Mehr Pantheon als Kirche: Die neue St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin
Eine Transformation mit Geschichte
Die St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin, seit 1773 ein Wahrzeichen des katholischen Glaubens in der preußischen Hauptstadt, hat eine ihrer tiefgreifendsten Transformationen erlebt. Die umfassende Sanierung, abgeschlossen im Jahr 2024, präsentiert die Kathedrale als minimalistisches Gesamtkunstwerk, das sich stark an das Pantheon in Rom anlehnt. Dieser radikale Wandel spiegelt nicht nur architektonische und liturgische Ambitionen wider, sondern auch gesellschaftliche Dynamiken und ästhetische Trends.
Vergangenheit: Brüche und Neuanfänge
Die Geschichte der Kathedrale ist geprägt von Brüchen. Ursprünglich von Friedrich dem Großen in Auftrag gegeben, sollte sie katholisches Leben in einer protestantischen Metropole sichtbar machen. Nach schweren Schäden im Zweiten Weltkrieg wurde der Innenraum in den 1950er-Jahren vom Bonner Architekten Hans Schwippert neu gestaltet. Schwipperts Konzept – eine zentrale Krypta mit Fokus auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus – verband liturgische Funktionalität mit politischer Symbolik. Dieses Werk wurde im Zuge der jüngsten Sanierung jedoch vollständig entfernt. Kritikerinnen und Kritiker sahen darin nicht weniger als eine Auslöschung eines bedeutenden Zeugnisses deutscher Nachkriegsgeschichte.
Der neue Innenraum: Mehr Kunstwerk als Kirche
Der Entwurf des Architekturbüros Sichau & Walter, in Zusammenarbeit mit dem Künstler Leo Zogmayer, folgt einer strengen, minimalistischen Ästhetik. Der Innenraum besticht durch Symmetrie: Ein Altar in Form einer Halbkugel bildet das Zentrum, umgeben von kreisförmig angeordneter Bestuhlung. Der Fokus auf Geometrie und Reduktion erinnert an das Pantheon, dessen Einfluss durch die Kuppelstruktur des Gebäudes zusätzlich unterstrichen wird.
Besonders hervorzuheben ist die neue Kuppeldecke mit ihrer Penrose-Parkettierung, die aus nur zwei Rauten ein komplexes, niemals wiederholendes Muster bildet. Diese Detailverliebtheit spricht ein urbanes Publikum an, das für zeitgenössische Designs und hochwertige Materialien empfänglich ist. Gleichzeitig zieht der Raum durch seine lichten, strengen Linien auch kirchenferne Besucherinnen und Besucher in seinen Bann.
Kontroverse Entscheidungen
Die Entscheidung, Schwipperts Gestaltung vollständig zu entfernen, löste massive Proteste aus. Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger sowie ein Großteil der Architekturszene kritisierten den Umgang mit dem historischen Erbe. Die Kirche berief sich jedoch auf ihr Selbstorganisationsrecht, das denkmalpflegerische Interessen überstimmt. Die Diskussion um den Umgang mit architektonischen Schichten verdeutlicht einen grundlegenden Konflikt: Während die Denkmalpflege auf die Bewahrung historischer Substanz setzt, priorisiert die Kirche liturgische Praktikabilität.
Liturgie im neuen Raum
Die Neugestaltung stellt auch liturgische Herausforderungen. Trotz der zentralen Anordnung wird der Priester während der Messe einigen Teilen der Gemeinde den Rücken zuwenden. Wo der Altar Nähe suggeriert, verlangt die minimalistische Gestaltung eine starke Präsenz der Predigenden. Ein charismatischer Erzbischof wird dem Raum gerecht werden können, während unsichere Priester möglicherweise Schwierigkeiten haben, die spirituelle Tiefe des neuen Designs zu füllen.
Eine neue Glaubensachse
Ein architektonisches Highlight ist die sogenannte Glaubensachse, die von der Krypta unter dem Altar bis zur gläsernen Öffnung in der Kuppelspitze reicht. Diese symbolische Linie verbindet Taufe, Glaubensfeier und Hoffnung auf das Jenseits. Fenster mit milchigem Glas, gesprenkelt von kleinen Kreisen, die den Sternenhimmel über Berlin darstellen sollen, verstärken die spirituelle Wirkung. Der Raum scheint mit einem Hauch von Esoterik durchzogen, der polarisieren könnte.
Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Kontext
Die Sanierung erfolgte mit einem besonderen Augenmerk auf nachhaltige Materialien und moderne technische Standards. Dies passt in eine Zeit, in der kulturelle Institutionen zunehmend für ökologische und soziale Verantwortung einstehen müssen. Gleichzeitig entspricht die neue Gestaltung dem Trend zu Reduktion und Funktionalität, wie sie in zeitgenössischer Architektur populär ist.
Ein Ausblick in die Zukunft
Der Künstler Leo Zogmayer äußerte sich selbstbewusst, dass das Konzept der Kathedrale zum Vorbild für andere Kirchen werden könnte. Doch ebenso sicher scheint, dass in einigen Jahrzehnten eine erneute Neugestaltung diskutiert werden wird. Ob dann wieder Farbe und Pomp Einzug halten, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass die St.-Hedwigs-Kathedrale weiterhin ein Spiegel ihrer Zeit bleibt – ein Ort der Kontroversen und des Wandels.
Fazit
Die St.-Hedwigs-Kathedrale hat sich gewandelt – von einem liturgischen Zentrum mit historischem Gewicht hin zu einem Ort, der Architekturgeschichte schreibt. Die Verbindung von sakralem Raum und urbaner Ästhetik macht sie zu einem einzigartigen Schauplatz, der weit über Berlin hinaus Aufmerksamkeit erregen wird. Doch der Preis für diese Transformation war hoch: Der Verlust eines bedeutenden Kapitels der Nachkriegsgeschichte wird vielen als schmerzhafter Einschnitt in Erinnerung bleiben. Die neue Kathedrale bleibt mehr als nur ein Ort des Glaubens – sie ist ein Symbol für die Spannungsfelder von Tradition, Moderne und Liturgie.