Baukunst-Zwischen Volkspark und Teilchenbeschleuniger – Hamburgs kühner Wurf für die Wissenschaft
Hamburg © Lukas Menzel auf Unsplash

Baukunst-Zwischen Volkspark und Teilchenbeschleuniger – Hamburgs kühner Wurf für die Wissenschaft

20.08.2025
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Claudia Grimm

Hamburgs Science City: Dänische Vision für Deutschlands Wissenschaftsquartier der Zukunft

Ein Pionierstadtteil nimmt Gestalt an

Im September 2024 fiel die Entscheidung für eines der ambitioniertesten Stadtentwicklungsprojekte Deutschlands: Das dänische Büro Cobe aus Kopenhagen setzte sich im Wettbewerblichen Dialog für die “Quartiere am Volkspark” in der Science City Hamburg Bahrenfeld durch. Mit einem Entwurf, der Wissenschaft nicht länger in isolierte Campus-Inseln verbannt, sondern sie zum integralen Bestandteil städtischen Lebens macht, haben die Däninnen und Dänen die Jury überzeugt – und nebenbei eine Blaupause für die Wissenschaftsquartiere der Zukunft geliefert.

Die Dimensionen sind beeindruckend: Auf 55 Hektar entlang des Volksparks Altona entstehen bis in die 2040er Jahre rund 3.800 neue Wohnungen, universitäre Einrichtungen, Forschungslabore und ein lebendiges Stadtquartier. Das Areal erstreckt sich vom Gelände der zu verlagernden Trabrennbahn über die derzeitigen Kleingartenanlagen bis zum künftigen A7-Deckel. Was hier entsteht, ist nicht weniger als Hamburgs Antwort auf Cambridge, Oxford oder das Silicon Valley – nur eben auf Hanseatisch und mit skandinavischem Feingefühl geplant.

Drei Quartiere, eine Vision

Der Entwurf von Cobe teilt die “Quartiere am Volkspark” in drei charakteristische Teilgebiete, die jeweils ihre eigene Identität entwickeln und dennoch Teil eines kohärenten Ganzen sind.

Das Campusviertel bildet das pulsierende Herz der Science City. Ein System urbaner Plätze und öffentlicher Funktionen unterstreicht hier den städtischen Charakter. Die geplanten Fachbereiche der Universität Hamburg, insbesondere für Chemie und Physik, prägen das Viertel, ergänzt durch ein neues Hörsaalzentrum. Hier verschmelzen akademisches Leben und urbane Vitalität zu einem neuen Typus des Wissenschaftsquartiers. Die Campusmeile mit ihrer grünen Mitte wird zum zentralen Treffpunkt – keine sterile Wissenschaftsachse, sondern ein lebendiger Boulevard des Wissens.

Die östlich angrenzende neue Gartenstadt interpretiert ein klassisches städtebauliches Konzept zeitgemäß neu. Lineare, offene Wohnblockstrukturen schaffen grüne Höfe und stärken den Nachbarschaftscharakter. Die Struktur nimmt dabei geschickt Bezug auf die bestehenden Kleingärten, die auf den künftigen A7-Deckel umziehen werden – ein respektvoller Umgang mit gewachsenen Strukturen, der für Hamburger Stadtentwicklung charakteristisch ist.

Das Naturquartier östlich des A7-Deckels zeigt, wie Urbanität und Natur verschmelzen können. Eine lose, durchmischte Blockstruktur lässt die Natur immer wieder in die Zwischenräume eindringen – ein Konzept, das angesichts der Klimakrise und des Artensterbens wegweisend ist.

Nachhaltigkeit als Gestaltungsprinzip

Besonders überzeugend ist Cobes Umgang mit dem Regenwasser. Ein Netz aus Entwässerungsmulden, Gräben und Rückhaltebecken fängt Niederschläge auf und lässt sie versickern. Die Retentionsflächen werden zum landschaftsplanerischen Gestaltungselement. Diese “Schwammstadt”-Prinzipien sind keine nachträgliche Ergänzung, sondern integraler Bestandteil der städtebaulichen Konzeption. Karoline Liedtke-Sørensen von Cobe bringt es auf den Punkt: “Dieses Netzwerk verknüpft die bedeutenden Parkanlagen Bahrenfelds und wird zu den grünen, pulsierenden Adern der Science City.”

Das Mobilitätskonzept setzt konsequent auf den Umweltverbund. Eine neue unterirdisch verlaufende S-Bahn-Station wird zentral im Gebiet liegen, ergänzt durch Mobility Hubs an den Quartierseingängen. Das Prinzip ist klar: Der nachhaltigste Transportweg ist immer am schnellsten zu erreichen. Die weitgehende Befreiung der Nachbarschaft vom motorisierten Individualverkehr schafft Raum für Begegnung und Aufenthaltsqualität.

Partizipation als Erfolgsfaktor

Was den Hamburger Prozess von anderen Großprojekten unterscheidet, ist die intensive Bürgerbeteiligung. Mit der “Stadtteildelegation” wurde ein innovatives Beteiligungsformat entwickelt: Menschen aus der Nachbarschaft begleiteten den gesamten Wettbewerblichen Dialog und berieten das Auswahlgremium als Sachverständige. Diese Form der Partizipation geht weit über kosmetische Beteiligung hinaus – hier wurden Anwohnerinnen und Anwohner zu echten Mitgestaltern ihrer künftigen Nachbarschaft.

