Baukunst - Die Modernisierungsagenda: Befreiungsschlag oder Büchse der Pandora für Planungsbüros?
Kann die Koalition den Staat wirklich entrümpeln?

Die Modernisierungsagenda: Befreiungsschlag oder Büchse der Pandora für Planungsbüros?

09.12.2025
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Berthold Bürger

Der große Wurf oder der Fluch der guten Absicht?

Am 4. Dezember 2025 verabschiedeten Bundeskanzler Friedrich Merz und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder die sogenannte föderale Modernisierungsagenda. Das 46 Seiten starke Papier listet 237 Maßnahmen auf, die Deutschland schneller, digitaler und handlungsfähiger machen sollen. Für Planungsbüros enthält das Dokument weitreichende Veränderungen, die zwischen Euphorie und Skepsis oszillieren.

Die Koalition aus Union und SPD übt mit diesem Winter-Update ihres Koalitionsvertrags einen Befreiungsschlag. Die Botschaft ist klar: Bürokratie abbauen, Verfahren beschleunigen, den Staat entrümpeln. Doch wie bei jedem ambitionierten Reformvorhaben steckt der Teufel im Detail.

Genehmigungsfiktion: Wenn Schweigen Zustimmung bedeutet

Das wohl radikalste Element der Agenda betrifft das sogenannte Regel-Ausnahme-Verhältnis in den Verwaltungsverfahrensgesetzen. Bis Ende 2027 soll gelten: Eine Genehmigung gilt nach Ablauf von drei Monaten ab Einreichung vollständiger Unterlagen als erteilt, sofern Fachrecht nichts Abweichendes regelt. Die Länder werden verpflichtet, diese Genehmigungsfiktion gemäß Paragraf 72 Absatz 1a der Musterbauordnung in ihre Landesbauordnungen zu übernehmen.

Bayern praktiziert dieses Instrument bereits seit 2021 für Wohnbauten, Baden-Württemberg zog im Juni 2025 nach. Die Erfahrungen sind gemischt. Während Bauherrinnen und Bauherren den Zeitgewinn begrüßen, warnen Architektenkammern vor den Schattenseiten: Eine fingierte Genehmigung kann nachträglich zurückgenommen werden, wenn sich die Planung als rechtswidrig erweist. Architektinnen und Architekten schulden ihren Auftraggebern eine dauerhaft genehmigungsfähige Planung. Im schlimmsten Fall haften sie für Abriss und Neubau.

Die bayerische Architektenkammer lehnte die Fiktion vor ihrer Einführung deutlich ab, da so kein funktionsfähiges System für die Zusammenarbeit zwischen bauvorlageberechtigten Entwurfsverfassern und Genehmigungsbehörden entstehen könne. Die baden-württembergische Kammer hingegen begrüßte das Instrument. Einig sind sich beide darin, dass die beste Lösung in mehr Personal bei den Baurechtsämtern läge. Angesichts des Fachkräftemangels bleibt dies jedoch ein Wunschtraum.

Gebäudetyp E: Die unendliche Geschichte

Beim Thema DIN-Normen und technische Regeln verbleibt die Agenda erstaunlich vage. Bund und Länder sollen bis Juni sämtliche Verweise auf externe technische Normen überprüfen, insbesondere im Baubereich. Das Ziel: Nur unverzichtbare Verweise dürfen bestehen bleiben.

Hintergrund dieser Maßnahme ist die schleichende Vergesetzlichung von DIN-Normen. Das Deutsche Institut für Normung empfiehlt technische Standards, die von Gerichten zunehmend als anerkannte Regeln der Technik eingestuft werden. Damit gelten sie quasi automatisch, was das Bauen kompliziert und teuer macht.

Der Gebäudetyp E, ursprünglich eine Initiative der Bayerischen Architektenkammer aus dem Jahr 2022, soll hier Abhilfe schaffen. Das E steht für einfach oder experimentell. Die Idee: Beim Neubau soll leichter auf Standards verzichtet werden können, die für die Wohnsicherheit nicht notwendig sind. Doch obwohl das Gebäudetyp-E-Gesetz bereits von der Ampelregierung beschlossen wurde, kam es wegen der vorgezogenen Neuwahl nicht mehr zur Verabschiedung im Bundestag.

Die neue Koalition hat das Vorhaben in den Koalitionsvertrag übernommen. Bauministerin Verena Hubertz und Justizministerin Stefanie Hubig legten im November 2025 Eckpunkte vor. Das Bauvertragsrecht im BGB soll so angepasst werden, dass Haftungsrisiken ausgeschlossen werden können. Konkret soll die Vermutung gelten, dass reine Ausstattungs- und Komfortstandards keine anerkannten Regeln der Technik sind. Für sicherheitsrelevante Normen gilt das Gegenteil.

