Baukunst - Berufspolitisches Versagen? Die Baubranche zwischen Regulierung und Realität
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Berufspolitisches Versagen? Die Baubranche zwischen Regulierung und Realität

29.07.2025
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Ignatz Wrobel

Das Personal-Paradox der Baustellen

Verbände ringen um Lösungen für eine Branche im Umbruch

Die deutsche Baubranche steht vor einem scheinbar unlösbaren Widerspruch: Während die Baugenehmigungen dramatisch einbrechen – im Jahr 2023 um über 25 Prozent –, meldete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung mehr als 200.000 offene Stellen im Baugewerbe. Laut der PwC-Studie 2025 kämpfen 81 Prozent der Bauunternehmen mit Fachkräftemangel, obwohl die Auftragsbücher vielerorts leer sind. Ein Paradox, das die Verbände und Kammern vor grundlegende berufspolitische Herausforderungen stellt.

Strukturkrise statt Konjunkturdelle

Im Rahmen der DIHK-Umfrage zum Frühsommer 2025 gaben trotz restriktiverer Beschäftigungspläne immer noch 64 Prozent der befragten Bauunternehmen den Fachkräftemangel als Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung ihres Unternehmens an. Die Zahlen offenbaren eine tiefergehende Strukturkrise: Es fehlt nicht nur an Aufträgen im Neubau, sondern vor allem an qualifizierten Kräften für die anstehenden Transformationsaufgaben – energetische Sanierung, Digitalisierung, nachhaltiges Bauen.

“Wir haben es mit einem doppelten Transformationsdruck zu tun”, analysiert die Bundesarchitektenkammer. Einerseits erfordere der Klimaschutz massive Investitionen in den Gebäudebestand, andererseits fehle es an Fachkräften mit den notwendigen Kompetenzen für neue Technologien und Materialien. Die PwC-Studie bestätigt: 82 Prozent der Unternehmen bezeichnen das fehlende fachliche Know-how als Hauptproblem bei der Umsetzung der Digitalisierung.

Berufspolitische Weichenstellungen

Die Tarifparteien haben reagiert: Am 18. Juni 2025 einigten sich IG BAU, ZDB und HDB auf eine 13-prozentige Erhöhung der Kostenerstattung für überbetriebliche Ausbildungszentren. Gleichzeitig wird die Ausbildungsumlage von 2,2 auf 1,9 Prozent der Bruttolohnsumme gesenkt. Ein Spagat zwischen Investition in die Zukunft und Entlastung der Betriebe.

Die Architektenkammern setzen auf beschleunigte Anerkennungsverfahren für ausländische Abschlüsse. “Das durchschnittliche Verfahren dauert bei Ingenieursabschlüssen sechs Monate – Zeit, die wir nicht haben”, heißt es aus den Reihen der Bundesingenieurkammer. Temporäre Berufsausübungserlaubnisse könnten hier Abhilfe schaffen.

Regulatorischer Ballast als Wachstumshemmnis

93 Prozent der Befragten fordern einen drastischen Abbau bürokratischer Hürden und den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Die Normendichte im Bauwesen – über 3.500 DIN-Normen plus EU-Richtlinien – bindet Kapazitäten, die dringend auf den Baustellen gebraucht würden. Der Bundesverband Baustoffe spricht von einer “regulatorischen Lähmung” der Branche.

Besonders kritisch sehen die Verbände die mangelnde Berücksichtigung digitaler Lösungen in öffentlichen Vergabeverfahren. 83 Prozent der Befragten bemängeln, dass digitale Lösungen in Vergabeverfahren nicht ausreichend berücksichtigt werden. Ein fatales Signal in Zeiten, in denen BIM und digitale Planungsprozesse zur Effizienzsteigerung unerlässlich sind.

Demografische Zeitbombe tickt

Die Zahlen sind alarmierend: Allein 2025 sollen drei Millionen Erwerbstätige den Arbeitsmarkt verlassen. Bereits 2008 waren mehr als 33 Prozent der Beschäftigten und Selbstständigen in der Bauwirtschaft mindestens 50 Jahre alt. Die Ersatzquote durch Nachwuchskräfte liegt weit unter dem Bedarf.

Im Rahmen des DIHK-Fachkräfte-Reports 2024/2025 gaben 53 Prozent der Unternehmen aus der Bauwirtschaft an, Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung zu haben, im Tiefbau sind es sogar 61 Prozent. Die Konkurrenz um qualifizierte Kräfte verschärft sich branchenübergreifend.

HOAI-Debatte gefährdet Attraktivität

In der aktuellen Diskussion um die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) warnen die Berufsverbände vor einem gefährlichen Abwärtstrend. Eine weitere Absenkung der Honorare würde die ohnehin angespannte Personalsituation in Planungsbüros weiter verschärfen. “Wir können nicht einerseits höhere Anforderungen an Nachhaltigkeit und Digitalisierung stellen und andererseits die Honorare kürzen”, argumentieren Vertreter der Ingenieurkammern.

Digitalisierung als Chance und Herausforderung

Die vorliegende Studie zeigt, dass 75 Prozent der befragten Unternehmen mittlerweile ESG-Ziele definiert haben. Doch die Umsetzung stockt: Fehlende digitale Kompetenzen und unklare regulatorische Vorgaben bremsen den Fortschritt. Die Architektenkammern haben ihre Fortbildungsangebote massiv ausgebaut – allein im Bereich BIM wurden 2023 über 10.000 Zertifikate vergeben.

Die PwC-Studie 2023 zeigt, dass die Digitalisierung die Produktivität in der Baubranche um bis zu 20 Prozent steigern kann. Ein Potenzial, das angesichts des Fachkräftemangels dringend gehoben werden muss. Doch ohne entsprechende Investitionen in Aus- und Weiterbildung bleibt dies Wunschdenken.

Internationale Fachkräfte: Potenzial mit Hindernissen

Die Bundesagentur für Arbeit hat spezielle Programme für Bauberufe aufgelegt, doch die Anerkennung ausländischer Abschlüsse bleibt ein Nadelöhr. Die Ingenieurkammern fordern beschleunigte Verfahren und pragmatische Übergangslösungen. “Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Anerkennungspraxis”, heißt es aus der Bundesingenieurkammer.

Ausblick: Gemeinsame Kraftanstrengung erforderlich

Das Personal-Paradox der Baustellen ist mehr als eine konjunkturelle Delle – es ist Symptom einer tiefgreifenden Strukturkrise. Das Bauhauptgewerbe hat seit dem Beschäftigten-Tiefpunkt im Jahr 2009 bis 2023 ca. 500.000 Personen eingestellt, abzüglich der Rentenabgänge war dies ein Plus von 222.000 Personen. 2024 wurde erstmals seit 2008 wieder Personal abgebaut.

Die Verbände und Kammern stehen vor der Herausforderung, nicht nur kurzfristige Lösungen zu finden, sondern die Branche grundlegend neu aufzustellen. Dazu gehören moderne Ausbildungskonzepte, attraktive Arbeitsbedingungen, der Abbau bürokratischer Hürden und eine faire Honorierung von Planungsleistungen. Nur wenn alle Akteure – Politik, Verbände, Unternehmen – an einem Strang ziehen, kann das Paradox aufgelöst werden.