Baukunst-Bremen macht Wärme: Kommunale Wärmeplanung als Blaupause für norddeutsche Städte
Bremen © Marian Grabowski/Unsplash

Baukunst-Bremen macht Wärme: Kommunale Wärmeplanung als Blaupause für norddeutsche Städte

20.08.2025
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Claudia Grimm

Bremens Milliardenpoker: Wie die Fernwärme-Lobby die Stadt umkrempelt

Ein Jahrhundertprojekt nimmt Gestalt an

Bremen schreibt gerade ein neues Kapitel seiner fast hundertjährigen Fernwärmegeschichte. Was 1927 mit der visionären Empfehlung der Baudeputation begann, ein Heizkraftwerk auf dem Gelände eines Krankenhauses zu errichten, entwickelt sich heute zu einem der ambitioniertesten Infrastrukturprojekte der Hansestadt. Die aktuell vorliegenden Gutachten zur kommunalen Wärmeplanung zeigen: Bremen könnte den Anteil der Fernwärmeversorgung von derzeit 13 auf 34 Prozent mehr als verdoppeln – vorausgesetzt, das bestehende Netz wird um beeindruckende 300 Trassenkilometer erweitert.

Die Dimension dieses Vorhabens lässt sich kaum überschätzen. Während andere Großstädte noch in den Startlöchern stehen, hat Bremen bereits konkrete Zahlen auf dem Tisch. Das von der Qoncept Energy GmbH erstellte Fachgutachten liefert nicht nur abstrakte Potenzialanalysen, sondern detaillierte räumliche Abgrenzungen und Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen. Ein solcher Pragmatismus ist typisch hanseatisch – und dringend notwendig angesichts der bundesweiten Vorgaben des Wärmeplanungsgesetzes.

Bremische Besonderheiten: Zwischen Hafen und Überseestadt

Die geografische Struktur Bremens stellt Planerinnen und Planer vor besondere Herausforderungen. Zwei getrennte Fernwärmegebiete prägen das Stadtbild: Im Westen versorgt das Mittelkalorik-Kraftwerk am Hafen die Stadtteile Walle, Gröpelingen und die aufstrebende Überseestadt. Im Osten erstreckt sich ein zweites Netz über Horn-Lehe und Teile von Findorff. Die kürzlich fertiggestellte Verbindungsleitung durch Schwachhausen schlägt eine Brücke zwischen diesen beiden Welten – ein technisches Meisterwerk, das den Kohleausstieg der Stadt erst ermöglichte.

Diese räumliche Zweiteilung ist kein Zufall, sondern Ergebnis historisch gewachsener Industriestrukturen. Wo früher Abwärme ungenutzt verpuffte, entstanden über Jahrzehnte lokale Wärmenetze. Heute gilt es, diese Insellösungen zu einem kohärenten System zu verbinden. Die Herausforderung liegt nicht nur in der technischen Machbarkeit, sondern auch in der sensiblen Integration in gewachsene Stadtstrukturen. Brücken über die Weser, Unterquerungen von Bahngleisen und die Durchörterung dicht bebauter Quartiere erfordern millimetergenaue Planung und erhebliche Investitionen.

Vielfalt der Lösungen: Mehr als nur Fernwärme

Bemerkenswert an Bremens Wärmeplanung ist der technologieoffene Ansatz. Neben dem klassischen Fernwärmenetz entstehen innovative Konzepte wie das Pilotprojekt der Genossenschaft “Erdwärme dich” in der Humboldtstraße. Diese Initiative zeigt, dass kommunale Wärmeplanung auch Raum für bürgerschaftliches Engagement bietet. Kalte Nahwärmenetze, die mit dezentralen Erdwärmepumpen arbeiten, könnten gerade in dicht bebauten Quartieren eine Alternative darstellen, wo weder Fernwärme noch individuelle Wärmepumpen praktikabel sind.

