Baukunst - Elon Musks privatisierte Polis – Über das Ende der Stadt als Gemeinwesen
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Elon Musks privatisierte Polis – Über das Ende der Stadt als Gemeinwesen

21.08.2025
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Chet Becker

Starbase: Wenn Konzerne Städte bauen

Die privatisierte Zukunft des Städtebaus manifestiert sich in Texas

Die Sonne brennt unbarmherzig auf die sandige Küstenlandschaft im äußersten Süden von Texas. Wo sich einst das verschlafene Fischerdorf Boca Chica Village mit gerade einmal 26 Seelen befand, erheben sich heute die futuristischen Strukturen von SpaceX. Doch seit Mai 2025 ist hier mehr entstanden als nur ein Weltraumbahnhof: Starbase heißt die neueste Stadt der USA, gegründet von einem Privatunternehmen, bewohnt von dessen Angestellten, regiert von dessen Vizepräsident. Ein urbanistisches Experiment, das fundamental in Frage stellt, was eine Stadt im 21. Jahrhundert eigentlich sein soll.

Die Company Town des Raumfahrtzeitalters

Mit 212 zu 6 Stimmen votierten die Wahlberechtigten für die Stadtgründung – eine demokratische Legitimation, die gleichzeitig ihre eigene Perversion darstellt. Denn die überwältigende Mehrheit der etwa 500 Einwohnerinnen und Einwohner sind SpaceX-Angestellte oder deren Familienangehörige. Bobby Peden, der neue Bürgermeister, kandidierte ohne Gegenkandidat. Er ist Vizepräsident bei SpaceX. Die beiden Stadtkommissare haben ebenfalls Verbindungen zum Unternehmen. Was hier entsteht, ist keine organisch gewachsene Kommune, sondern die Neuauflage der amerikanischen Company Town unter den Vorzeichen der Raumfahrtindustrie.

Die historischen Parallelen sind unübersehbar. Wie einst die Bergbaugesellschaften des 19. Jahrhunderts oder Henry Fords gescheiterte Utopie Fordlândia im brasilianischen Regenwald, erschafft hier ein Konzern seine eigene urbane Realität. Doch während die Company Towns der Industrialisierung meist nach dem Prinzip der totalen Kontrolle funktionierten – Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, alles in der Hand des Arbeitgebers –, präsentiert sich Starbase als Vision einer techno-libertären Zukunft, in der private Initiative staatliche Strukturen ersetzt.

Partizipation als Farce

Die Stadtgründung wirft fundamentale Fragen demokratischer Legitimation auf. Kann von echter Bürgerbeteiligung gesprochen werden, wenn 97 Prozent der Wählerschaft wirtschaftlich vom dominierenden Akteur abhängen? Die texanischen Gesetze erlauben Gemeinden unter 5.000 Einwohnern eine Grundsteuer von bis zu 1,5 Prozent zu erheben. Diese Mittel sollen in Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen fließen. Doch wer kontrolliert ihre Verwendung, wenn die Stadtregierung faktisch eine Verlängerung der Unternehmensführung darstellt?

Das South Texas Environmental Justice Network organisierte Proteste gegen die Eingemeindung. Ihre Befürchtungen sind nicht unbegründet: Als städtische Entität unterliegt Starbase zwar den texanischen Transparenzgesetzen für öffentliche Sitzungen und Dokumente. Doch die reale Machtkonstellation macht diese formalen Kontrollmechanismen zur Makulatur. Wenn Arbeitgeber, Vermieter und Stadtregierung identisch sind, verschwimmen die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Interesse bis zur Unkenntlichkeit.

Der Kampf um den öffentlichen Raum

Nirgendwo zeigt sich der Konflikt zwischen korporativer Vision und gewachsener Gemeinschaft deutlicher als beim Zugang zum Boca Chica Beach. Der Strand, verfassungsrechtlich geschütztes öffentliches Gut in Texas, liegt nur wenige Meter vom Startgelände entfernt. Bei jedem Raketenstart – und SpaceX plant, die Zahl von fünf auf 25 pro Jahr zu erhöhen – muss der Strand für bis zu 15 Stunden evakuiert werden.

Rene Medrano, seit 40 Jahren Landbesitzer in der Region, verkörpert den Widerstand der Alteingesessenen. Mit seinem Klapphandy wirkt der 65-Jährige wie ein Anachronismus inmitten der High-Tech-Ambitionen. „Die Leute wollen zum Mars fliegen? Sollen sie doch”, sagt er. „Aber es gibt auch Menschen, die einfach nur an den Strand wollen.” Seine Worte offenbaren den fundamentalen Konflikt: Wem gehört der Raum? Wer definiert seine Nutzung?

Ein Gesetzesvorschlag im texanischen Parlament sollte dem künftigen Bürgermeister von Starbase die Kontrolle über Strandsperrungen an Wochentagen übertragen. Der Vorschlag scheiterte zunächst, wurde dann aber in abgewandelter Form doch noch durchgesetzt. Die Botschaft ist klar: Wirtschaftliche Interessen triumphieren über traditionelle Nutzungsrechte.