Bundesarchitektenkammer-Präsidentin Andrea Gebhard spricht von einer Zeitenwende für mehr Innovation und Einfachheit beim Bauen. Kritiker wie der GdW-Präsident Axel Gedaschko mahnen jedoch, dass die Bundesländer in ihren Förderrichtlinien keine zusätzlichen Standards einführen dürfen. Nur dann könnten die Mietpreise im Neubau tatsächlich sinken.

Beschleunigung mit Nebenwirkungen

Das angekündigte Infrastruktur-Zukunftsgesetz soll noch 2025 als Entwurf vorliegen und die Beschleunigung von Planung und Genehmigung weiter vorantreiben. Planfeststellungsverfahren sollen künftig generell nur noch für Großprojekte gelten. Beim identischen, erweiterten und vollseitigen Ersatzneubau entfällt die Pflicht komplett.

Zudem drängt der Bund auf europäischer Ebene auf eine Änderung der UVP-Richtlinie. Umweltverträglichkeitsprüfungen für Brückenerweiterungen sollen abgeschafft werden, soweit das Europarecht es zulässt. Die Erforderlichkeit artenschutzrechtlicher Gutachten wird bis Ende 2026 reduziert. Ab einem gewissen Mindestabstand soll gesetzlich angenommen werden, dass das Tötungs- und Verletzungsrisiko nicht signifikant erhöht ist.

Bemerkenswert: Bei Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz sowie zur Klimaanpassung soll die Notwendigkeit des naturschutzrechtlichen Ausgleichs reduziert werden. Ein paradoxer Ansatz, der zeigt, wie schwierig die Balance zwischen Beschleunigung und ökologischer Verantwortung ist.

Vergaberecht: Mehr Spielraum, mehr Fragen

Die Unterschwellenvergabeordnung soll substanziell vereinfacht werden, um mehr Aufträge unterhalb der Schwelle vergeben zu können. Der Bund prüft, ob die Wertgrenze für Direktaufträge deutlich angehoben werden kann. Zudem werden Hürden für Dringlichkeitsvergaben gesenkt und ein vereinfachtes Krisenvergaberecht eingeführt.

Bis Ende 2027 will der Bund einen digitalen Marktplatz Deutschland etablieren, über den öffentliche Vergabeverfahren digital abgewickelt werden. Künstliche Intelligenz soll dabei Prozesse beschleunigen. Für Vergaben oberhalb der Schwelle ist ein gemeinsames Vergabegesetzbuch von Bund und Ländern geplant.

Gegenüber der EU-Kommission setzen sich Bund und Länder für eine deutliche Anhebung der Schwellenwerte ein. Die überraschende Absenkung im vergangenen Jahr stieß besonders auf kommunaler Ebene auf Kritik.

Kommunen unter Druck

Ein eigenes Kapitel widmet die Agenda der kommunalen Handlungsfähigkeit. Die rund 12.000 Städte und Gemeinden sind der wichtigste Motor des öffentlichen Bauens. Doch die seit der Corona-Pandemie stark gestiegenen Sozialausgaben ersticken die eigentlichen Bauaufgaben. Immer mehr Kämmererinnen und Kämmerer müssen Haushalte zusperren und geplante Projekte pausieren.

Ab dem Haushaltsjahr 2027 sollen die Kommunen von den Ländern pauschalierte Zuweisungen für bestimmte Förderbereiche erhalten. Die kommunalen Spitzenverbände erwarten im laufenden Jahr ein Finanzierungsdefizit von 35 Milliarden Euro. Ein steigende Sozialausgaben treiben diese Entwicklung maßgeblich.

Fazit: Zwischen Aufbruch und Absicherung

Die föderale Modernisierungsagenda ist ambitioniert. Sie adressiert echte Problemfelder: überbordende Bürokratie, langwierige Genehmigungsverfahren, eine Normenflut, die Innovation erstickt. Doch sie verschiebt auch Risiken. Die Genehmigungsfiktion entlastet Behörden, belastet aber Planerinnen und Planer. Der Gebäudetyp E verspricht Freiheit, erfordert aber präzise vertragliche Absicherung. Die Beschleunigung im Umweltbereich erkauft Tempo mit ökologischen Kompromissen.

Für Planungsbüros bedeutet dies: Wachsamkeit bei der Vertragsgestaltung, erhöhte Sorgfalt bei der Eigenverantwortung im vereinfachten Verfahren und ein scharfes Auge auf die Umsetzung in den Landesbauordnungen. Die Modernisierungsagenda öffnet Türen. Welche Räume dahinter liegen, wird sich erst in der Praxis zeigen.