Baukunst-Die Neue Nüchternheit: Mannheims Kunsthalle wagt den Blick zurück in die Zukunft
Bild: andreas N./Pixabay

Die Neue Nüchternheit: Mannheims Kunsthalle wagt den Blick zurück in die Zukunft

26.11.2024
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stu.ART

Zeitenwende in Beton und Farbe: Mannheims doppelte Revolution

Wenn sich Architektur und Kunst auf höchstem Niveau begegnen, entstehen magische Momente. Die Kunsthalle Mannheim beweist dies gleich doppelt: Mit ihrer wegweisenden Museumsarchitektur und einer spektakulären Jubiläumsausstellung zur Neuen Sachlichkeit.

Kubische Kraft trifft historische Substanz

Der 2018 eröffnete Neubau der Mannheimer Kunsthalle verkörpert exemplarisch den zeitgenössischen Museumsbau. Als „Stadt in der Stadt“ konzipiert, schafft der von den Hamburger Architekten Gerkan, Marg und Partner entworfene Komplex eine perfekte Synthese aus Transparenz und Geborgenheit. Die bronzefarbene Metallgitterfassade umhüllt einen kunstvoll gestaffelten Baukörper, dessen Atrien und Durchblicke den Besucher wie durch ein urbanes Gefüge leiten.

Demokratische Architektur

Besonders beeindruckt die demokratische Grundhaltung des Baus: Die öffentlich zugängliche Passage im Erdgeschoss verzahnt Museum und Stadtraum. Großzügige Treppenanlagen und Aufenthaltsbereiche laden zum Verweilen ein. Die Ausstellungsräume überzeugen durch flexible Nutzungsmöglichkeiten bei gleichzeitig präzise gesetzten räumlichen Akzenten.

Hundert Jahre Neue Sachlichkeit

In diesen architektonischen Rahmen bettet sich nun eine Ausstellung von besonderer Bedeutung: „Die Neue Sachlichkeit – Ein Jahrhundertjubiläum“ (22.11.24 – 09.03.25) blickt zurück auf jene bahnbrechende Schau von 1925, die hier in Mannheim einer ganzen Kunstepoche ihren Namen gab. Kurator Gustav F. Hartlaub prägte damals den Begriff der „Neuen Sachlichkeit“ für eine Malerei, die sich vom expressionistischen Überschwang ab- und einer präzisen Gegenständlichkeit zuwandte.

Kritische Revision

Die von Dr. Inge Herold kuratierte Jubiläumsausstellung geht über eine bloße Retrospektive hinaus. Mit mehr als 230 Arbeiten von 124 Künstlerinnen und Künstlern wird nicht nur die historische Schau rekonstruiert, sondern auch kritisch hinterfragt. Besonders spannend: Die Integration früher ausgegrenzter Positionen, etwa von Künstlerinnen, die 1925 keine Berücksichtigung fanden.

Digitale Innovation trifft historische Dokumente

Innovativ ist die Präsentation: Eine immersive Raumprojektion macht die historische Ausstellung erlebbar. Gleichzeitig gelingt durch die Gegenüberstellung mit internationalen Positionen der Nachweis, dass die Neue Sachlichkeit kein rein deutsches Phänomen war. Werke von Edward Hopper oder Pablo Picasso belegen die globale Dimension dieser künstlerischen Neuorientierung.

Architektonische Resonanzen

Bemerkenswert ist, wie der Museumsneubau mit seiner klaren Formensprache und präzisen Materialität den Geist der Neuen Sachlichkeit aufgreift. Die Ausstellung profitiert von den großzügigen, lichtdurchfluteten Räumen, die eine ideale Bühne für die oft großformatigen Werke bieten.

Zukunft braucht Herkunft

Die Schau macht deutlich, wie aktuell die Themen der 1920er Jahre sind: Industrialisierung, neue Mobilität, veränderte Geschlechterrollen und politische Umbrüche beschäftigen uns heute nicht weniger als damals. Der Museumsneubau wiederum zeigt, wie zeitgenössische Architektur Historie und Moderne, Kunst und Stadtgesellschaft verbinden kann.

Die Kunsthalle Mannheim beweist mit dieser Kombination aus wegweisender Architektur und kuratorischer Exzellenz ihre Bedeutung als kulturelles Kraftzentrum. Die Jubiläumsausstellung zur Neuen Sachlichkeit ist dabei mehr als ein Rückblick – sie ist eine hochaktuelle Reflexion über das Verhältnis von Kunst, Gesellschaft und gebauter Umwelt.