
Warum die öffentliche Hand die Denkmalpflege in Deutschland sabotiert
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat mit ihrem ersten Schwarzbuch einen gesellschaftlichen Spiegel vorgehalten – und das Abbild ist verstörend. Täglich gehen mindestens drei eingetragene Denkmale verloren. Diese Fälle sind keine Naturkatastrophen; sie sind Resultate gezielter Vernachlässigung, fehlender Finanzierung und politischer Beliebigkeit. Das eigentliche Skandalon aber liegt darin, dass systematisch gerade die öffentliche Hand als Täterin auftritt – und damit ihre eigenen Schutzverpflichtungen sabotiert.
Statistiken als Kampfinstrument
Das Schwarzbuch der Denkmalpflege ist zunächst eine Dokumentation von Scheitern – aber eines, das endlich transparent gemacht wird. Während Kulturförderalismus und föderale Zersplitterung die genaue Erfassung von Denkmalverlusten bislang unmöglich machten, gelang es der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD), für 2023 bis 2024 etwa 900 dokumentierte Fälle zu recherchieren. Allein diese Zahl ist bemerkenswert: Nicht nur zeigt sie die Lücke in der Datenerfassung, sondern auch die gigantische Aufgabe, die ein privater Verein bewältigt, während staatliche Institutionen versagen.
Die zentrale Forderung der DSD ist demgegenüber bescheiden formuliert, aber radikal in ihrer Konsequenz: Der Bund müsse endlich für vergleichbare, bundesweite Statistiken sorgen. Diese Forderung ist nicht akademisch – sie ist existenziell. Solange niemand weiß, wie viele Denkmale jedes Jahr verschwinden, kann es auch keine Verantwortlichkeit geben. Und ohne Verantwortlichkeit gibt es keine Änderung.
Die öffentliche Hand als Vandalistin
Das Paradoxale an der gegenwärtigen Denkmalkrise liegt in ihrer Asymmetrie: Die allermeisten Denkmaleigentümerinnen und -eigentümer, so die DSD zu Recht fest, gehen verantwortungsvoll mit ihrem kulturellen Erbe um. Aber es gibt die Vandalistinnen und Vandalisten – und sie tragen oft öffentliche Amtsketten.
Das monumentale Finanzamt in Saarbrücken (1950er-Jahre, Meisterwerk der Nachkriegsmoderne) steht in Abbruchgefahr. Das Generalshotel in Berlin wurde zerstört – ein beeindruckendes Zeugnis deutsch-deutscher Geschichte und in ausgezeichnetem Zustand, bis es nicht mehr war. In Düsseldorf beschloss die Landesregierung nach öffentlichem Protest, den keramischen Schmuck der früheren Ingenieurshochschule zu erhalten – das Gebäude selbst aber riß man ab. Wie beides zusammengehen kann, wird nicht erklärbar.
Diese Fälle sind kein administratives Versagen im Sinne von Ungeschicklichkeit. Sie sind Resultate politischer Entscheidung. Die öffentliche Hand versteckt sich hinter Abbruchgenehmigungen, wenn es um Gewinnmaximierung geht – und entzieht sich dabei bewusst ihrer gesetzlichen Pflicht zum sorgsamen Unterhalt.
Fachlichkeit gegen Politikum
Ein differenzierendes Element durchzieht die DSD-Kritik wie ein roter Faden: Die Entmachtung von Fachleuten. Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger in den Landesämtern sind – wo sie noch existieren – zunehmend zum Feigenblatt degradiert worden. Ihre Expertise wird ignoriert, ihre Gutachten überstimmt, ihre unabhängige Position aufgelöst.
Das zeigt sich besonders drastisch in Nordrhein-Westfalen: Seit einer rechtswidrig kritisierten Gesetzesnovelle vor drei Jahren dürfen Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger in vielen Verfahren nicht einmal mehr intervenieren. Sie wurden von Sachwalterinnen und Sachwaltern des Erbes zu Beobachtenden herabgestuft. Bezeichnenderweise waren die Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger aus Nordrhein-Westfalen die einzigen in Deutschland, die keine Daten zum Schwarzbuch beisteuerten – ob aus politischer Weisung oder anderen Gründen, bleibt offen. Das Schweigen ist Teil des Problems.
