
Baukultur im Aufbruch: Ostdeutschlands Architektur-Festival steht vor besonderen Jubiläen
Zum 30. Mal laden die Architektenkammern in Ostdeutschland am letzten Juniwochenende 2025 zum Tag der Architektur. Was in Sachsen als regionale Initiative begann, entwickelte sich zu einem der wichtigsten Baukulturfestivals der Region. Unter dem bundesweiten Motto „Vielfalt bauen“ zeigen Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen vom 28. bis 29. Juni eindrucksvoll, wie regionale Besonderheiten und innovative Planungsansätze die gebaute Umwelt prägen.
Sachsen feiert drei Jahrzehnte Baukultur-Dialog
Die sächsische Architektenkammer begeht 2025 ein besonderes Jubiläum: Seit 30 Jahren öffnet der Tag der Architektur im Freistaat Türen zu sonst verschlossenen Welten. Fast 90 Objekte, offene Büros und Veranstaltungen erstrecken sich über das gesamte Bundesland – von den Metropolen Chemnitz, Dresden und Leipzig bis in kleinste Kommunen. Die Architektenkammer hat das Programm bewusst vielfältig gestaltet: Erstmals stehen geführte Fahrradtouren auf dem Programm, ergänzt durch bewährte Bustouren in Kooperation mit dem Zentrum für Baukultur Sachsen.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die parallel laufende Ausstellung „WIR SIND VIELE!“ im Kulturpalast Dresden. Als Teil des bundesweiten Women in Architecture Festivals macht sie vom 19. bis 29. Juni die Arbeit von Planerinnen sichtbar und hinterfragt etablierte Rollenbilder. Eine Rückblicks-Ausstellung „30 Jahre Tag der Architektur“ im Haus der Architekten zeigt ab 26. Juni exemplarische Projekte aus jedem Veranstaltungsjahr – ein eindrucksvolles Panorama sächsischer Baukultur.
Thüringen setzt auf regionale Vernetzung
45 Objekte in 31 Städten und Gemeinden präsentiert Thüringen 2025. Die Architektenkammer hat das Begleitprogramm deutlich ausgeweitet: Bereits ab 17. Juni zeigt die Ausstellung „Neue Architektur in Thüringen“ in Erfurt aktuelle Projekte aus dem gesamten Freistaat. Besondere Formate wie Baustellenführungen zum Quartiersprojekt „Alte Feuerwache“ in Weimar oder die Kuratorenführung durch den Eiermannbau in Apolda schaffen direkte Begegnungen zwischen Planenden und Besuchern.
Der Freistaat nimmt mit drei Veranstaltungen am Women in Architecture Festival teil und zeigt damit sein Engagement für Diversität in der Baukultur. Die Domäne Dornburg, ein Projekt mit besonderem denkmalpflegerischen Anspruch, gewährt am 28. Juni Einblicke in Geschichte, Potentiale und aktuelle Planungen.
Mecklenburg-Vorpommern: Nachhaltigkeit im Fokus
Die Architektenkammer Mecklenburg-Vorpommern startet bereits einen Tag früher ins Architektur-Wochenende. Vom 26. bis 29. Juni können Besucherinnen und Besucher erleben, wie nachhaltiges Planen und Bauen in einem Flächenland mit besonderen klimatischen Herausforderungen funktioniert. „Architekten wirken zusammen mit ihren privaten und öffentlichen Bauherren wesentlich an der Gestaltung unserer gebauten Umwelt mit“, betont Kammerpräsident Christoph Meyn die gesellschaftliche Verantwortung des Berufsstandes.
Das Programm legt besonderen Wert auf die Demonstration ressourcenschonender Planungsansätze und die Bandbreite architektonischer Tätigkeitsfelder. Von der Ostseeküste bis zur Mecklenburgischen Seenplatte zeigen lokale Büros, wie sie regionaltypische Baumaterialien und Handwerkstraditionen mit zeitgemäßen Anforderungen verbinden.
Sachsen-Anhalt: Zwischen Industriekultur und Innovation
Seit 1996 etabliert Sachsen-Anhalt den Tag der Architektur als wichtiges Baukultur-Event. 2025 steht die Veranstaltung im Kontext mehrerer Jubiläen: Die Stiftung Bauhaus Dessau feiert das 100-jährige Jubiläum des Umzugs von Weimar nach Dessau, und der elfte Architekturpreis des Landes wird ausgelobt.
Die Architektenkammer organisiert am 19. Juni den „WIA Sommersalon LSA 2025“ in Halle als regionales Opening des Women in Architecture Festivals. Dieser soll Impulse für nachhaltige Netzwerke setzen und den Austausch von Akteurinnen in Architektur, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung fördern.
Das Programm spiegelt die Vielfalt der Bauaufgaben im Land wider: Von sanierungsbedürftigen Industriedenkmälern bis zu innovativen Wohnprojekten, von ländlichen Gemeindezentren bis zu urbanen Quartiersentwicklungen zeigt Sachsen-Anhalt, wie Architektur gesellschaftlichen Wandel begleitet.
