
Architektur als Haltung: Florian Naglers Neubau für das Freilichtmuseum Amerang
Ein stilles Manifest für das einfache Bauen – zwischen radikaler Reduktion und musealer Inszenierung.
1. Zwischen Stahl und Sternentor – ein Neubau als Denkfigur
Florian Naglers Neubau für das Freilichtmuseum Amerang wirkt auf den ersten Blick wie ein leiser Eingriff. Doch hinter der reduzierten Form steckt ein radikaler Gedanke: Architektur nicht als ikonisches Objekt, sondern als kluges System, das seine Wirkung aus dem Kontext bezieht. Das langgestreckte Volumen aus Holz ruht auf 110 Erdschrauben – ein fast poetischer Schwebezustand über dem morastigen Grund des nördlichen Landkreises Rosenheim.
2. Kontrast als Konzept
Der neue Wirtschaftstrakt des Bartlhofs verweigert sich bewusst dem mimetischen Rückgriff auf historische Bauformen. Stattdessen signalisiert er: Dies ist ein Gebäude des 21. Jahrhunderts. Und doch wirkt es nicht wie ein Fremdkörper. Vielmehr tritt es in einen Dialog mit den umliegenden Einfirsthöfen, ohne ihre Sprache zu imitieren. Ein durch und durch zeitgenössischer Bau, der nicht laut wird – und genau deshalb überzeugt.
3. Materialwahl als Haltung
Keine Spur von Beton oder Zement. Stattdessen: Holz, Lehm, Schraubfundamente. Naglers Entscheidung für natürliche Baustoffe ist kein stilistisches Statement, sondern eine bewusste Auseinandersetzung mit ökologischer Verantwortung. Der Lehm speichert Feuchtigkeit, das Holz atmet – die Architektur übernimmt Aufgaben, die andernorts der Technik überlassen werden. Das Ergebnis: ein stabiles Raumklima ohne Klimaanlage.
4. Das Gebäude als Exponat
Museumsleiterin Claudia Richartz bringt es auf den Punkt: Der Neubau ist selbst ein Ausstellungsstück. Seine Präsenz inmitten der historischen Ensembles ist zugleich Kommentar und Einladung. Er zeigt, wie das Bauen von morgen aussehen kann – wenn man sich auf das Wesentliche besinnt. Das Gebäude dient nicht nur der Präsentation, es ist Teil der Ausstellung: ein gebauter Beitrag zur kulturellen Selbstreflexion.
5. Nachhaltigkeit jenseits des Schlagworts
Die Reduktion der Haustechnik auf zehn Prozent der Baukosten spricht eine klare Sprache. Hier wird nicht gespart, sondern gedacht. Der Bezirk Oberbayern hat Naglers Entwurf nicht nur wegen seiner ästhetischen Qualität ausgewählt, sondern auch wegen seiner Nähe zu den strengen Richtlinien für ökologisches Bauen – orientiert an Vorgaben der Erzdiözese München und Freising. Dass das Projekt dabei im Kostenrahmen blieb, ist fast ein Nebensatz – aber ein bemerkenswerter.
6. Ein Haus für Geschichten
Ab Juli zeigt das Gebäude die Ausstellung „Zeitlang – unterwegs im unbekannten Bayern“. Doch seine größte Erzählung steckt in der Konstruktion selbst. In einer Zeit, in der Museen um Aufmerksamkeit kämpfen, wählt Amerang den Weg der stillen Argumentation. Kein digitaler Overkill, keine spektakulären Effekte – sondern ein Haus, das über sich selbst spricht. Und über eine Architektur, die sich der Zukunft verpflichtet fühlt, ohne die Vergangenheit zu verdrängen.
Geniestreich oder Nebenprodukt?
Weder noch – und beides zugleich. Florian Naglers Bau ist das Ergebnis jahrzehntelanger Reflexion über das Einfache im Bauen. Als Nebenprodukt entsteht daraus fast zwangsläufig ein Geniestreich: ein Gebäude, das in seiner Zurückhaltung neue Maßstäbe setzt. Amerang hat mit diesem Neubau nicht nur seine Sammlung erweitert, sondern ein Stück Zukunft hinzugewonnen.

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