Baukunst - Bayerns Architekten verweigern sich der Fortbildungskontrolle
Vertreterversammlung verweigert Zweidrittelmehrheit für Fortbildungsordnung

Bayerns Architekten verweigern sich der Fortbildungskontrolle

08.12.2025
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Stuart Rupert

Der bayerische Sonderweg: Wenn Freiwilligkeit zur Bürde wird

Die Bayerische Architektenkammer lehnt als einzige Länderkammer eine verbindliche Fortbildungsordnung ab. Während alle anderen Bundesländer den Weg zur bundesweiten Harmonisierung einschlagen, verweigert sich der Freistaat der Qualitätssicherung. Ein Rückschritt im föderalen Flickenteppich der Berufsregulierung.

Es hätte ein historischer Moment werden können. Am 28. November 2025 stand in der Vertreterversammlung der Bayerischen Architektenkammer die Einführung einer Fortbildungsordnung zur Abstimmung. Der Beschlussvorschlag benötigte eine Zweidrittelmehrheit. Er scheiterte. Damit bleibt Bayern das einzige Bundesland ohne verbindliche Regelung zur Kontrolle der gesetzlich bereits bestehenden Fortbildungspflicht.

Die Ironie dieser Entscheidung liegt in ihrer Entstehungsgeschichte. Erst im Februar 2025 hatte der Vorstand der Bundesarchitektenkammer einstimmig eine Musterfortbildungsordnung verabschiedet. Das erklärte Ziel: die Harmonisierung der 16 unterschiedlichen Landesregelungen und damit ein Beitrag zur Entbürokratisierung. Alle anderen Länderkammern folgen diesem Weg. Nur Bayern nicht.

Die sanfteste aller Varianten

Dabei war der bayerische Entwurf bereits die mildeste denkbare Form einer Fortbildungsordnung. Die sogenannte Variante 1 sah vor, dass eine Überprüfung der Fortbildungspflicht ausschließlich auf Antrag erfolgt. Wer ein Zertifikat wünscht, muss nachweisen, dass er oder sie die geforderten 16 Fortbildungspunkte pro Kalenderjahr absolviert hat. Ein Fortbildungspunkt entspricht dabei 45 Minuten Unterricht, insgesamt also gerade einmal zwölf Zeitstunden oder etwa anderthalb bis zwei Arbeitstage im Jahr.

Zum Vergleich: In anderen Bundesländern werden jährlich mindestens zehn Prozent der Mitglieder durch Stichprobenverfahren überprüft. Die bayerische Variante hätte niemanden ungefragt kontrolliert. Sie hätte lediglich denjenigen ein Qualitätssiegel ermöglicht, die es aktiv anstreben. Selbst diese minimale Formalisierung war der Vertreterversammlung zu viel.

Das Argument der Eigenverantwortung

Die Fortbildungspflicht selbst steht nicht zur Debatte. Sie ist seit Jahren im bayerischen Baukammerngesetz verankert. Artikel 24 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 verpflichtet alle Mitglieder, sich beruflich fortzubilden und über die für die Berufsausübung geltenden Bestimmungen auf dem Laufenden zu halten. Was fehlte, war lediglich die konkrete Ausgestaltung dieser Pflicht durch die Kammer.

Die Gegnerinnen und Gegner der Ordnung argumentieren mit Eigenverantwortung. Architektinnen und Architekten seien selbstständig denkende Fachleute, die keiner Kontrolle bedürften. Das Studium allein qualifiziere bereits ausreichend. Fortbildung sei ohnehin Teil der täglichen Praxis. Solche Argumente verkennen allerdings die Dynamik des Berufsfelds. Technische Regelwerke ändern sich, Bauordnungsrecht wird novelliert, Nachhaltigkeitsanforderungen steigen, die Digitalisierung transformiert Planungsprozesse. Wer hier nicht Schritt hält, gefährdet nicht nur die eigene Reputation, sondern potenziell auch die Sicherheit von Bauwerken.

Neben den weltanschaulichen Bedenken dürften auch handfeste finanzielle Überlegungen eine Rolle gespielt haben. Die Einführung einer Fortbildungsordnung hätte Kosten in fünf- bis sechsstelliger Höhe in den Haushalt der Bayerischen Architektenkammer bedeutet: für den Aufbau einer Verwaltungsstruktur zur Erfassung und Prüfung der Nachweise, für die technische Infrastruktur eines Punktekontos, für Personal zur Bearbeitung von Anträgen und Zertifikaten. Diese Investition in die Qualitätssicherung des Berufsstands erschien einem Teil der Vertreterversammlung offenbar nicht gerechtfertigt.

Der Themenkatalog als Orientierungsrahmen

Die abgelehnte Fortbildungsordnung hatte einen durchdachten Themenkatalog vorgelegt. Neun Sachgebiete definierten das Spektrum anerkennungsfähiger Veranstaltungen: Bau und Stadtbaukultur, Nachhaltigkeit und Umweltschutz, Planung und Gestaltung, Aus und Durchführung, Planungs, Bau und Projektmanagement, Planungs und Bauökonomie, Recht, Digitalisierung sowie Büro und Selbstmanagement. Die Mitglieder hätten ihre Fortbildungsthemen frei nach beruflichen Aufgaben und individuellen Bedürfnissen wählen können.

Bemerkenswert ist die Präambel des Entwurfs. Sie formuliert Fortbildung nicht nur als Verbraucherschutz, sondern als Grundlage für eine verantwortungsvolle, klima und sozialgerechte Planungspraxis im Sinne von Gemeinwohl und Generationengerechtigkeit innerhalb der planetaren Grenzen. Die Ablehnung dieser Ordnung wirft damit auch die Frage auf, wie ernst die bayerische Architektenschaft ihre gesellschaftliche Verantwortung nimmt.

