
Hamburgs neue Oper: Zwischen dänischem Glanz und deutschem Schatten
Mit dem Entwurf der Bjarke Ingels Group für die neue Staatsoper auf dem Baakenhöft beginnt ein Kapitel Hamburger Baugeschichte, das von architektonischer Brillanz ebenso geprägt ist wie von ungelösten erinnerungspolitischen Fragen.
Ein Wettbewerb mit klarem Sieger
Am 13. November 2025 verkündete eine einstimmig entscheidende Jury das Ergebnis des architektonischen Qualifizierungsverfahrens für Hamburgs neue Staatsoper: Das Kopenhagener Büro Bjarke Ingels Group (BIG) setzte sich gegen vier namhafte Mitbewerber durch. Mit gmp Architekten in Zusammenarbeit mit Diller Scofidio & Renfro, Snøhetta aus Oslo, Sou Fujimoto aus Tokio und dem Hamburger Büro Studio PFP von Jörg Friedrich war die Konkurrenz hochkarätig besetzt. Doch BIG überzeugte mit einem Entwurf, der die Jury als gelungene Symbiose aus Opernhaus und urbanem Wahrzeichen beschrieb.
Der Siegerentwurf präsentiert ein gläsernes Opernhaus mit einer rundum begehbaren Dachlandschaft, die sich spiralförmig um das Gebäude windet. Konzentrische Terrassen breiten sich vom zentralen Opernsaal aus wie Schallwellen über das Wasser. Einheimische Bäume, Büsche und Gräser sollen die Dachgärten begrünen und einen dreidimensionalen Park schaffen, der von allen Seiten zugänglich bleibt. Bjarke Ingels selbst beschreibt sein Konzept als Landschaft, die vom pulsierenden musikalischen Herzen ausstrahlt und sich wie Wellen auf der Meeresoberfläche in den Hafen hinaus zieht.
Die Handschrift eines Stararchitekten
Wer Bjarke Ingels’ bisheriges Schaffen kennt, erkennt in dem Hamburger Entwurf sofort seine charakteristische Handschrift. Der 1974 in Kopenhagen geborene Architekt, der bei Rem Koolhaas lernte und 2016 vom Time Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt gezählt wurde, verfolgt einen Ansatz, den Beobachtende als hedonistische Nachhaltigkeit bezeichnen. Sein bekanntestes Werk, das Kraftwerk Copenhill in Kopenhagen, vereint eine Müllverbrennungsanlage mit einer 450 Meter langen Skipiste auf dem Dach und der höchsten Kletterwand der Welt an der Fassade.
Dieses Prinzip der programmatischen Hybridisierung prägt auch den Hamburger Entwurf. Die Oper soll nicht nur abends während der Vorstellungen funktionieren, sondern ganztägig als öffentlicher Raum dienen. Ein Café und eine Bar bleiben permanent zugänglich, die Terrassen laden zum Flanieren ein, und der umgebende Opernpark verbindet das Gebäude mit der Wasserseite. Intendant Tobias Kratzer, erst seit hundert Tagen im Amt, zeigte sich begeistert: Ein Gebäude, das sich in vollen 360 Grad zur Stadt hin öffnet, entspreche genau der künstlerischen Programmatik, für die auch die Hamburgische Staatsoper stehe.
Architektur zwischen Elbtower und Elbphilharmonie
Der Standort Baakenhöft liegt strategisch zwischen den vertikalen Landmarken der HafenCity. Zur einen Seite die Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron, zur anderen der noch unvollendete Elbtower. In diesem Spannungsfeld setzt BIG auf ein horizontales Gegengewicht: Statt in die Höhe zu streben, breitet sich die Oper wie ein begehbarer Hügel über die Landzunge aus. Der zentrale Saal mit etwa 1.500 Plätzen wird von geschwungenen Holzbalkonen umrahmt, die sowohl die Akustik optimieren als auch eine intime Atmosphäre schaffen sollen.
Die Jury unter Vorsitz von Stefan Behnisch würdigte besonders die Dachauskragungen der Fassade, die eine Kaskade eleganter Balkone erzeugen. Bei Nacht sollen die von unten beleuchteten Blätter des Daches wie eine aufsteigende Blüte wirken. Andreas Kleinau von der HafenCity Hamburg GmbH sprach von einem Opernhaus, das sich als Einladung an alle Menschen verstehe, auch an jene, die mit Oper sonst nichts am Hut haben.
Das Erbe der Dammtorstraße
Mit dem Neubau stellt sich die Frage nach der Zukunft des bestehenden Opernhauses an der Dammtorstraße. Das denkmalgeschützte Gebäude blickt auf eine bewegte Geschichte zurück: 1827 nach Plänen von Carl Ludwig Wimmel errichtet, später von Rathausbaumeister Martin Haller mit klassizistischer Fassade versehen, im Zweiten Weltkrieg teilzerstört und 1955 von Gerhard Weber im Stil einer repräsentativen Nachkriegsmoderne wiederaufgebaut. Der Hamburger Denkmalrat sieht das Zuschauerhaus als herausragendes Beispiel seiner Epoche.
