Baukunst - Barrikaden und Butterfly: Rebellisches Design aus deutschen Hochschulen
Parkplatzhaus © Moritz Maier, Ruonan Wang

Barrikaden und Butterfly: Rebellisches Design aus deutschen Hochschulen

22.09.2025
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Chet Becker

Der aed neuland Wettbewerb als Bildungskatalysator für interdisziplinäres Design

Bildungsexperiment mit Tradition

Wenn sich Architektur- und Designstudierende aus ganz Deutschland im Rahmen des aed neuland Wettbewerbs messen, geht es um mehr als nur Preise und Anerkennung. Der interdisziplinäre Nachwuchswettbewerb, der 2025 bereits zum zehnten Mal ausgelobt wurde, hat sich zu einer der wichtigsten Bildungsplattformen für angehende Gestalterinnen und Gestalter entwickelt. Mit Unterstützung der Karl Schlecht Stiftung schafft der aed – Verein zur Förderung von Architektur, Engineering und Design in Stuttgart – einen Lernraum, der weit über die traditionellen Hochschulgrenzen hinausreicht.

Die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger zeigen eindrucksvoll, wie zeitgemäße Ausbildung im Gestaltungsbereich funktioniert: Moritz Maier und Ruonan Wang gewannen mit ihrem „Parkplatzhaus” den ersten Preis in der Kategorie Architecture + Engineering – ein Projekt, das technische Innovation mit städtebaulicher Vision verbindet. Leah Marie Backsmann überzeugte die Jury mit ihrer „Kita Obstgarten” im Bereich Exhibition Design + Interior Design, während Robin Richter mit „Aquilo” im Product Design triumphierte.

Interdisziplinarität als pädagogisches Prinzip

Das Besondere an neuland liegt in seinem bewusst disziplinübergreifenden Ansatz. Während viele Hochschulen noch immer in Fakultätssilos denken, fordert der Wettbewerb explizit zur Grenzüberschreitung auf. Die fünf Kategorien – Architecture + Engineering, Exhibition Design + Interior Design, Product Design, Communication Design und Interaction Design – spiegeln dabei nicht nur die Vielfalt gestalterischer Berufsfelder wider, sondern auch die Notwendigkeit vernetzten Denkens in der zeitgenössischen Designausbildung.

Die eingereichten Arbeiten dokumentieren diese interdisziplinäre Herangehensweise beispielhaft: Anna Waldmanns „RE-LIFE UKRAINE | blooming towards the sun” verbindet architektonische Planung mit sozialer Verantwortung, während Lukman Aščić und Audrey Lohmann mit „On Radar – Radiotracer-Forschung auf Apple Vision Pro” die Schnittstelle zwischen Wissenschaftsvermittlung und digitaler Technologie ausloten. Diese Projekte entstehen nicht im luftleeren Raum akademischer Übungen, sondern adressieren konkrete gesellschaftliche Herausforderungen – von der Wiederaufbauhilfe bis zur Wissenschaftskommunikation.

Kompetenzaufbau durch Wettbewerbspraxis

Der Wettbewerb funktioniert als informelles Lernlabor, in dem Studierende Kompetenzen entwickeln, die im regulären Curriculum oft zu kurz kommen. Die Teilnahme erfordert nicht nur gestalterische Exzellenz, sondern auch die Fähigkeit zur präzisen Projektpräsentation, zur argumentativen Verteidigung der eigenen Ideen und zur Selbstorganisation. Die 19-köpfige Jury, bestehend aus renommierten Fachleuten wie Kai Bierich, Prof. Jürgen Späth und Prof. Andreas Uebele, bewertet die Einreichungen nach Kriterien, die direkt auf die spätere Berufspraxis vorbereiten: ökonomische und ökologische Qualität, Funktionalität, Nutzerfreundlichkeit und ästhetische Innovation.

Besonders wertvoll für die Teilnehmenden ist das implizite Feedback durch die Juryentscheidungen. Wenn Sylvia Burows „Period Point – der moderne Ansatz zur Menstruationsaufklärung in Schulen” eine Auszeichnung erhält, sendet dies ein Signal über die Relevanz gesellschaftspolitischer Themen im Design. Felix Stockhausens „UDO (Unknown Driving Object)” wiederum zeigt, dass auch spielerische Ansätze und konzeptuelle Experimente ihren Platz in der professionellen Gestaltung haben.

