Baukunst - Augsburgs ambitionierter Kulturumbau zwischen Kostendruck und architektonischem Anspruch
Augsburg © unsplash/hoch3media

 Augsburger Millionengrab: Wie eine Theatersanierung außer Kontrolle gerät

22.07.2025
 / 
 / 
Chet Becker

Das ewige Sanierungsepos nimmt kein Ende

Die Sanierung des Augsburger Staatstheaters entwickelte sich zum Lehrstück über die Tücken öffentlicher Großbauprojekte in Bayern. Ein Blick auf die nackten Zahlen lässt tief blicken: Von ursprünglich 186 Millionen Euro im Jahr 2016 explodierte die Kostenschätzung über 321 Millionen (2020) auf mittlerweile 417 Millionen Euro. Das entspricht einer Kostensteigerung von über 120 Prozent. Die Fertigstellung? Verschoben von 2026 auf Anfang der 2030er Jahre.

Bayerische Bauordnung trifft schwäbische Sparsamkeit

Die Sanierung des denkmalgeschützten Großen Hauses und der geplante Neubau eines Kleinen Hauses samt Betriebsgebäude entwickelten sich zum Paradebeispiel für die Herausforderungen bayerischer Großbauprojekte. Während München mit seiner Isarphilharmonie kämpft und Nürnberg das Opernhaus saniert, steht Augsburg mit seinem Theaterprojekt nicht allein da. Die spezifisch bayerischen Anforderungen an Brandschutz, Denkmalschutz und Barrierefreiheit treffen hier auf die traditionell schwäbische Mentalität des sparsamen Wirtschaftens – ein Spannungsfeld, das sich in endlosen Stadtratsdiskussionen manifestiert.

Architektonisches Chaos und Neuanfang

Die Trennung von der Arbeitsgemeinschaft Achatz + IMP Ingenieure markierte einen Tiefpunkt in der Projektgeschichte. Erst für Bauteil II (Kleines Haus und Betriebsgebäude), dann auch für Bauteil I (Großes Haus) musste die Stadt neue Architekturbüros suchen. Das renommierte Münchner Büro HENN übernahm schließlich die Planungen, begleitet von einer externen Projektsteuerung – ein Eingeständnis der Überforderung mit der Komplexität des Vorhabens.

Baureferent Steffen Kercher hält dennoch an der Notwendigkeit des Projekts fest: Jede weitere Verzögerung würde die Kosten nur weiter in die Höhe treiben. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die technischen Anlagen stammen teilweise noch aus den 1930er Jahren, die letzte große Sanierung liegt über 60 Jahre zurück. Ein Zustand, der für ein modernes Staatstheater unhaltbar ist.

Freistaat als Retter in der Not?

Die Umwandlung vom Stadt- zum Staatstheater 2018 erwies sich als kluger Schachzug. Der Freistaat Bayern übernimmt 75 Prozent der förderfähigen Kosten – was allerdings nur etwa 54 bis 56 Prozent der tatsächlichen Gesamtkosten entspricht. Die Stadt Augsburg muss den Rest über Kredite finanzieren, eine Belastung, die angesichts der angespannten Haushaltslage zu hitzigen Debatten führt. Der Bund der Steuerzahler führt das Projekt mittlerweile als “Dauerbrenner” in seinen Schwarzbüchern der Steuerverschwendung.

Interimsquartiere als kreative Chance

Paradoxerweise führte die Zwangspause zu einer Renaissance der Augsburger Theaterkultur. Die brechtbühne im Gaswerk entwickelte sich zum vitalen Kulturzentrum, der martini-Park wurde zur beliebten Spielstätte. Mit jährlichen Zusatzkosten von 1 bis 1,5 Millionen Euro für die Interimslösungen zeigt sich jedoch auch hier die finanzielle Belastung. Intendant André Bücker macht aus der Not eine Tugend und nutzt die dezentrale Struktur für innovative Formate und neue Publikumsschichten.

Theaterquartier als Stadtentwicklungsprojekt

Die Vision eines lebendigen Theaterquartiers geht weit über die reine Gebäudesanierung hinaus. Das neue Quartiersmanagement, eine Kooperation zwischen Kulturreferat und Büro für Kommunale Prävention, arbeitet an der Vernetzung von Theater, Gastronomie, Handel und Kreativwirtschaft. Die Initiative “Theaterviertel Jetzt!” fordert ein klares Bekenntnis zur Quartiersentwicklung als Gegenmittel gegen das Ausbluten der Innenstadt.

Frank Lattke vom BDA Augsburg-Schwaben sieht Potenzial für städtebauliche Visionen: neue Durchwegungen, Blickachsen und Platzgestaltungen könnten das Areal zu einem kulturellen Hotspot transformieren. Die Theaterquartierskonferenzen binden Anwohnende und Gewerbetreibende in den Planungsprozess ein – ein Novum in der bayerischen Planungskultur.

Augsburger Spezifika und überregionale Lehren

Die Augsburger Erfahrungen spiegeln typische Herausforderungen bayerischer Mittelstädte wider: historische Bausubstanz trifft auf moderne Anforderungen, knappe kommunale Kassen auf ambitionierte Kulturpolitik. Die Lösung liegt möglicherweise in der konsequenten Verbindung von Kultursanierung und Stadtentwicklung. Andere Städte könnten vom Augsburger Modell des Quartiersmanagements lernen – wenn es denn gelingt, die Vision umzusetzen.

Fazit: Theater als Katalysator

Trotz aller Widrigkeiten bleibt das Staatstheater unverzichtbarer Bestandteil der Augsburger Identität. Mit 800 Arbeitsplätzen, hoher Auslastung und vielfältigem Programm rechtfertigt es seine Existenz. Die aktuelle Spielzeit unter dem Motto “aberwitzig” könnte als Kommentar zur eigenen Sanierungsgeschichte verstanden werden.

Die entscheidende Frage bleibt: Schafft es Augsburg, aus dem Sanierungsdrama eine Erfolgsgeschichte zu machen? Die Chancen stehen gut, wenn Stadt, Freistaat und Bürgerschaft das Projekt nicht nur als notwendige Reparatur, sondern als Investition in die urbane Zukunft begreifen. Ein Theater, das mehr ist als nur Bühne – ein Quartier, das die Stadt neu definiert.