Regionale Besonderheiten prägen die Baukultur
Die vier ostdeutschen Bundesländer verbindet mehr als nur geografische Nähe. Seit 2004 führen die Architektenkammern aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gemeinsam Mitteldeutsche Architektentage durch – ein Format, das fachlichen Austausch und regionale Vernetzung fördert. Diese Kooperation spiegelt sich auch im Tag der Architektur wider, wo ähnliche Herausforderungen unterschiedliche Lösungsansätze hervorbringen.
Der demografische Wandel prägt alle vier Bundesländer, führt aber zu verschiedenen Strategien: Während Sachsen auf Verdichtung in den Wachstumsregionen setzt, entwickelt Mecklenburg-Vorpommern Konzepte für dünn besiedelte Räume. Thüringen zeigt, wie historische Substanz sensibel für neue Nutzungen entwickelt wird, Sachsen-Anhalt demonstriert den Umgang mit Industriekultur als Planungsherausforderung.
Klimaanpassung als regionale Gestaltungsaufgabe
Das Motto „Vielfalt bauen“ gewinnt vor dem Hintergrund klimatischer Herausforderungen besondere Relevanz. Die ostdeutschen Bundesländer entwickeln jeweils spezifische Anpassungsstrategien: Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt sich intensiv mit Hochwasserschutz und Küstenschutz, Sachsen mit urbanen Hitzeinseln in den Großstädten. Thüringen erprobt dezentrale Lösungen für ländliche Räume, Sachsen-Anhalt integriert Wassermanagement in die Stadtplanung.
Diese regionalen Ansätze zeigen exemplarisch, wie Architektur auf lokale Gegebenheiten reagiert und dabei überregional übertragbare Lösungen entwickelt. Der Tag der Architektur macht diese Innovationen sichtbar und lädt zur kritischen Diskussion ein.
Nachwuchsförderung und Berufsbild im Wandel
Alle vier Architektenkammern nutzen den Tag der Architektur gezielt zur Nachwuchswerbung und Berufsbild-Vermittlung. Offene Büros gewähren Einblicke in den Planungsalltag, Studierende präsentieren Abschlussarbeiten, Auszubildende im Bauhandwerk zeigen ihr Können. Das Women in Architecture Festival ergänzt diese Bemühungen um geschlechtergerechte Perspektiven auf Planungsberufe.
Die Öffnung für alle Fachrichtungen – von der klassischen Architektur über Landschaftsarchitektur und Innenarchitektur bis zur Stadtplanung – verdeutlicht die Breite des Berufsfeldes. Besonders in kleineren Büros, die in Ostdeutschland zahlreich vertreten sind, übernehmen Planerinnen und Planer oft vielfältige Rollen von der ersten Skizze bis zur Bauüberwachung.
Digitale Vernetzung schafft dauerhafte Sichtbarkeit
Erstmals ergänzen alle vier Bundesländer das physische Erlebnis durch digitale Formate. Die Projekte bleiben als Online-Sammlung ganzjährig abrufbar, ergänzt durch Videos, virtuelle Rundgänge und Planerdokumentationen. Diese digitale Erweiterung macht ostdeutsche Baukultur überregional sichtbar und schafft Verbindungen zwischen den Ländern.
Die Architektenkammer Sachsen startet parallel eine Website als digitales Archiv zum Women in Architecture Festival. Thüringen dokumentiert erstmals alle Begleitveranstaltungen audiovisuell, Mecklenburg-Vorpommern entwickelt eine App für individuelle Touren.
Fazit: Baukultur als gesellschaftlicher Dialog
Der Tag der Architektur 2025 in den ostdeutschen Bundesländern zeigt eindrucksvoll, wie regionale Identität und innovative Planungsansätze zusammenwirken. Die Vielfalt der Projekte – von der dörflichen Mehrzweckhalle bis zum urbanen Hochhaus, vom sanierten Industriedenkmal bis zum experimentellen Holzbau – verdeutlicht die Bandbreite zeitgenössischer Baukultur.
Besonders bemerkenswert ist die zunehmende Vernetzung zwischen den Ländern bei gleichzeitiger Betonung regionaler Besonderheiten. Der demografische Wandel wird nicht als Defizit, sondern als Gestaltungsaufgabe begriffen. Nachhaltigkeit entwickelt sich vom Zusatzkriterium zum integralen Planungsansatz.
Das 30-jährige Jubiläum in Sachsen markiert dabei mehr als nur einen Zeitpunkt: Es dokumentiert drei Jahrzehnte gesellschaftlichen Wandels, den Architektur begleitet, geprägt und mitgestaltet hat. Der Tag der Architektur ist längst mehr als eine Fachveranstaltung – er ist ein Forum für Zukunftsfragen geworden, in dem Nachhaltigkeit, Digitalisierung und demografischer Wandel konkret verhandelt werden.
Am letzten Juniwochenende 2025 laden vier Bundesländer ein, diese Vielfalt zu entdecken. Es lohnt sich – nicht nur für Fachleute, sondern für alle, die verstehen möchten, wie gebaute Umwelt entsteht und wirkt.
Hier finden Sie die Programme :

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