Baukunst - Vom Kaufhaussterben zur Verwaltungsoffensive: Chemnitz zeigt, wie Kommunen Leerstand bekämpfen
Vom Konsumtempel zur Amtsstube © Depositphotos_252882442_S

Chemnitz zeigt, wie Kommunen Leerstand bekämpfen

26.11.2025
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Claudia Grimm

Vom Konsumtempel zum Bürgeramt

Am 31. August 2024 schloss die Galeria Kaufhof in Chemnitz nach 23 Jahren ihre Pforten. Die Nachricht kam nicht überraschend: Drei Insolvenzverfahren in wenigen Jahren hatten dem Konzern zugesetzt, 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren ihre Arbeitsplätze. Was blieb, war ein architektonisches Ausrufezeichen inmitten der sächsischen Innenstadt, das plötzlich ohne Funktion dastand.

Das fünfgeschossige Gebäude mit seiner vollständig verglasten Fassade stammt vom deutsch-amerikanischen Architekten Helmut Jahn. Als es 2001 eröffnete, galt es als das modernste Kaufhaus Europas, manche sprachen vom weltweit ersten Warenhaus mit komplett gläserner Hülle. Die Baukosten beliefen sich auf rund 120 Millionen D-Mark. Jahn, der 2021 bei einem Fahrradunfall in Illinois ums Leben kam, hatte mit diesem Entwurf eine offene Wunde der Chemnitzer Innenstadt geschlossen: Der Zweite Weltkrieg und großflächige Abrisse hatten hier eine massive Baulücke hinterlassen.

Ein Stadtpavillon wird Behördensitz

Am 29. Januar 2025 beschloss der Chemnitzer Stadtrat in nichtöffentlicher Sitzung einen bemerkenswerten Grundsatzbeschluss: Die Stadt wird mit der Krieger-Gruppe einen Mietvertrag über 15 Jahre abschließen, mit Option auf fünf weitere Jahre. In die oberen Etagen des ehemaligen Kaufhauses sollen das Jugendamt, das Sozialamt und das Standesamt einziehen, die bisher in den Verwaltungsstandorten Moritzhof und Alte Post untergebracht waren. Deren Mietverträge laufen 2028 aus.

Die Krieger-Gruppe, bekannt durch Möbelhäuser wie Höffner und als Betreiberin des Chemnitz Centers, hatte das Gebäude Ende 2022 von der DIC Asset AG erworben. Die Gesamtinvestition für Ankauf und Umbau beziffert Andreas Uhlig von der Krieger-Gruppe auf rund 90 Millionen Euro. Allein die Umbaukosten für die zweite bis vierte Etage werden mit etwa 40 Millionen Euro veranschlagt. Die Architekturvisualisierungen stammen vom Büro Beier Virtual Architecture aus Braunschweig, das sich auf die Darstellung von Großprojekten spezialisiert hat.

Multifunktional statt monothematisch

Das Konzept folgt einem Trend, der sich in deutschen Innenstädten ausbreitet: Die strikte Trennung von Handel, Verwaltung und Gastronomie weicht einer Mischnutzung. Im Chemnitzer Kaufhof sollen die unteren beiden Etagen weiterhin Einzelhandel und Gastronomie beherbergen. Die Sächsische Großbäckerei Emil Reimann und das italienische Eiscafé Ferioli haben bereits im Erdgeschoss eröffnet. Darüber entstehen in den Etagen zwei bis vier moderne Büroflächen, wo offene Raumstrukturen und Grünpflanzen eine zeitgemäße Arbeitsatmosphäre schaffen sollen.

Der neue Eingang für die Verwaltungsetagen wird sich künftig in der Seitenstraße Am Rathaus befinden, was die direkte Nachbarschaft zum historischen Rathaus unterstreicht. Die Zentralhaltestelle in unmittelbarer Nähe gewährleistet eine gute ÖPNV-Anbindung für Bürgerinnen und Bürger sowie Mitarbeitende gleichermaßen.