Nachhaltigkeit als Bildungsauftrag

Die explizite Forderung nach nachhaltiger Gestaltung im Wettbewerbsprofil macht neuland zu einem Instrument der Wertebildung. Studierende lernen, dass Design nicht nur formal überzeugen muss, sondern auch ökologische und soziale Verantwortung trägt. Leonie Hartungs „The River and The Risk – Rethinking Spatial Entanglements of Flood Prevention within the Ahr Valley” exemplifiziert diese Haltung: Das Projekt verbindet Katastrophenprävention mit landschaftsplanerischer Innovation und zeigt, wie Gestaltung zur Resilienzbildung beitragen kann.

Luis Navarro Preuß’ „SUFES – Symbiotic Urban Floating Energy Storage” demonstriert, dass technische Innovation und ästhetische Qualität keine Gegensätze darstellen müssen. Solche Projekte lehren angehende Designerinnen und Designer, systemisch zu denken und Lösungen zu entwickeln, die über die unmittelbare Aufgabenstellung hinausgehen.

Talententwicklung durch Sichtbarkeit

Der Wettbewerb schafft eine Bühne für Nachwuchstalente, die weit über Stuttgart hinausstrahlt. Die öffentliche Preisverleihung im Juli 2025 und die mediale Begleitung durch Plattformen wie competitionline sorgen für Sichtbarkeit in der Fachöffentlichkeit. Für Studierende bedeutet dies erste Kontakte zur Berufswelt, Networking-Möglichkeiten und nicht zuletzt einen wichtigen Baustein für das eigene Portfolio.

Die Teamarbeiten – etwa von Leon Heitmann, Ricardo Huch und Lea Noa Wäcken mit „Bäume Besetzen – Barrikadisch wohnen in Tümpeltown” – fördern zudem kollaborative Arbeitsweisen, die in der späteren Berufspraxis unerlässlich sind. Die Fähigkeit, in interdisziplinären Teams zu arbeiten und unterschiedliche Perspektiven zu integrieren, wird hier praktisch erprobt und öffentlich gewürdigt.

Bildungspartnerschaften als Erfolgsfaktor

Die Förderung durch die Karl Schlecht Stiftung und weitere Partner zeigt, wie wichtig außeruniversitäre Unterstützung für innovative Bildungsformate ist. Diese Partnerschaften ermöglichen nicht nur die finanzielle Ausstattung des Wettbewerbs, sondern schaffen auch Brücken zwischen Ausbildung und Praxis. Der aed fungiert dabei als Vermittler zwischen verschiedenen Bildungsakteuren und schafft einen neutralen Raum für den Austausch zwischen Hochschulen, ohne institutionelle Konkurrenzen zu reproduzieren.

Fazit: Lernen für eine gestaltete Zukunft

Der aed neuland Wettbewerb 2025 beweist, dass Nachwuchsförderung im Design mehr sein kann als die Vergabe von Preisen. Er etabliert ein Bildungsmodell, das auf Interdisziplinarität, gesellschaftlicher Relevanz und nachhaltiger Innovation basiert. Die ausgezeichneten Projekte – von Cäcilia Halbgewachs’ minimalistischem „OHNE” bis zu Leonie Auers, Lorena Mauz’, Benjamin Branners, Nicole Sauters und Tanja Büchelers aktivistischem „#SaferSeats” – zeigen die Bandbreite zeitgenössischer Gestaltungsansätze und die Kompetenz der nächsten Generation.

Zehn Jahre neuland bedeuten zehn Jahre kontinuierliche Investition in die Zukunft der Gestaltung. Der Wettbewerb hat sich als essentieller Baustein der Designausbildung etabliert, der die Lücke zwischen akademischer Lehre und beruflicher Praxis überbrückt. Er zeigt, dass Bildung im 21. Jahrhundert projektbasiert, praxisnah und problemorientiert sein muss – und dass junge Gestalterinnen und Gestalter bereit sind, diese Herausforderung anzunehmen.