Baukunst-Bau-Chaos oder Zukunftsmodell: Österreich prüft deutsche "Gebäudeklasse E"
Bild: Ryan Stone/Unsplash

Bau-Chaos oder Zukunftsmodell: Österreich prüft deutsche „Gebäudeklasse E“

28.03.2025
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Claudia Grimm

Einfach bauen, einfach wohnen: Der Gebäudetyp E auf dem Prüfstand

Die deutsche Baubranche steht vor einer simplen wie provokativen Frage: Wie viele Steckdosen braucht eine Wohnung wirklich? Der Versuch, Normen und Richtlinien beim Bauen zu reduzieren, mündete in das Konzept des Gebäudetyps E– einfaches und experimentelles Bauen, bei dem viele freiwillige technische Anforderungen gezielt gestrichen werden. Die Kammer der Architektinnen und Ziviltechniker in Österreich sieht darin Potenzial für eine dringend notwendige Vereinfachung des Bauens.

Bau-Realität vs. Bau-Idealismus

Wer in Österreich oder Deutschland heute baut, kennt die Herausforderung: unzählige Normen müssen berücksichtigt werden, von der Türbreite bis zur exakten Anzahl der Steckdosen. Laut Günter Katherl, Vorsitzender des Ressorts Zukunft-Lebensraum der Kammer der Architektinnen und Ziviltechniker, sind allein für Türbreiten etwa 50 verschiedene Vorschriften maßgebend. Der Gebäudetyp E, der ursprünglich aus Bayern stammt, setzt hier an und erlaubt das gezielte Weglassen freiwilliger Normen – allerdings unter der Voraussetzung, dass Sicherheit und Brandschutz gewährleistet bleiben.

Verantwortung und Komfortzone

Eine große Herausforderung stellt dabei die Rechtssicherheit dar: Die Angst vor möglichen Klagen führt oft dazu, dass Bauunternehmen und Architektinnen freiwillig weit über das gesetzlich erforderliche Maß hinaus planen. Diese Sicherheitsmarge verursacht zusätzliche Kosten, ohne dass Nutzerinnen und Nutzer notwendigerweise davon profitieren. Sophie Ronaghi-Bolldorf, Vorsitzende des Ausschusses Bauordnung, beschreibt treffend die Überdimensionierung heutiger Bauvorhaben und kritisiert zugleich die teilweise übertriebenen Komfortansprüche: „Muss es wirklich möglich sein, im Winter ohne Socken und Pulli in der Wohnung zu sitzen?“

Normen reduzieren, Ressourcen schonen

Die Reduktion von Normen hätte nicht nur finanzielle, sondern auch ökologische Vorteile. Kleinere Heizsysteme und geringerer Materialaufwand könnten erhebliche Einsparungen bringen. Ein konkretes Beispiel ist die Raumtemperatur, deren Absenkung beträchtliche ökologische Potenziale birgt. Ebenso bietet die Reduktion der vorgeschriebenen Stellplätze und der generellen Raumbedarfe pro Person weitere Möglichkeiten zur nachhaltigen Nutzung von Ressourcen.

Historischer Kontext und modernes Experimentieren

Gerade im Bestand, etwa bei der Sanierung historischer Gebäude, könnte der Gebäudetyp E neue Wege eröffnen. Ein Beispiel aus Österreich verdeutlicht die Problematik: Eine historische Terrazzostiege in einem 120 Jahre alten Gebäude musste abgetragen werden, weil ihre Stufen laut aktueller Norm zu stark gerundet waren. Der Gebäudetyp E könnte hier historisch wertvolle Substanz erhalten, indem nicht jede Norm buchstabengetreu umgesetzt werden muss.

Grenzen der Vereinfachung

Trotz allem fordert Ronaghi-Bolldorf ein gewisses Maß an Weitsicht bei der Planung. Eine zu starke Reduktion etwa im Bereich der Barrierefreiheit könnte sich langfristig rächen, wenn später aufwendige Umbauten nötig werden. Eine sorgfältige Abwägung zwischen notwendiger und überflüssiger Norm bleibt daher essenziell.

Fazit: Balance zwischen Innovation und Sicherheit

Der Gebäudetyp E könnte auch in Österreich einen wichtigen Impuls geben, das Bauen unkomplizierter und nachhaltiger zu gestalten. Die Gratwanderung zwischen Normenabbau und der Erhaltung notwendiger Sicherheitsstandards bleibt dabei die zentrale Herausforderung. Die aktuelle Diskussion zeigt jedoch, dass das Bedürfnis nach einfacheren, ökologischeren und bezahlbaren Wohnformen dringlicher denn je ist.