Baukunst-Die verborgenen Millionen: Nürnbergs fragwürdiges Depot-Experiment
Nürnberg © Jonathan Wolf/Unsplash

Die verborgenen Millionen: Nürnbergs fragwürdiges Depot-Experiment

19.06.2025
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Ignatz Wrobel

Nürnbergs versunkene Millionen: Wenn Kulturpolitik Architektur vergräbt

Das neue Tiefdepot im Germanischen Nationalmuseum ist fertig – doch was oberflächlich als Erfolg gefeiert wird, offenbart eine bedenkliche Entwicklung in der deutschen Kulturpolitik. 40 Millionen Euro haben Bayern und der Bund in ein Bauwerk investiert, das niemand sehen wird. Während andernorts über jeden Radweg debattiert wird, verschwinden hier Unsummen buchstäblich im Erdboden.

Zwanzig Meter unter Nürnbergs historischem Klosterhof lagern künftig 70.000 Kulturobjekte in einem architektonischen Phantom. Das Bauvolumen von 28.469 m³ entspricht einem mittleren Hochhaus – nur dass es nach unten wächst, unsichtbar und der demokratischen Kontrolle entzogen.

Bayerns fragwürdige Prioritäten

Die technischen Superlative können nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier grundsätzliche Fragen falsch beantwortet wurden. Während Bayern gleichzeitig über Lehrermangel, marode Schulgebäude und unzureichende Kulturförderung für kleinere Häuser klagt, leistet sich das Land eine unterirdische Luxusgarage für Kunstwerke, die ohnehin kaum jemand zu Gesicht bekommt.

Das Germanische Nationalmuseum zeigt gerade einmal 2% seiner 1,44 Millionen Objekte. Die restlichen 98% verschwinden nun in klimatisierten Kellern – eine Sammelwut, die an Bunkerbau erinnert. Ist es wirklich Kulturauftrag, Millionen von Objekten zu horten, die Generationen lang nicht gezeigt werden?

Deckelbauweise als Symbolpolitik

Die gepriesene Deckelbauweise offenbart das ganze Dilemma: Man baut das größte Depot der Region und tut gleichzeitig so, als wäre nichts geschehen. Der Klosterhof sieht aus wie zuvor – eine architektonische Heuchelei, die das eigentliche Problem verschleiert statt es zu lösen.

Während sich andere Museen Gedanken über zeitgemäße Vermittlung und digitale Zugänglichkeit machen, setzt Nürnberg auf Verstecken. Die aufwendige Klimatechnik mit verschiedenen Feuchtigkeitszonen für unterschiedliche Materialien mutet an wie eine Intensivstation für Kultur – aber ist das noch lebendige Kulturvermittlung?

Regionale Selbstbedienung

Die Verteilung der Planungsaufträge folgt dem bewährten Muster bayerischer Auftragsvergabe: Ki Kästner Ingenieure, Nürnberg; Ottitsch & Co. KG, München; Coplan, Weiden – eine regionale Rundumversorgung, die weniger der Qualität als der politischen Opportunität geschuldet scheint. Dass dabei innovative Lösungen entstehen, ist eher Zufall als Konzept.

Selbst die Materialwahl wird zur Regionalpolitik stilisiert: Kalksandsteine von Zapf Daigfuss, Schwaig sollen das Raumklima positiv beeinflussen. Als könnten nicht andere Materialien dasselbe leisten – aber die kommen eben nicht aus Bayern.

Die Kosten des Versteckens

39.800.000 Euro für ein unsichtbares Bauwerk – diese Summe hätte ausgereicht, um drei bis vier moderne Museumsneubauten zu errichten oder dutzende kleinere Kultureinrichtungen zu sanieren. Stattdessen investiert Bayern in eine Schatzkammer, die an mittelalterliche Horte erinnert.

Die Bauzeit mit ihren “unvorhergesehenen” Verzögerungen – gefundene Skelette, widerspenstige Bohrer – zeigt beispielhaft die Planungsqualität öffentlicher Großprojekte. Was 2013 begann, wurde erst 2024 fertig. Kostenexplosionen sind da schon eingepreist.

Verpasste Chancen

Andere Museen zeigen, wie es anders geht. Das Humboldt Forum in Berlin macht seine Depots sichtbar, das Schaulager in Basel integriert Lagerung in die Ausstellungskonzeption. Nürnberg hingegen wählt den Weg des Versteckens und verpasst die Chance, neue Formen der Kulturvermittlung zu entwickeln.

Die vielgepriesene “Deckelbauweise” ist letztlich Ausdruck mangelnden Muts. Statt sich der Diskussion über Sinn und Zweck riesiger Sammlungen zu stellen, wird das Problem elegant unter den Teppich – oder besser: unter die Erde – gekehrt.

Fragwürdige Vorbildfunktion

Das Nürnberger Projekt wird als “Referenz für andere Kulturinstitutionen” gepriesen. Hoffentlich nicht. Denn was hier als Innovation verkauft wird, ist Kapitulation vor den eigentlichen Herausforderungen: Wie macht man Kultur lebendig und zugänglich, statt sie in Bunkern zu verstecken?

Der Erfahrungsaustausch mit anderen Museen – Mainz, Berlin, Hall in Tirol – liest sich wie eine Verschwörung der Depot-Fetischisten. Alle haben dasselbe Problem: zu viele Objekte, zu wenig Mut, sich davon zu trennen oder neue Wege zu finden.

Das Dilemma der Museumspolitik

Das Germanische Nationalmuseum steht exemplarisch für eine verfehlte Kulturpolitik, die Sammeln über Vermitteln stellt. Während die Digitalisierung neue Möglichkeiten der Präsentation eröffnet, vergraben sich die Museen buchstäblich in ihren Beständen.

Die geplante Sanierung der oberirdischen Gebäude durch David Chipperfield Architects wird weitere Millionen verschlingen – für ein Museum, das seine wichtigste Aufgabe, die Vermittlung von Kultur, immer mehr aus den Augen verliert.

Der neue “Kultur-Tresor” unter Nürnbergs Pflaster ist Symbol einer rückwärtsgewandten Kulturpolitik, die Bewahren mit Verstecken verwechselt. Echte Innovation sähe anders aus.