
Venedig 2027: Chinesisches Architektenduo erklärt Tech Biennale den Krieg
Nur drei Tage nach dem Ende der von Carlo Ratti verantworteten Ausgabe verkündete die Biennale von Venedig die Namen der Kuratorinnen und Kuratoren für 2027: Wang Shu und Lu Wenyu, Gründer des Amateur Architecture Studio in Hangzhou, werden die 20. Internationale Architekturausstellung leiten. Die Ernennung markiert einen programmatischen Wendepunkt, der die Architekturdebatte auf ihre Grundlagen zurückführen könnte.
Die Wahl fällt in eine Zeit, in der die Architekturbiennale nach Orientierung sucht. Lesley Lokkos politisch aufgeladene Ausgabe 2023 und Carlo Rattis technologieaffiner Ansatz 2025 mit dem Titel „Intelligens“ haben unterschiedliche Akzente gesetzt, von manchen Kritikerinnen und Kritikern als „Silicon Valley Fiebertraum“ beschrieben. Wang Shu und Lu Wenyu versprechen nun eine Rückbesinnung auf genuin architektonische Fragen, auf Handwerk, Material und Ort.
Die Poetik des Recyclings
1997 gründeten Wang Shu und Lu Wenyu ihr gemeinsames Büro in Hangzhou. Der Name „Amateur Architecture Studio“ ist Programm: Er verweist auf eine bewusste Distanz zum professionellen Betrieb, auf eine Haltung, die Architektur nicht als Dienstleistung, sondern als kulturelle Praxis begreift. Ihre Arbeit verbindet traditionelles chinesisches Handwerk mit zeitgenössischen Fragestellungen, lokale Bautechniken mit einer Kritik an der kompromisslosen Modernisierung, die in China ganze Stadtviertel dem Erdboden gleichgemacht hat.
Das Historische Museum in Ningbo, 2008 fertiggestellt, verkörpert diese Philosophie exemplarisch. Für die Fassade des wuchtigen Baukörpers verwendeten Wang und Lu Abbruchmaterialien aus den umliegenden Dörfern, die der Neubebauung weichen mussten: Ziegel, Dachziegel, teils über tausend Jahre alt, zusammengefügt in der traditionellen Wapan Technik. „Überall findet man Ruinen von abgerissenen Gebäuden“, berichtet Wang Shu. „Aber überall gibt es auch Materialien, schöne Materialien.“ Die Fassade des Museums wird so zum Gedächtnisspeicher, zum materiellen Archiv einer verschwindenden Kultur.
Zwischen Tradition und Experiment
Der Xiangshan Campus der China Academy of Art in Hangzhou, das zweite Hauptwerk des Studios, zeigt eine andere Facette ihrer Arbeit. Der zwischen 2002 und 2007 realisierte Komplex aus 22 unterschiedlich gestalteten Gebäuden verbindet Stampflehm, Bambus und recycelte Ziegel mit gewagten Dachlandschaften. Wang Shu rettete über zwei Millionen Ziegel von abgerissenen Häusern für die Dächer. Lokale Handwerker setzten traditionelle Techniken ein, die sonst bei der Anlage von Teefeldern verwendet werden. Die Architektur wächst aus dem Ort heraus, anstatt ihm aufgezwungen zu werden.
2012 erhielt Wang Shu als erster Chinese den Pritzker Preis. Dass seine Partnerin und Ehefrau Lu Wenyu damals nicht mit ausgezeichnet wurde, sorgte für Kritik. Die Biennale Ernennung korrigiert dieses Ungleichgewicht: Beide werden als gleichberechtigte künstlerische Leiter geführt. Lu Wenyu, Direktorin des Zentrums für nachhaltiges Bauen an der China Academy of Art, war zuletzt Juryvorsitzende des RIBA International Prize 2024.
Der Tod der Architektur
In ihrer Antrittsrede formulierten Wang Shu und Lu Wenyu eine scharfe Diagnose: „In der heutigen Welt sind die schnellen und vielfältigen Veränderungen in der Architektur mehr ein oberflächliches Phänomen, das Ergebnis übermäßiger Konzeptualisierung oder ausgeprägter Kommerzialisierung.“ Konzeptuelle Experimente, ins Extrem getrieben, verlieren den Bezug zur Realität. Überkommerzialisierung erzeugt nur Kurzlebiges und Populäres. „Es wird zum Tod der Architektur führen.“
Diese Worte lesen sich wie eine direkte Antwort auf Rattis 750 Teilnehmerinnen und Teilnehmer starke Technologieschau. Während „Intelligens“ Roboterhunde, Drohnen und Monddatenzentren präsentierte, setzen Wang und Lu auf „ein einfaches und wahres Konzept und eine Methode der Architektur“, verwurzelt in Ort, Materialgeschichte und Kontinuität.
Ein versöhnlicher Ansatz
Der Biennale von Venedig sind beide seit langem verbunden. 2006 stellten sie im Chinesischen Pavillon aus. 2010 erhielten sie für ihre Installation „Decay of a Dome“ unter Kazuyo Sejima eine Besondere Erwähnung. 2016 waren sie bei Alejandro Aravena in der Hauptausstellung vertreten. Diese Erfahrung, kombiniert mit ihrer Lehrpraxis, verspricht eine kuratorisch durchdachte Ausstellung.
Biennale Präsident Pietrangelo Buttafuoco betonte ihre „in der Erinnerung an Orte und im Wissen um Bauprozesse tief verwurzelte Vision“ als „wesentliche Stimme in der internationalen Debatte über Architektur und über die Bedeutung des Bewohnens der Räume dieser Welt“. Ob die Biennale 2027 diese Erwartungen erfüllen kann, wird sich zeigen. Die Voraussetzungen für eine Architekturausstellung, die das Bauen wieder vom Material, vom Handwerk, vom konkreten Ort her denkt, sind jedenfalls gegeben.
Die 20. Architekturbiennale in Venedig wird vom 8. Mai bis zum 21. November 2027 zu sehen sein.

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