Der föderale Flickenteppich wächst

Während die anderen 15 Länderkammern ihre Fortbildungsordnungen angleichen, vergrößert Bayern den regulatorischen Flickenteppich. Für Architektinnen und Architekten, die bundeslandübergreifend tätig sind, bedeutet dies praktische Komplikationen. Fortbildungen, die in einem Bundesland anerkannt werden, gelten nicht automatisch in einem anderen. Die Musterfortbildungsordnung der Bundesarchitektenkammer sollte genau diese Hürden abbauen.

Die wechselseitige Anerkennung von Fortbildungsveranstaltungen zwischen den Kammern funktioniert nur, wenn vergleichbare Anforderungen bestehen. Bayern fällt hier aus dem System. Wer bei einem Kammerwechsel nach Bayern kommt, findet eine ungeregelte Situation vor. Wer Bayern verlässt, muss unter Umständen Nachweise erbringen, die im Freistaat nie verlangt wurden.

Die verpasste Chance der Qualitätssicherung

Das Zertifikatssystem der abgelehnten Ordnung hätte Bauherrinnen und Bauherren ein Signal gegeben. Wer ein zertifiziertes Kammermitglied beauftragt, kann davon ausgehen, dass diese Person ihre Fortbildungspflicht dokumentiert erfüllt. Dieses Vertrauenselement fällt nun weg. Die Kammer verzichtet auf ein Instrument der Qualitätssicherung, das anderen Berufskammern selbstverständlich ist.

Die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach EU Richtlinie 2018/958, die vor der Abstimmung durchgeführt wurde, kam zu einem eindeutigen Ergebnis: Die Fortbildungsordnung ist gerechtfertigt, notwendig und verhältnismäßig. Sie dient dem Verbraucherschutz, der öffentlichen Sicherheit und dem Natur und Umweltschutz. Sie beschränkt weder den Berufszugang noch die Berufsausübung unverhältnismäßig. Die eingegangenen Stellungnahmen der Mitglieder brachten kaum neue Argumente.

Ein Berufsstand zwischen Tradition und Moderne

Die Entscheidung der bayerischen Vertreterversammlung offenbart einen Riss innerhalb des Berufsstands. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die lebenslanges Lernen als Selbstverständlichkeit betrachten und keine externe Kontrolle benötigen. Auf der anderen Seite stehen jene, die formalisierte Standards als Zeichen von Professionalität verstehen. Beide Positionen haben ihre Berechtigung. Doch in einer Zeit, in der Baukultur, Klimaschutz und Digitalisierung den Berufsalltag fundamental verändern, wirkt das Beharren auf Selbstregulation anachronistisch.

Die Bayerische Architektenkammer wird nun einen eigenen Weg finden müssen, die gesetzliche Fortbildungspflicht ihrer Mitglieder zu begleiten, ohne sie zu kontrollieren. Die Akademie für Fort und Weiterbildung wird weiterhin Seminare, Workshops und Lehrgänge anbieten. Die Teilnahme bleibt freiwillig im Sinne einer Selbstverpflichtung ohne Nachweis. Ob das reicht, um den Qualitätsstandard des Berufsstands langfristig zu sichern, darf bezweifelt werden.

Die Revision ist vorgezeichnet

Die Fortbildungsordnung wird wiederkommen. Die Bundesarchitektenkammer hat die Umsetzung in den Ländern für die kommenden zwei Jahre avisiert. Der gesellschaftliche Druck in Richtung Qualitätssicherung und Verbraucherschutz wird nicht nachlassen. Spätestens wenn andere Bundesländer von Prüfungspflichten für komplexe Bauvorhaben auf nachgewiesene Fortbildung abstellen, wird Bayern nachziehen müssen.

Ein weiterer Faktor dürfte den Druck zusätzlich erhöhen: die europarechtliche Dimension der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure. Der Europäische Gerichtshof begründete sein Urteil vom 4. Juli 2019, mit dem er die verbindlichen Mindestsätze der HOAI für europarechtswidrig erklärte, mit einer systemischen Inkohärenz: Die Bundesregierung rechtfertigte die Mindestsätze mit Qualitätssicherung und Verbraucherschutz. Der EuGH akzeptierte dieses Ziel als grundsätzlich legitim, monierte jedoch, dass in Deutschland Planungsleistungen faktisch von jedermann erbracht werden können, ohne entsprechende Qualifikation nachzuweisen. Die Bauvorlageberechtigung, so der Gerichtshof, reiche als Qualitätsgarant nicht aus, zumal sie über die sogenannte kleine Bauvorlageberechtigung auf Handwerksmeister wie Maurer, Betonbauer und Zimmerleute ausgeweitet wurde.

Wer also verbindliche Mindestsätze als Qualitätsinstrument wiederherstellen will, muss zunächst die Qualifikationsanforderungen harmonisieren. Alle Bauvorlagenberechtigten müssten vergleichbare Standards erfüllen, was neben der Ausbildung auch eine dokumentierte Fortbildungspflicht einschließt. Bayern entzieht sich mit der Ablehnung einer verbindlichen Fortbildungsordnung genau diesem Harmonisierungsprozess und erschwert damit langfristig die Wiederherstellung eines kohärenten, EU-konformen Honorarsystems für Planungsleistungen.

Bis dahin bleibt der Freistaat ein fortbildungsregulatorischer weißer Fleck auf der Deutschlandkarte. Ein Sonderweg, der niemandem nützt: nicht den Bauherrinnen und Bauherren, nicht dem Berufsstand, nicht der gebauten Umwelt. Die Vertreterversammlung hat eine Chance vertan. Die nächste wird kommen.