
Ein Trauerspiel der verpassten Chancen
Nach vier Jahrzehnten in der Baubranche erlebe ich derzeit eines der größten Versäumnisse in der österreichischen Klimapolitik. Die Sanierungsrate stagniert seit 2015 bei läppischen 1,5 Prozent, während zur Erreichung der Klimaziele mindestens 2,5 Prozent nötig wären. Das im Regierungsprogramm verankerte Ziel von drei Prozent? Reine Utopie.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Während 2009 noch 55.000 Einheiten umfassend saniert wurden, waren es 2022 nicht einmal 18.000. Ein dramatischer Rückgang, der die Klimaneutralität bis 2040 in weite Ferne rücken lässt. 1,7 Millionen Gebäude gelten in Österreich als sanierungsbedürftig – eine gigantische Aufgabe, die wir sträflich vernachlässigen.
Systemversagen auf allen Ebenen
Das Problem liegt nicht nur in der Finanzierung, sondern im grundlegenden Systemversagen. Wolfgang Amann vom Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen kritisiert zu Recht: „Wir haben keine zuverlässige Information über den thermisch-energetischen Zustand unserer Gebäude, was eigentlich ein schlechter Witz ist.“ Drei verschiedene Energieausweis-Datenbanken in den Bundesländern statt einer bundesweiten Lösung – das ist österreichische Kleinstaaterei in Reinkultur.
Die Bauwirtschaft selbst trägt Mitschuld an dieser Misere. „Die Sanierung braucht höher qualifizierte Mitarbeiter, gleichzeitig ist damit eine geringere Wertschöpfung pro Mitarbeiter zu erreichen“, erklärt Amann die Realität. Solange Neubau lukrativer bleibt als Sanierung, werden Unternehmer ihre Kapazitäten entsprechend allokieren.
Die Illusion der Wirtschaftlichkeit
Besonders bitter ist die aktuelle Situation bei den Energiepreisen. „Mittlerweile hat das Gas fast einen Preis wie vor der Krise. Wenn man sich eine Sanierung also mit den eingesparten Energiekosten durchrechnet, sind die Investitionen damit nie und nimmer zu finanzieren“, stellt Amann nüchtern fest. Die Rückkehr zu niedrigen Gaspreisen macht Sanierungen aus rein wirtschaftlicher Sicht unattraktiv – ein Teufelskreis.
Hier zeigt sich die Kurzsichtigkeit unserer Energiepolitik. Anstatt langfristige Preissignale zu setzen, die Sanierungen rentabel machen, lassen wir uns von volatilen Märkten leiten. Die Gesellschaft muss von der Notwendigkeit der Gebäudesanierung überzeugt werden – doch wie, wenn die Zahlen dagegen sprechen?
Bürokratie als Innovationsbremse
Die österreichische Bürokratie erweist sich als massiver Hemmschuh. Typische Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer sind von einer umfassenden Sanierung überfordert. „Es ist eigentlich Bauträgergeschäft, die Gewerke zu koordinieren“, erklärt Amann die Komplexität. Während andere Länder One-Stop-Shops für Sanierungswillige etablieren, kämpfen österreichische Eigentümer mit einem Dschungel aus Vorschriften und Zuständigkeiten.
Die wohnrechtlichen Hürden im Geschoßwohnbau sind ein weiteres Ärgernis. Während Klimaschutzministerin Gewessler ambitionierte Ziele verkündet, scheitern Sanierungen in der Praxis an veralteten rechtlichen Strukturen.
Der verlorene Schwung von 2009
2009 wurde der Sanierungsscheck ins Leben gerufen und führte zu Höchstwerten bei den Sanierungszahlen. Bund und Länder überboten sich mit Förderungen, Bausparkassen fungierten kostenlos als Einreichstellen. Diese Dynamik ist völlig verloren gegangen. Heute herrscht Förderchaos statt koordinierter Offensive.
In den Jahren von 2005 bis 2012 wurden die Treibhausgasemissionen im Sektor Gebäude um ein Drittel gesenkt – das beweist, dass es funktionieren kann. Doch seither ist der Stillstand eingekehrt. Die Politik hat den Mut zu großen Würfen verloren.
Qualifikationsmangel als Strukturproblem
Die Bauwirtschaft steht vor einem Qualifikationsdilemma. Sanierungen erfordern spezialisierte Fachkräfte, die am Markt fehlen. Gleichzeitig ist die Wertschöpfung pro Mitarbeiter geringer als im Neubau. Ein klassisches Henne-Ei-Problem: Ohne Nachfrage keine Ausbildung, ohne Fachkräfte keine Qualität.
Die angekündigten Qualifikationsprogramme des Arbeitsmarktservice sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Hier bräuchte es eine groß angelegte Bildungsoffensive, die Sanierung als attraktives Berufsfeld etabliert.
Die Zukunft der österreichischen Sanierungspolitik
Amann zeigt sich optimistisch: „Es sei möglich, die Sanierungsrate bis 2025 um 1 Prozentpunkt auf 2,5% zu heben“. Diese Einschätzung teile ich nur bedingt. Ohne fundamentale Reformen wird auch 2025 ein Jahr der verpassten Chancen.
Notwendig wäre ein Sanierungspaket nach dem Vorbild von 2009: koordinierte Förderungen, vereinfachte Verfahren und vor allem ein gesellschaftlicher Konsens über die Notwendigkeit. Eine Steigerung des Produktionsvolumens um 60% von derzeit rund 10 Mrd. Euro auf rund 16 Mrd. Euro bis 2025 wäre durchaus realistisch – wenn der politische Wille vorhanden wäre.
Fazit: Zeit für ehrliche Bilanz
Österreich saniert tatsächlich viel zu wenig. Die 1,5-Prozent-Rate ist ein Armutszeugnis für ein Land, das sich als Klimavorreiter inszeniert. Solange wir Sanierung als Sahnehäubchen betrachten statt als systemrelevante Aufgabe, werden wir unsere Klimaziele verfehlen.
Die Wahrheit ist unbequem: Ohne radikale Änderungen in der Sanierungspolitik bleibt die Klimaneutralität bis 2040 ein frommer Wunsch. Die Zeit der Lippenbekenntnisse ist vorbei – jetzt braucht es Taten.

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