Gentrifizierung im Zeitraffer

Die Transformation von Boca Chica zu Starbase vollzog sich mit atemberaubender Geschwindigkeit. SpaceX begann 2012 mit dem Landkauf, 2014 wurde der Standort offiziell ausgewählt. Was folgte, war ein systematischer Aufkauf der bestehenden Immobilien. David Finlay, SpaceX-Finanzdirektor, stellte den verbliebenen Bewohnerinnen und Bewohnern ein Ultimatum: Verkaufen Sie zum gebotenen Preis oder riskieren Sie, dass „alternative Mittel” zur Anwendung kommen. Die Drohung war kaum verhüllt – wer nicht verkauft, dessen Grundstück würde regelmäßig in Gefahrenzonen fallen, die während der Tests evakuiert werden müssen.

Diese Form der Gentrifizierung unterscheidet sich fundamental von urbanen Verdrängungsprozessen in Metropolen. Hier verdrängt nicht der Markt, sondern ein einzelner Akteur mit quasi-monopolistischer Macht. Die ursprüngliche Bevölkerung – Rentnerinnen und Rentner, die Ruhe am Golf suchten, Familien aus der Arbeiterklasse, oft mit polnischen Wurzeln – wurde durch hochqualifizierte Ingenieure und Technikerinnen ersetzt. Eine soziale Monokultur entstand, die sich in den hastily errichteten „Mitarbeiterwohnungen” manifestiert.

Nachhaltigkeit als Kollateralschaden

Die ökologischen Kosten dieser urbanen Transformation sind erheblich. Das Gebiet liegt in einem sensiblen Küstenökosystem, Heimat bedrohter Arten und wichtiger Feuchtgebiete. Jeder Raketenstart hinterlässt Spuren: Lärm, der Wildtiere vertreibt, Vibrationen, die Nistplätze gefährden, gelegentliche Explosionen, die Trümmer über das Naturschutzgebiet verteilen.

Die Umweltbehörden verhängten bereits Strafen, die Musk als „Unstimmigkeiten über Papierkram” abtut. Diese Rhetorik offenbart die Grundhaltung: Regulierung wird als lästiges Hindernis auf dem Weg zum Mars betrachtet, nicht als notwendiger Schutz gemeinschaftlicher Ressourcen. Die Stadt Starbase könnte diese Dynamik weiter verschärfen, da lokale Verordnungen nun von einer SpaceX-dominierten Stadtregierung erlassen werden.

Die demokratische Herausforderung

Jared Hockema, Stadtmanager des nahen Port Isabel und Vorsitzender der Demokratischen Partei in Cameron County, bringt das Dilemma auf den Punkt: „Die Frage ist immer: Nutzt man öffentliche Macht für private Interessen?” Die Antwort in Starbase scheint eindeutig. Hier verschmelzen private und öffentliche Sphäre zu einer neuen Form urbaner Governance, die traditionelle Vorstellungen demokratischer Kontrolle herausfordert.

Als städtische Entität kann Starbase nun eigene Bauvorschriften erlassen, Infrastrukturprojekte planen, Sicherheitsmaßnahmen definieren. Die Transparenzpflichten mögen formal erfüllt werden, doch wenn alle Entscheidungsträger demselben Unternehmen verpflichtet sind, wird Rechenschaftspflicht zur Farce. Es entsteht ein geschlossenes System, in dem Kritik nicht nur unerwünscht, sondern existenzgefährdend sein kann – wer opponiert, riskiert Job und Wohnung gleichermaßen.

Modell oder Warnung?

Starbase ist mehr als nur eine texanische Kuriosität. Es ist ein Testfall für die Zukunft urbaner Entwicklung in einer Ära, in der Technologiekonzerne über Ressourcen verfügen, die manche Nationalstaaten übersteigen. Wenn Amazon, Google oder Meta dem Beispiel folgen, könnten weitere Konzernstädte entstehen – optimiert für Innovation, aber blind für soziale Diversität und demokratische Teilhabe.

Die Geschichte lehrt uns, dass Company Towns selten nachhaltige Erfolgsmodelle waren. Sie kollabierten, wenn das Unternehmen scheiterte oder weiterzog, hinterließen Geisterstädte und entwurzelte Gemeinschaften. Starbase mag sich als Tor zu den Sternen inszenieren, doch für die Entwicklung lebenswerter, resilienter Städte auf der Erde bietet es kaum Antworten – eher eine Warnung vor der Privatisierung des Urbanen.

Am Ende bleibt die Frage, die der lokale Fischer am Strand von Boca Chica stellt, während über ihm die nächste Rakete getestet wird: In wessen Stadt wollen wir eigentlich leben? In einer, die von Bürgerinnen und Bürgern gestaltet wird, oder in einer, die ein Konzern nach seinen Bedürfnissen formt? Starbase hat seine Antwort gegeben. Es liegt an uns, zu entscheiden, ob wir sie akzeptieren.