
Frankfurts demokratischer Kraftakt: Bürger gestalten das Haus der Demokratie
Ein Paulsplatz, zehn Visionen und tausende Stimmen
Frankfurt am Main erlebt derzeit einen demokratischen Moment von seltener Intensität. 128 Architekturbüros aus dem In- und Ausland beteiligten sich am Ideenwettbewerb für das geplante Haus der Demokratie, das künftig die Paulskirche als nationales Demokratiedenkmal ergänzen soll. Die zehn prämierten Entwürfe, die seit dem 18. August in der Wandelhalle der Paulskirche und auf dem Paulsplatz ausgestellt sind, spiegeln nicht nur architektonische Vielfalt wider – sie verkörpern unterschiedliche Demokratieverständnisse und provozieren eine längst überfällige Debatte über Frankfurts städtebauliche Identität als Wiege der deutschen Demokratie.
Die Bandbreite der Vorschläge könnte kaum größer sein: Das Frankfurter Büro schneider+schumacher schlägt ein zerklüftetes Gebäude aus Mainsandstein vor, das auf einem Wald aus weißen Säulen über dem Paulsplatz schwebt, während andere Planungsteams eine behutsame Aufstockung der bestehenden Kämmerei favorisieren. Diese architektonische Diversität ist kein Zufall, sondern bewusste Strategie. “Es ging um den Erkenntnisgewinn”, betont Christa Reicher, Vorsitzende des Preisgerichts, und macht damit deutlich, dass der Wettbewerb mehr war als eine bloße Entwurfsübung – er ist ein Laboratorium demokratischer Stadtentwicklung.
Hessische Eigenarten: Zwischen Bürgerstolz und Bundesambitionen
Die Frankfurter Diskussion um das Haus der Demokratie offenbart exemplarisch hessische Planungskultur: pragmatisch, bürgernah und doch mit einem ausgeprägten Bewusstsein für die nationale Bedeutung des Projekts. Oberbürgermeister Mike Josef macht keinen Hehl daraus, dass er eine Bebauung des Paulsplatzes ablehnt und stattdessen einen Umbau des bestehenden Kämmereigebäudes favorisiert. Diese Position ist mehr als persönliche Präferenz – sie spiegelt eine spezifisch frankfurterische Sensibilität wider, die den öffentlichen Raum als demokratisches Gut versteht.
Die hessische Landesbauordnung ermöglicht hier Spielräume, die andere Bundesländer nicht bieten. Besonders die Möglichkeit, Bestandsbauten durch Aufstockungen zu erweitern, ohne dabei die strengen Abstandsflächenregelungen für Neubauten einhalten zu müssen, eröffnet kreative Lösungsansätze. Diese regulatorische Flexibilität, gepaart mit Frankfurts Tradition als Freie Reichsstadt, schafft ein Planungsklima, das experimentierfreudiger ist als in manch anderer deutscher Großstadt.
Interessant ist auch die Finanzierungsstruktur: Sowohl für das Haus der Demokratie als auch für die anstehende Sanierung der Paulskirche wird derzeit mit Kosten von jeweils rund 75 Millionen Euro gerechnet. Eine Beteiligung von Bund und Land wird angestrebt. Diese Kostenteilung unterstreicht die überregionale Bedeutung des Projekts, wirft aber auch Fragen nach der Deutungshoheit auf. Wer zahlt, bestimmt mit – eine Maxime, die in Frankfurt, wo man traditionell auf kommunale Autonomie pocht, durchaus kritisch gesehen wird.
Die Paulskirche als Palimpsest: Schichten der Demokratiegeschichte
Um die Tragweite des aktuellen Projekts zu verstehen, muss man die historischen Schichten freilegen, die sich um die Paulskirche gelegt haben. Am 18. Mai 1848 kam hier zum ersten Mal die Frankfurter Nationalversammlung zusammen – 809 Abgeordnete, die eine Verfassung für ein geeintes Deutschland erarbeiten sollten. Die Paulskirche wurde zum Symbol für den ersten Versuch, Demokratie und nationale Einheit zu verwirklichen, auch wenn dieser Versuch letztlich scheiterte.
Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erfolgte 1947/48 der Wiederaufbau als “gesamtdeutsche Aufgabe”. Rudolf Schwarz und seine Planungsgemeinschaft schufen bewusst einen nüchternen Raum, der für den demokratischen Neubeginn stehen sollte. Diese Entscheidung für eine reduzierte Formensprache war programmatisch: Demokratie sollte nicht durch architektonischen Pomp überhöht, sondern als nüchterne Arbeitsform verstanden werden.
