Baukunst - Rettung der Elbtower-Ruine: Hamburg bekämpft die Investoren-Katastrophe mit Museums-Traum
Elbtower? ©Baukunst.art

Hamburg bekämpft die Investoren-Katastrophe mit Museums-Traum

24.10.2025
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Claudia Grimm

Der Elbtower: Hamburgische Realitäten im Wandel

Der Hamburger Elbtower ist zum Sinnbild für die Widersprüche geworden, die große Bauprojekte im Norden prägen: Ehrgeiz trifft auf Realität, internationale Investitionen auf lokale Marktdynamiken, architektonische Visionen auf wirtschaftliche Grenzen. Seit zwei Jahren ragt die Betonruine über die Norderelbe und dokumentiert eine komplexe Geschichte über das Scheitern eines Prestigeprojekts – und möglicherweise über einen innovativen Weg, es zu bewahren.

Von der Vision zur Ruine: Das Elbtower-Desaster

Der österreichische Immobilieninvestor René Benko hatte eine Vision: Ein ikonischer Turm sollte Hamburgs Skyline prägen, ein 100-Meter-Hochbau mit exponierter Lage an der Elbe. Das Projekt verkörperte den Trend der 2010er Jahre, in dem wohlhabende europäische Metropolen von internationalen Investoren entdeckt wurden, die spektakuläre Landmark-Projekte realisierten.

Doch die Signa-Gruppe, Benkos Holding, geriet in finanzielle Schieflage. Im Oktober 2023, als die Arbeiten an der Höhe von etwa 100 Metern steckengeblieben waren, wurden die Zahlungen eingestellt. Seitdem erhebt sich das Rohbau-Skelett wie ein modernes Mahnmal über die Hafenstadt – ein Sichtbarmacher für die volatilen Finanzströme, die große europäische Städte durchqueren.

Dies ist nicht die erste spektakuläre Insolvenz in Hamburg, aber der Elbtower fällt anders aus. Im Gegensatz zu Bauvorhaben früherer Zeiten, bei denen bloße Planungsruinen entstanden, ist hier bereits eine erhebliche materielle Realität geschaffen worden, die Investitionen verkörpert, ohne vorerst einen Nutzen zu generieren.

Städtische Lösungen für Investorenprobleme

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte lange Zeit ausgeschlossen, dass sich die Stadt finanziell am Elbtower beteiligt. Doch 2025 zeigt sich ein pragmatischer Wandel: Die Stadt plant, Teile des Gebäudes für ihr geplantes Naturkundemuseum zu nutzen. Dies ist eine bemerkenswerte Wende in der städtischen Strategie.

Aus architektonischer und städtebaulicher Perspektive ist diese Lösung bemerkenswert: Statt des ehrgeizigen Finanzinvestitions- und Wohnungsbauprojekts, das Benko anstrebte, erhält Hamburg ein kulturelles Flaggschiff. Der Umbau zum Museum ist deutlich schneller realisierbar als ein Neubau, wie die Verwaltung betont. Dies mag zunächst paradox wirken – doch es offenbart die pragmatische norddeutsche Baukultur, die aus gescheiterten Projekten das Beste zu machen weiß.

Das Konsortium um den Immobilienunternehmer Dieter Becken verhandelt seit Dezember 2024 exklusiv mit dem Insolvenzverwalter Torsten Martini über den Kauf der Bauruine. Sollte die Hamburgische Bürgerschaft den Plänen zustimmen – was als sehr wahrscheinlich gilt – könnte Becken im Frühling 2025 mit dem Weiterbau beginnen.

Regionale Baukultur und Marktdynamiken

Der Elbtower-Fall wirft Fragen auf, die über Hamburg hinaus von Bedeutung sind. Im Kontext der norddeutschen Baulandschaft zeigt sich ein klassisches Spannungsfeld:

Einerseits steht Hamburg als wirtschaftliche Metropole unter kontinuierlichem Druck, architektonisch kompetitiv zu bleiben, sich als globale City zu positionieren. Internationale Investor*innen wie Benko waren in der Vergangenheit willkommen, weil sie große Investitionen versprachen. Andererseits zeigen gescheiterte Projekte wie der Elbtower die Risiken dieser Abhängigkeit von volatilen Kapitalströmen.

Die norddeutschen Bundesländer haben in ihren Landesentwicklungsplänen und Bauordnungen traditionell eine eher pragmatische Philosophie gepflegt – weniger hochfliegende Ambition, mehr Fokus auf solide Realisierung. Der Elbtower-Fall könnte diese Kultur in Frage stellen oder auch bestärken. Die Umwandlung in ein Naturkundemuseum könnte als Beispiel regionaler Resilienz interpretiert werden: Die Stadt passt sich an, löst ein ziviles Bedürfnis und rettet gleichzeitig eine Investition.

Regional betrachtet ist bemerkenswert, dass es ein lokales Konsortium ist, das nun die Verantwortung übernimmt – nicht eine weitere internationale Investorengruppe. Dies könnte als Hinweis verstanden werden, dass lokale Akteur*innen aus den Problemen von Überspekulation gelernt haben.

Lektionen für städtische Resilienz

Was sollte die Architektur- und Planungsfachschaft aus dem Elbtower-Fall lernen? Mehrere Punkte zeichnen sich ab:

Erstens verdeutlicht das Projekt die Notwendigkeit, Nutzungskonzepte von Anfang an für mehrere Szenarien zu durchdenken. Ein Hochhaus, das nur auf Investorenlogik basiert und keine kulturelle oder sozialen Ankerfunktionen besitzt, wird zum Risiko.

Zweitens zeigt Hamburg, dass Scheitern nicht das Ende bedeuten muss – sondern Ausgangspunkt für kreative Lösungen sein kann. Das Naturkundemuseum bietet dem Gebäude eine Bestimmung, die es vorher nicht hatte.

Drittens wirft der Fall Fragen zur Governance auf: Hätte eine stärkere Beteiligung städtischer Planungsinstanzen oder kultureller Institutionen von Anfang an zu anderen Ergebnissen führen können?

Schließlich zeigt sich die Bedeutung lokalen Knowhows. Das Becken-Konsortium kennt den Hamburger Markt, die administrativen Prozesse und die regionalen Besonderheiten – ein Aspekt, den internationale Investoren oft unterschätzen.

Perspektiven für das Projekt

Sollte die Bürgerschaft zustimmen – woran kein Zweifel besteht – wird der Frühling 2025 für Hamburg architektonisch bedeutsam. Der Umbau eines Investorentraums zur kulturellen Institution ist nicht nur ein pragmatischer Kompromiss, sondern möglicherweise ein Modell für andere europäische Städte, die ähnliche Probleme haben.

Der Elbtower wird dann nicht mehr als Mahnmal des Scheiterns da stehen, sondern als Beispiel städtischer Anpassungsfähigkeit. Wie sehr dies gelungen ist, wird sich zeigen, wenn das Naturkundemuseum seine Türen öffnet – ein Monument auf neue Weise: aus wirtschaftlichem Scheitern zur kulturellen Vollendung.