
Liebe Kollegin, lieber Kollege,
ein Jahr, das uns wenig Atempausen gönnte, neigt sich dem Ende zu. Zwischen Fördermittelkürzungen und Fachkräftemangel, zwischen Bauwende-Debatten und der ewigen Frage nach dem bezahlbaren Wohnraum haben wir alle unsere Projekte vorangetrieben, Kompromisse gefunden, manchmal auch Kämpfe ausgefochten. Die Tage zwischen den Jahren bieten nun Gelegenheit, durchzuatmen, die Perspektive zu wechseln – und vielleicht das ein oder andere Buch zur Hand zu nehmen, das während der Projektphasen liegen blieb.
Geschenke für Architektinnen und Architekten zu finden, ist bekanntlich keine leichte Übung. Der Corbusier-Bildband steht längst im Regal, die Moleskine-Notizbücher stapeln sich, und bei Krawatten mit Grundrissmustern hört die Freundschaft auf. Deshalb habe ich in diesem Jahr einige Empfehlungen zusammengestellt, die mir persönlich am Herzen liegen – für Sie selbst, für Kolleginnen und Kollegen, oder für jene Menschen in Ihrem Leben, die verstehen möchten, warum wir diesen Beruf trotz allem lieben.
Beginnen wir mit einem Buch, das auf den ersten Blick wenig mit Architektur zu tun hat, auf den zweiten dafür umso mehr: „Buchstabenhausen” von Maja Knochenhauer und Jonas Tjäder, erschienen bei Oetinger. Die beiden schwedischen Architekten haben ein ABC-Bilderbuch geschaffen, in dem jeder Buchstabe ein Gebäude ist – von A wie Atelier bis Z wie Zoo. Wimmelig illustriert, voller Leben und kleiner Geschichten. Für Kinder ab vier Jahren, aber seien wir ehrlich: Auch erwachsene Planungsbegeisterte werden länger darin blättern als zugegeben. Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2025, und ein wunderbares Geschenk für den Architektennachwuchs in der Familie. →
Wer sich mit der Frage beschäftigt, was eigentlich „guter Geschmack” ist – und wer von uns täte das nicht täglich in Entwurfsbesprechungen und Bauausschüssen –, dem sei Ulrich Raulffs monumentales Werk „Wie es euch gefällt”empfohlen. Der Historiker führt uns durch Jahrhunderte ästhetischer Urteile, von Winckelmanns Rom über Madame Pompadour bis zu Steve Jobs und Airbnb. Ein Parcours der Distinktion, der zeigt, wie wandelbar und doch beharrlich unser Streben nach dem Schönen ist. Auf der Sachbuch-Bestenliste von ZEIT, ZDF und Deutschlandfunk. →
Für den Blick über den Baustellenrand hinaus empfehle ich David Attenboroughs „Ozeane”, erschienen zu seinem 99. Geburtstag. Opulent illustriert, führt uns der große Naturfilmer durch die letzte Wildnis unserer Erde – von den Polarmeerren bis zu abgelegenen Koralleninseln. Ein Buch über Resilienz und Fragilität, über Systeme, die wir erst zerstören und dann zu retten versuchen. Die Parallelen zur gebauten Umwelt drängen sich auf. →
Wer es architekturtheoretisch konkreter mag, greife zu Friedrich von Borries’ „Architektur im Anthropozän”. Der Hamburger Professor nimmt die Perspektive zukünftiger Archäologinnen ein und fragt, was unsere Bauten über uns verraten werden – nicht die Ikonen der Architekturgeschichte, sondern Serverparks, Schweineställe und Saatgut-Tresore. Eine unbequeme, notwendige Lektüre über die Verantwortung unserer Profession. →
Für Materialverliebte schließlich: Ákos Moravánszkys „Stoffwechsel” bei Birkhäuser, das Gottfried Sempers Konzept der Materialverwandlung neu untersucht – mit Beispielen von Aalto bis Zumthor. Ein bibliophiles Vergnügen. →
Sollten die Tage zwischen den Jahren doch eher nach digitalem Eskapismus verlangen, sei „Anno 117: Pax Romana”erwähnt – die neue Städtebausimulation von Ubisoft Mainz. Hier errichten Sie römische Provinzstädte ohne Bauanträge, ohne HOAI-Diskussionen und ohne Nachbarschaftsklagen. Dafür mit Legionen. Manchmal ist das genau die richtige Therapie.
Und zuletzt ein Geschenk für sich selbst: Der Eiermann 1E von Richard Lampert, die elektrisch höhenverstellbare Weiterentwicklung des Klassikers von 1953. Designer Tim Schütze hat Egon Eiermanns ikonisches Tischgestell behutsam ins 21. Jahrhundert überführt. Die charakteristische Silhouette bleibt, die Funktion wächst mit. Wer täglich am Schreibtisch arbeitet, verdient einen Klassiker, der mitdenkt. →
Ich wünsche Ihnen friedvolle Feiertage, erholsame freie Tage und einen guten Start ins neue Jahr. Möge 2026 uns Projekte bringen, die uns fordern und erfüllen – und Bauherren, die verstehen, dass gute Architektur Zeit braucht.
Mit herzlichen Grüßen
Stuart Stadler

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