Das geplante Haus der Demokratie fügt diesem Palimpsest eine weitere Schicht hinzu. Durch informative Ausstellungen, Vermittlungsangebote und vielseitige Veranstaltungsformate soll es in Zukunft mehr Raum für Bildung und Austausch bieten. Dabei geht es nicht um museale Verklärung, sondern um lebendige Auseinandersetzung mit demokratischen Prozessen.
Bürgerbeteiligung als Architektur der Teilhabe
Die sechswöchige Bürgerbeteiligung, die bis zum 30. September läuft, ist mehr als ein demokratisches Feigenblatt. Bürgerinnen und Bürger können einen Fragebogen ausfüllen und so ihre Meinung zu den Entwürfen für das Haus der Demokratie einbringen. Die Kriterien – Wiedererkennungswert, Harmonie mit dem Stadtbild, Offenheit für alle Menschen, Aufwertung des Paulsplatzes sowie des Platzes nördlich der Kämmerei – sind bewusst niedrigschwellig formuliert.
Diese Form der Partizipation hat in Frankfurt Tradition. Schon bei der Gestaltung des Museumsufers in den 1980er Jahren oder beim Wiederaufbau der Altstadt wurde die Bürgerschaft einbezogen. Doch die aktuelle Beteiligung geht weiter: Geschlossene Workshops sollen sicherstellen, dass Stimmen marginalisierter Gruppen und Menschen mit Beeinträchtigungen ebenfalls gehört werden. Diese inklusive Herangehensweise ist beispielhaft für moderne Planungsverfahren.
Kritisch zu hinterfragen bleibt allerdings die Reichweite dieser Beteiligung. Erreicht sie wirklich alle Frankfurterinnen und Frankfurter oder nur die üblichen Verdächtigen aus dem bildungsbürgerlichen Milieu? Die Tatsache, dass parallel zur Ausstellung in der Paulskirche auch Präsentationen auf dem Paulsplatz stattfinden, deutet zumindest auf ein Bewusstsein für diese Problematik hin.
Zwischen Genius Loci und Gentrifizierung
Die Diskussion um das Haus der Demokratie berührt einen neuralgischen Punkt der Frankfurter Stadtentwicklung. Der Paulsplatz und seine Umgebung sind keine neutralen Orte, sondern aufgeladen mit Geschichte und Bedeutung. Jede bauliche Intervention muss sich zu dieser Geschichte verhalten – affirmativ, kritisch oder transformativ.
Die Gefahr einer “Festivalisierung” der Demokratie ist real. Ein zu glatt designtes, zu perfekt inszeniertes Haus der Demokratie könnte die raue Realität demokratischer Aushandlungsprozesse verschleiern. Andererseits braucht Demokratie auch Orte der Würde und Wertschätzung, Räume, die ihre Bedeutung unterstreichen ohne sie zu sakralisieren.
Die regionale Besonderheit Frankfurts zeigt sich auch in der Spannung zwischen lokaler Verwurzelung und internationaler Ausrichtung. Als Finanzmetropole und Verkehrsdrehkreuz ist Frankfurt per se kosmopolitisch, doch gerade deshalb sucht die Stadt nach Ankerpunkten lokaler Identität. Das Haus der Demokratie könnte ein solcher Ankerpunkt werden – wenn es gelingt, die Balance zwischen Weltoffenheit und Ortsbezug zu finden.
Die hessische Baukultur zwischen Bewahrung und Innovation
Ein Blick auf die zehn prämierten Entwürfe offenbart unterschiedliche Haltungen zur hessischen Bautradition. Während einige Architektinnen und Architekten mit regionaltypischen Materialien wie Mainsandstein arbeiten, setzen andere auf zeitgenössische Materialität und Formensprache. Diese Diversität spiegelt eine grundsätzliche Debatte wider: Soll sich das Haus der Demokratie in die bestehende Stadtstruktur einfügen oder als bewusster Kontrapunkt fungieren?
Die Frankfurter Lösung wird vermutlich, wie so oft in der Mainmetropole, pragmatisch ausfallen. “Unser Signature-Bau ist die Paulskirche”, stellt Oberbürgermeister Josef klar, “das Haus der Demokratie ist eine Ergänzung dazu”. Diese Haltung zeugt von einem Respekt vor dem Bestand, der typisch ist für die aktuelle Phase der Stadtentwicklung in Deutschland.