Die DSD macht hier einen zentralen Punkt: Der Verlust von Fachlichkeit ist nicht nur ein personelles Problem. Es ist ein fundamentales Governance-Problem. Wenn Denkmalpflege zur Angelegenheit politischer Einzelfallentscheidungen wird, dann wird sie zur Angelegenheit von Machtinteressen, und die Denkmale werden zu Kollateralschaden.
Abriss darf sich nicht lohnen
Für Jörg Haspel, Vorsitzender des Stiftungsrates der DSD, ist klar: „Abriss darf sich nicht lohnen.” Dieses Diktum ist zugleich analytisch und normativ. Es besagt, dass dort, wo Eigentümerinnen und Eigentümer strategisch ihre Denkmale dem Verfall überlassen, um später mit Gewinn abzureißen, die Rechtsordnung nicht tatenlos zusehen darf.
Es gibt Präzedenzfälle. In Bayreuth ging ein prachtvoller Fachwerkhof durch gezielten Verfall zugrunde – doch der Eigentümer kam nicht davon. Die Stadt entschied konsequent, dass mit dem Abbruch auch die Bestandsgarantie erlosch. Das Grundstück blieb leer – teurere Alternative zum Vandalismus. In einem anderen Fall wurden Eigentümerinnen und Eigentümer gezwungen, den durch einen Penthouse-Aufbau ersetzten barocken Dachstuhl zu rekonstruieren. Solche Entscheidungen haben Signalwirkung. Wenn das Schule machte, wäre manchem Vandalismus die ökonomische Grundlage entzogen.
Partizipation und verlorene Chancen
Die Denkmalkrise ist auch eine Krise der Partizipation. Dort wo Bürgerinnen und Bürger eingebunden werden, entstehen Erfolgsgeschichten – wie in Quedlinburg, wo Freiwilligenarbeit und lokales Engagement zahlreiche Fachwerkhäuser retteten, die heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes sind. Doch solche Beispiele sind die Ausnahme. In der Regel füllt bügerschaftliches Engagement nur die Lücken, die Ressourcenmangel und fehlende Politische Rückgratigkeit hinterlassen haben.
Dies aber sollte nicht zur Routine werden. Denkmalpflege ist eine öffentliche Aufgabe, nicht eine Privatinitiative-Aufgabe. Die Tatsache, dass eine private Stiftung effektiver arbeitet als viele Landesdenkmalbehörden, ist ein Skandal – einer, der die Denkmäler nicht rettet, sondern nur die Defizite der öffentlichen Hand beschönigt.
Ausblick: Denkmale als gesellschaftliche Infrastruktur
Das Schwarzbuch der Denkmalpflege wird jährlich erscheinen. Das ist zu begrüßen – weniger wegen des Bücher-Vergnügens, sondern weil kontinuierliche Dokumentation Druck erzeugt. Transparenz ist das erste Werkzeug der Veränderung.
Was aber notwendig ist, geht weiter: Eine Stärkung der Fachlichkeit in Behörden durch verpflichtende denkmalfachliche Ausbildung. Eine angemessene personelle und finanzielle Ausstattung. Eine strikte Handhabung von Sanktionsmöglichkeiten. Und eine Umkehrung der gegenwärtigen Praxis, wonach Abbruch oft das Mittel der Wahl geworden ist.
Denkmäler sind nicht romantisches Relikt einer verklärten Vergangenheit. Sie sind materielle Zeugen von Gesellschaftsgeschichte – von Arbeit, Macht, Widerstand, Innovationskraft und Konflikt. Sie sind Infrastruktur einer Kultur, die sich selbst erinnern kann. Und diese Infrastruktur fällt täglich zu Boden, während die öffentliche Hand – die sie schützen sollte – beim Abriss zusieht.

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