Der Senat betont, das alte Opernhaus werde in jedem Fall erhalten und weiterhin kulturell genutzt. Doch was genau dort geschehen soll, bleibt vage. Die technische Ausstattung ist teilweise über 30 Jahre alt; Ersatzteile werden auf Ebay gesucht, wie der Technische Direktor berichtet. Eine Asbestbelastung erschwert Sanierungsarbeiten. Für die Aufrechterhaltung des Spielbetriebs bis zur möglichen Fertigstellung der neuen Oper veranschlagt der Senat rund 95 Millionen Euro. Der Denkmalverein Hamburg kritisiert, es sei weder baukulturell noch finanziell zu verantworten, das zentral gelegene Haus einer unklar definierten Zukunft zu überlassen.
Ein Mäzen und seine Geschichte
Die Finanzierung des Projekts wirft Fragen auf, die über reine Architekturkritik hinausreichen. Klaus-Michael Kühne, der 1937 geborene Erbe des Logistikunternehmens Kühne + Nagel und einer der reichsten Deutschen, will bis zu 340 Millionen Euro für den Neubau bereitstellen. Die Stadt trägt 147,5 Millionen Euro für standortspezifische Kosten wie Gründung und Flutschutz sowie rund 104 Millionen Euro für Grundstücksherrichtung und Ufereinfassung. Nach Fertigstellung soll das Gebäude als Schenkung an die Stadt übergehen.
Doch Kritikerinnen und Kritiker verweisen auf die unaufgearbeitete NS-Vergangenheit des Familienunternehmens. Ab 1942 transportierte Kühne + Nagel im Rahmen der sogenannten M-Aktion geraubte Möbel, Kunst und Hausrat von geflohenen und deportierten jüdischen Menschen aus den besetzten Westgebieten ins Deutsche Reich. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes kritisiert, der Ursprung des Kühne-Vermögens werde im Lob des Mäzenatentums bagatellisiert. Klaus-Michael Kühne, so der Vorwurf, verhindere eine wissenschaftliche Aufarbeitung und behaupte bis heute, die Firmenarchive seien verbrannt, obwohl vieles dagegen spreche.
Der Baakenhöft als Erinnerungsort
Die erinnerungspolitische Dimension des Projekts geht noch weiter. Am Baakenhafen wurden 1904 jene Truppen eingeschifft, die am Völkermord an den Herero und Nama beteiligt waren. Die Kulturbehörde verweist auf das Erinnerungskonzept Hamburg dekolonisieren!, in dem der Baakenhöft als Leerstelle benannt ist, die einer kritischen Kommentierung bedarf. Aktivistinnen und Aktivisten fordern seit Jahren einen Gedenkort statt eines Repräsentationsbaus. Die Frage, ob ein Opernhaus diese historische Last tragen oder ob es sie verdrängen wird, bleibt offen.
Am 26. November 2025 stimmte die Hamburger Bürgerschaft dem Vertrag zwischen Stadt und Kühne-Stiftung zu. SPD, Grüne, CDU und AfD votierten dafür, nur die Linksfraktion dagegen. Zuvor hatte die Initiative zu den Opernplänen, getragen von Hamburg Postkolonial, dem Netzwerk HafenCity, dem AStA der HafenCity Universität, dem Gängeviertel und anderen Gruppen, 10.000 Unterschriften gegen das Vorhaben überreicht. Marco Hosemann von den Linken kritisierte, ein Jahrhundertprojekt werde ohne echte Debatte entschieden. Das Hinterzimmer-Gemauschel des Senats mit Klaus-Michael Kühne schade dem Vertrauen in Politik und Demokratie.
Architektur als gesellschaftlicher Spiegel
Hamburgs neue Oper steht exemplarisch für die Ambivalenzen zeitgenössischer Kulturarchitektur. Auf der einen Seite ein Entwurf, der zeitgenössische Architektursprache mit öffentlichem Anspruch verbindet, der Nachhaltigkeit verspricht und eine Oper für alle proklamiert. Auf der anderen Seite ein Finanzierungsmodell, das kritische Fragen nach dem Einfluss privater Mäzene auf städtische Kulturpolitik aufwirft, und ein Standort, dessen koloniale und nationalsozialistische Bezüge im öffentlichen Gedächtnis erst noch verankert werden müssen.
Bürgermeister Peter Tschentscher sprach von einer bescheidenen Ikone. Das Paradox dieser Formulierung mag unbeabsichtigt sein, trifft aber den Kern: Wie bescheiden kann ein Gebäude sein, das sich als neues Wahrzeichen neben Elbphilharmonie und Michel einreihen soll? Und wie ikonisch darf eine Architektur werden, wenn die gesellschaftlichen Widersprüche, auf denen sie errichtet wird, ungelöst bleiben?
Die kommenden zwei Jahre der erweiterten Vorplanung werden zeigen, ob der Entwurf von BIG seinen Versprechen gerecht werden kann. Bis 2028 soll eine belastbare Kostenschätzung vorliegen, auf deren Basis die Kühne-Stiftung endgültig über die Realisierung entscheidet. Ein Baubeginn wäre frühestens 2030 möglich, die Fertigstellung 2034. Bis dahin bleibt Hamburg eine Stadt mit einer denkmalgeschützten Oper, deren Zukunft ungewiss ist, und dem Traum von einer neuen, die alle einladen soll, während sie auf einem Grund steht, dessen Geschichte erst noch erzählt werden muss.

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