Kritische Stimmen und knappe Kassen

Die Entscheidung fiel in einer Zeit knapper kommunaler Kassen und ist nicht unumstritten. Thiemo Kirmse, Geschäftsführer der BSW-Fraktion im Chemnitzer Stadtrat, kritisierte den Grundsatzbeschluss scharf: Die Mietzahlungen würden sich auf einen mehrstelligen Millionenbetrag bis ins Jahr 2048 summieren. Mit diesen Mitteln, so Kirmse, ließe sich die Schulsozialarbeit in den Berufsschulzentren sichern, das Umweltzentrum finanzieren oder die Sauna im Stadtbad jahrzehntelang weiterbetreiben.

Die Stadtverwaltung argumentiert dagegen mit strategischen Überlegungen. Das Gebäude habe aufgrund seiner Komplexität und Größe erheblichen Einfluss auf das Stadtbild. Ein Leerstand an dieser exponierten Stelle hätte fatale Signalwirkung für andere Mieterinnen und Mieter sowie Geschäftsleute der Innenstadt. Der neue Standort in direkter Nähe zum Rathaus verbessere zudem die Vernetzung innerhalb der Verwaltung und verkürze Wege zwischen den Fachämtern.

Kulturhauptstadt als Katalysator

Das Timing ist kein Zufall. Chemnitz trägt 2025 den Titel Kulturhauptstadt Europas und richtet unter dem Motto C the Unseen den Blick auf verborgene Potenziale. Die Umnutzung des Jahn-Baus fügt sich in diese Erzählung: Wo der großflächige Einzelhandel keine Zukunft mehr hat, entstehen neue Formen urbaner Nutzung. Die Bauarbeiten werden bewusst behutsam durchgeführt, um die Kulturhauptstadt-Aktivitäten nicht zu beeinträchtigen. Die Hauptbauphase ist für 2026 geplant, Ende des Jahres soll das Projekt abgeschlossen sein.

Ein Modell für andere Städte?

Der Chemnitzer Ansatz reiht sich ein in eine wachsende Zahl von Kaufhauskonversionen. In Hamburg-Wandsbek entsteht aus dem ehemaligen Karstadt-Gebäude ein neuer Sitz des Bezirksamtes. In Neumünster zieht die Sparkasse Südholstein in eine ehemalige Karstadt-Immobilie, ergänzt durch eine Stadtbibliothek. In Siegen wurde ein Karstadt-Gebäude mit einem universitären Hörsaalzentrum kombiniert. Die Muster ähneln sich: Wo monofunktionale Handelsimmobilien scheitern, entstehen hybride Nutzungen mit öffentlichem Charakter.

Für das Chemnitzer Gebäude bedeutet die Umnutzung eine Rettung der architektonischen Substanz. Helmut Jahns Entwurf hatte mit seiner gläsernen Hülle einen bewussten Gegensatz zur geschlossenen Warenhausarchitektur des 20. Jahrhunderts geschaffen. Die Transparenz, die ursprünglich Einblicke in die Konsumwelt gewähren sollte, wird nun Verwaltungshandeln sichtbar machen. Ob das der ursprünglichen Intention des Architekten entspricht, lässt sich nicht mehr fragen. Dass sein Gebäude aber überhaupt eine Zukunft hat, wäre im Kontext des deutschen Kaufhaussterbens keineswegs selbstverständlich gewesen.

Architektonisches Erbe bewahren

Die Chemnitzer Lösung zeigt, dass Umnutzung mehr sein kann als ein Notbehelf. Sie kann Architekturgeschichte bewahren und gleichzeitig neue städtische Funktionen erfüllen. Das Kaufhaus als Typus mag dem Untergang geweiht sein, die Gebäude müssen es nicht. Wenn aus dem Konsumtempel ein Ort bürgernaher Dienstleistungen wird, mag das ironisch erscheinen. Es ist aber auch ein pragmatischer Umgang mit dem baulichen Erbe einer Epoche, die unwiderruflich zu Ende geht.