Die Rolle der Klimaschutzagentur energiekonsens als Mittlerin zwischen Verwaltung, Energieversorgern und Bürgerschaft verdient besondere Würdigung. Ihre Informationskampagnen schaffen Transparenz in einem hochkomplexen Themenfeld. Denn eines macht die Bremer Verwaltung deutlich: Der Wärmeplan ist keine Zwangsverordnung, sondern ein Orientierungsrahmen. Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer behalten die Wahlfreiheit ihrer Heizungstechnik – eine wichtige Botschaft in Zeiten erhitzter Debatten um vermeintliche “Heizungsverbote”.

Finanzierung und Förderung: Der lange Atem der Transformation

Die swb AG rechnet mit einem dreistelligen Millionenbetrag für den Netzausbau über die nächsten zwei Jahrzehnte. Diese Investitionssumme relativiert sich angesichts der volkswirtschaftlichen Dimension der Wärmewende. Clevere Förderarchitekturen auf Bundes- und Landesebene werden entscheidend sein, um die Transformation sozialverträglich zu gestalten. Bremen nutzt hier geschickt die Synergien zwischen verschiedenen Fördertöpfen – von der städtebaulichen Förderung über KfW-Programme bis zu EU-Mitteln.

Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen des Gutachtens basieren auf realistischen Annahmen zur Preisentwicklung fossiler Brennstoffe und CO₂-Zertifikate. Interessant ist die enge Abstimmung mit den lokalen Netzbetreibern wesernetz und enercity Contracting Nord. Diese frühzeitige Einbindung der Marktakteure verhindert Luftschlösser und sorgt für umsetzbare Planungen.

Partizipation als Erfolgsfaktor

Bremen setzt auf breite Beteiligung. Wohnungswirtschaft, Handwerkskammern und Bürgerschaft werden systematisch in den Planungsprozess einbezogen. Die für 2025 geplanten öffentlichen Beteiligungsverfahren versprechen spannende Diskussionen. Erfahrungen aus anderen Städten zeigen: Ohne Akzeptanz vor Ort scheitern die ambitioniertesten Pläne. Die transparente Kommunikation über den Wärmeatlas, der bereits 2019 in Kooperation von swb, wesernetz und den Städten Bremen und Bremerhaven erstellt wurde, schafft eine solide Vertrauensbasis.

Kritischer Ausblick: Stolpersteine und Chancen

Bei aller Euphorie bleiben kritische Fragen. Die Abhängigkeit von Kraft-Wärme-Kopplung bedeutet auch künftig eine Verbindung zur Stromerzeugung – in Zeiten volatiler Energiemärkte nicht unproblematisch. Die Integration erneuerbarer Wärmequellen wie Großwärmepumpen, Solarthermie oder industrieller Abwärme kommt in den bisherigen Planungen noch zu kurz. Hier muss Bremen nachlegen, will es seinem Ruf als Vorreiter gerecht werden.

Auch die soziale Dimension verdient mehr Aufmerksamkeit. Gerade in Stadtteilen wie Gröpelingen mit hohem Migrationsanteil und niedrigen Einkommen müssen Lösungen gefunden werden, die niemanden zurücklassen. Die Gefahr einer “Zwei-Klassen-Wärmewende” ist real.

Dennoch: Bremen zeigt, dass kommunale Wärmeplanung mehr sein kann als bürokratische Pflichterfüllung. Sie ist Chance für eine grundlegende Modernisierung städtischer Infrastruktur, für neue Formen der Bürgerbeteiligung und für regionale Wertschöpfung. Wenn es gelingt, die verschiedenen Akteure weiterhin so konstruktiv einzubinden, könnte die Hansestadt tatsächlich zum Modell für andere norddeutsche Städte werden. Der Zeitplan ist ambitioniert, aber machbar: Ende 2025 soll der finale Wärmeplan stehen – ein Jahr früher als gesetzlich gefordert. Typisch Bremen: pragmatisch, verlässlich und mit dem nötigen Quäntchen Pioniergeist.