Die Science City Hamburg Bahrenfeld GmbH als Ausloberin hat damit neue Maßstäbe gesetzt. Die Beteiligung fand nicht nur in Hinterzimmern statt: Präsentationen in der Esther-Bejarano-Schule, Ausstellungen im Infocenter und sogar ein mobiles Info-Fahrrad brachten die Planungen direkt zu den Menschen.

Hamburgs spezifischer Weg

Katharina Fegebank, Senatorin für Wissenschaft, betont: “Die Science City Hamburg Bahrenfeld steht für das, was Hamburg stark macht: Offener Austausch, Vernetzung und Raum für innovative Ideen.” Diese Aussage ist mehr als politische Rhetorik – sie beschreibt einen spezifisch hamburgischen Ansatz der Stadtentwicklung.

Anders als in München, wo mit dem neuen Campus Garching eine isolierte Wissenschaftsstadt entstand, oder in Berlin, wo die Wissenschaftsstandorte über die Stadt verstreut sind, verfolgt Hamburg einen integrativen Ansatz. Franz Josef Höing, Hamburgs Oberbaudirektor, bringt es auf den Punkt: “Mehr Stadt in der Stadt – der prämierte Entwurf setzt die Hamburger Stadtentwicklungsstrategie am Volkspark entscheidend um: dicht und dennoch grün.”

Die Science City ist dabei kein Prestigeprojekt der Landesregierung, sondern fest in der lokalen Verwaltung verankert. Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg freut sich besonders, “dass der Erhalt ortsbildprägender Bestandsbauten mitgedacht wird und dass auch die soziale Infrastruktur Raum findet.” Diese Bodenhaftung unterscheidet Hamburg wohltuend von anderen Metropolen.

Herausforderungen und Kritikpunkte

Bei aller Begeisterung bleiben Fragen offen. Die Verlagerung der Trabrennbahn und der Kleingärten bedeutet für viele Menschen den Verlust vertrauter Orte. Wie sozialverträglich diese Transformation gelingt, wird sich zeigen. Die geplanten 3.800 Wohnungen sollen einen hohen Förderanteil aufweisen – doch “hoch” ist relativ, und Hamburg kämpft bereits jetzt mit explodierenden Mieten.

Auch die zeitliche Dimension birgt Risiken. Die Funktionsplanung soll Ende 2026 abgeschlossen sein, erste Bauaktivitäten sind ab 2027/2028 zu erwarten. Bis zur vollständigen Realisierung in den 2040er Jahren kann viel passieren – Regierungswechsel, Wirtschaftskrisen, veränderte Prioritäten. Die lange Bauzeit birgt die Gefahr, dass das heute visionäre Konzept bei Fertigstellung bereits überholt ist.

Ein Modell mit Strahlkraft

Trotz dieser Unwägbarkeiten hat Hamburg mit der Entscheidung für Cobe ein starkes Signal gesetzt. Cobe setzte sich gegen renommierte Konkurrenz durch: Karres en Brands mit ADEPT sowie Mandaworks mit LOLA Landscape Architects. Dass ein dänisches Büro den Zuschlag erhielt, ist kein Zufall – Kopenhagen gilt als Vorreiter nachhaltiger Stadtentwicklung.

Der Hamburger Ansatz könnte Schule machen. Während deutsche Universitäten oft in historischen Innenstädten gefangen oder auf grünen Wiesen isoliert sind, zeigt die Science City einen dritten Weg: die Integration von Wissenschaft in moderne, gemischte Stadtquartiere. Andreas Kleinau von der Science City GmbH fragt rhetorisch: “Wer würde in diesem Pionierstadtteil nicht forschen, lernen oder leben wollen?”

Fazit: Mehr als ein Quartier

Was in Hamburg-Bahrenfeld entsteht, ist mehr als ein weiteres Stadtentwicklungsprojekt. Es ist der Versuch, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie Wissenschaft und Stadt im 21. Jahrhundert zusammengehören. Der Cobe-Entwurf zeigt: nicht als getrennte Welten, sondern als sich gegenseitig befruchtende Systeme.

Die Science City könnte zum Modell werden für andere Städte, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. In Zeiten, in denen Wissensproduktion zum entscheidenden Wirtschaftsfaktor wird und gleichzeitig bezahlbarer Wohnraum zur Mangelware, bietet Hamburg eine überzeugende Synthese. Ob diese Vision Realität wird, hängt von vielen Faktoren ab – nicht zuletzt vom politischen Willen und der Finanzierungssicherheit über Legislaturperioden hinweg.

Eines ist jedoch sicher: Mit der Entscheidung für Cobe hat Hamburg die Weichen gestellt für ein Stadtquartier, das internationale Maßstäbe setzen könnte. Ein Quartier, das zeigt, dass Spitzenforschung nicht im Elfenbeinturm stattfinden muss, sondern mitten im Leben. Die Hansestadt beweist damit einmal mehr ihren Anspruch, nicht nur Tor zur Welt, sondern auch Labor für die Stadt der Zukunft zu sein.