ihre historischen Stadtkerne als identitätsstiftende Wirtschaftsfaktoren begriffen haben, tut sich Hessen schwer mit seinem architektonischen Erbe. Die Landesbauordnung bietet zwar formalen Schutz, doch in der Praxis zeigt sich immer wieder: Wo ein politischer Wille fehlt, da helfen auch die besten Gesetze wenig.

Die Frankfurter Architektinnen Maren Harnack und Astrid Wuttke, beide Mitglieder des Landesdenkmalrats, kennen die lokalen Gegebenheiten genau. Sie wissen um die Besonderheit der Frankfurter Situation: Eine Stadt, die sich als internationale Finanzmetropole begreift und dabei Gefahr läuft, ihre regionale Identität zu verlieren.

Forderungen und Ausblick

Der Landesdenkmalrat formuliert klare Forderungen: Bei den anstehenden Wettbewerben für den Neubau der Oper am Willy-Brandt-Platz und des Schauspiels an der Neuen Mainzer Straße müssten die Belange des Denkmalschutzes berücksichtigt werden. Es gebe “keine überwiegenden öffentlichen Belange”, die eine Abrissgenehmigung rechtfertigen würden.

Hoffnung macht, dass die Stadt ein Planungsbüro sucht, das Bestandsbauten untersucht – allerdings zunächst nur für die Interims-Spielstätten an der Gutleutstraße, wo Denkmalschutz keine Rolle spielt. Ein halbherziger Schritt, der zeigt: Das Bewusstsein für die Bedeutung historischer Bausubstanz wächst langsam, aber es wächst.

Die Kulturmeile könnte zum Testfall werden: Schafft es Frankfurt, seine kulturelle Zukunft zu gestalten, ohne seine architektonische Vergangenheit zu opfern? Oder setzt sich die “bittere Tradition” fort, von der Philipp Oswalt spricht? Die Entscheidung wird zeigen, ob die Mainmetropole gelernt hat, dass wahre Urbanität nicht im Abreißen und Neubauen besteht, sondern in der intelligenten Verschränkung von Alt und Neu.

In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit zum Leitbegriff geworden ist, erscheint der drohende Abriss intakter Baudenkmäler besonders anachronistisch. Graue Energie, Ressourcenschonung, kulturelle Kontinuität – all diese Aspekte sprechen für den Erhalt. Doch werden sie gehört werden im Konzert der Interessen?

Frankfurt steht am Scheideweg. Die Entscheidung über die Zukunft der Denkmäler an der Neuen Mainzer Straße und am Willy-Brandt-Platz wird zeigen, welchen Weg die Stadt einschlägt: Den einer gesichtslosen Metropole, die ihre Geschichte dem Fortschritt opfert, oder den einer reifen Stadtgesellschaft, die begreift, dass Zukunft nur auf dem Fundament der Vergangenheit gebaut werden kann.