Nachhaltigkeit als demokratischer Imperativ
Bemerkenswert ist, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz explizit als Bewertungskriterien für die Entwürfe genannt werden. Dies markiert einen Paradigmenwechsel in der Architektur öffentlicher Bauten. Ein Haus der Demokratie, das nicht nachhaltig gebaut ist, würde seiner eigenen Botschaft widersprechen – schließlich ist Generationengerechtigkeit ein Kernprinzip demokratischer Gesellschaften.
Die Diskussion um Neubau versus Umbau bekommt vor diesem Hintergrund eine zusätzliche Dimension. Die Umnutzung der Kämmerei wäre nicht nur kostengünstiger, sondern auch ressourcenschonender. Andererseits könnte ein Neubau höchste Standards in Sachen Energieeffizienz und Klimaneutralität erfüllen. Diese Abwägung ist exemplarisch für aktuelle Debatten in der Baukultur.
Frankfurt 2025: Hauptstadt der Demokratie?
Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg betont: “Frankfurt ist dank der Paulskirche die Hauptstadt der Demokratie”. Diese Selbstzuschreibung ist mehr als lokalpatriotische Rhetorik. Sie formuliert einen Anspruch, der sich in konkreten Projekten manifestieren muss. Das Haus der Demokratie ist dabei nur ein, wenn auch zentraler Baustein.
Die Entscheidung über die finale Gestaltung wird die Stadtverordnetenversammlung treffen, informiert durch die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung. Ein möglicher Baubeginn könnte 2028 oder 2029 sein. Bis dahin wird sich zeigen, ob Frankfurt seinem selbstgewählten Titel gerecht wird und ein Haus der Demokratie realisiert, das nicht nur architektonisch überzeugt, sondern auch als lebendiger Ort demokratischer Praxis funktioniert.
Das Projekt steht exemplarisch für die Herausforderungen zeitgenössischer Demokratie: Wie schafft man Räume für Beteiligung, ohne sie zu instrumentalisieren? Wie verbindet man historisches Erbe mit zukunftsgerichteter Vision? Und wie gelingt es, aus einem Architektenwettbewerb einen wirklich demokratischen Prozess zu machen? Frankfurt hat die Chance, auf diese Fragen überzeugende Antworten zu finden. Die Bürgerinnen und Bürger haben jetzt das Wort.
Hier sind die wichtigsten Informationen zur Ausstellung des “Haus der Demokratie” in Frankfurt:
Ausstellungsinformationen:
Zeitraum: 18. August bis 30. September 2025
Ausstellungsorte:
- Wandelhalle der Paulskirche
- Paulsplatz (Außenbereich)
- Online-Präsentation
Besondere Veranstaltungen:
- Ideenforum: Donnerstag, 22. August 2025, 15:00 – 19:00 Uhr auf dem Paulsplatz
- Hier können Bürger direkt mit Mitgliedern der Planungsteams in Austausch treten
- Wöchentliche Workshops und Führungen (digital und vor Ort)
- Geschlossene Workshops für marginalisierte Gruppen und Menschen mit Beeinträchtigungen
Was wird gezeigt:
- 10 prämierte Entwürfe aus 128 Einreichungen
- Visualisierungen, Pläne und Architekturmodelle der Planungsteams
- Jeder prämierte Entwurf erhielt 22.000 Euro
Bürgerbeteiligung:
- Fragebogen zur Bewertung der Entwürfe (vor Ort und online)
- Bewertungskriterien: Wiedererkennungswert, Harmonie mit dem Stadtbild, Offenheit für alle Menschen, Aufwertung des Paulsplatzes und des Platzes nördlich der Kämmerei
Offizielle Links:
Hauptwebsite des Projekts: https://deinhausderdemokratie.de/hausderdemokratie/de/home
Stadt Frankfurt – Offizielle Projektseite: https://frankfurt.de/de-de/aktuelle-meldung/meldungen/entwuerfe-des-ideenwettbewerbs-haus-der-demokratie-vorgestellt/
Stabsstelle Entwicklung Paulskirche / Haus der Demokratie: https://frankfurt.de/service-und-rathaus/verwaltung/aemter-und-institutionen/stabsstelle-entwicklung-paulskirche-haus-der-demokratie
Kosten und Zeitplan:
- Sowohl für das Haus der Demokratie als auch für die Sanierung der Paulskirche wird mit Kosten von jeweils rund 75 Millionen Euro gerechnet
- Möglicher Baubeginn: 2028 oder 2029
Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung werden dokumentiert und ausgewertet und dienen als Grundlage für den nachfolgenden Realisierungswettbewerb. Die finale Entscheidung trifft die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung.

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