Baukunst-Hessens umstrittenes Leerstandsgesetz: Regulierung statt Lösungspolitik
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Hessens umstrittenes Leerstandsgesetz: Regulierung statt Lösungspolitik

24.10.2025
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Claudia Grimm

Die Symptombekämpfung

Mit hohen Bußgeldern gegen spekulativen Leerstand vorzugehen, klingt nach konsequenter Wohnungspolitik. Doch die hessische Landesregierung adressiert damit eher ein Symptom als die Krankheit selbst. Die Fakten sind eindeutig: 3,9 Prozent der hessischen Wohnungen stehen leer – etwa 122.000 Einheiten. In Frankfurt sind es rund 13.000, in Wiesbaden etwa 5.000. Diese Zahlen stammen allerdings aus dem Zensus 2022 und sind teilweise veraltet.

Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) verteidigt die Pläne mit dem Argument, dass es in zehn Jahren grüner Regierungsbeteiligung kein Leerstandsgesetz gab. “Die Menschen haben lange auf ein solches Gesetz gewartet”, zeigte sich der Minister überzeugt. Eine bemerkenswerte Aussage, wenn man bedenkt, dass die Menschen eigentlich auf neue Wohnungen warten – nicht auf neue Gesetze.

Regulierung statt Neubau

Dies ist der zentrale Kritikpunkt aller Experten der Wohnungswirtschaft, die in der parlamentarischen Anhörung zu Wort kamen: Das Leerstandsgesetz schafft keine einzige neue Wohnung. Im besten Fall verschiebt es Bestandswohnungen vom Leerstand in die Vermietung – eine verteilende Maßnahme, nicht eine schöpfende. Für eine Region wie der Rhein-Main-Region mit chronischer Wohnungsknappheit ist dies ein fundamentales Defizit.

Die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) warnt zurecht davor, dass Investitionen in bestehende Wohnungen durch die neuen Regelungen erschwert werden. “Spekulativer Leerstand von Wohnraum ist die absolute Ausnahme auf dem Wohnungsmarkt”, stellt Thomas Reimann, Vizepräsident der VhU, klar. Eine Beobachtung, die nahegelegene: Wer spekuliert auf Leerstand, wenn man damit ohnehin kaum Rendite macht? Das klassische Leerstandsproblem entsteht nicht durch Spekulation, sondern durch Sanierungsbedarf, Erbstreitigkeiten oder tatsächlich reguläre Fluktuationsvakanzien.

Die administrative Belastung

FDP-Fraktionschef Stefan Nass nennt das geplante System zu Recht ein “Bürokratiemonster”. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt Satzungen erlassen dürfen, die spekulativen Leerstand vermeiden sollen. Damit erhalten sie umfangreiche Befugnisse: Sie dürfen Daten erheben, Vermieter befragen, in Wohnungen eindringen und anordnen, dass ungenutzte Einheiten wieder vermietet werden.

Für kleine Vermietungen und Privatpersonen wird dies zur administrativen Last. Ein Architekt, der sein Haus saniert, ein Erbe, der noch nicht entschieden hat, was mit der geerbten Wohnung geschieht – beide geraten unter Druck. Die Ausnahmeregelungen sind zwar vorgesehen (Erbstreitigkeiten, wirtschaftliche Unzumutbarkeit von Sanierungen, öffentliche Interessen), doch wer trägt die Beweislast? Die Praxis wird zeigen, wie restriktiv Kommunen diese Vorschriften handhaben.

Marktdynamik braucht Leerstand

Ein oft übersehener Punkt: Immobilienmärkte funktionieren nur mit einem gewissen Maß an Leerstand. Niemand kann in eine Wohnung einziehen, die nicht leer ist. Ein Vakanzquote von 3-5 Prozent gilt in der Stadtplanung als gesund, weil sie Mobilität ermöglicht. Zu aggressives Vorgehen gegen Leerstand kann paradox wirken: Es verteuert das Umziehen und reduziert Wohnungswechsel – was gerade für Familien mit wachsenden Kindern problematisch ist.

Die Grünen sehen zu viele Schlupflöcher

Von links kommt eine andere Kritik: Die Grünen monieren zu viele Ausnahmeregelungen. “Was uns CDU und SPD heute vorgelegt haben, ist löchrig wie ein Schweizer Käse”, kritisierte Mirjam Glanz. Die Fraktion fordert ein schärferes Vorgehen und möchte zudem den Schutz vor Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen stärker gesetzlich verankern – eine berechtigte Sorge angesichts der Realität in der Rhein-Main-Region, wo Haushalte mit geringem Einkommen zunehmend verdrängt werden.

Hier offenbaren sich die strukturellen Grenzen des Gesetzes: Es adressiert Leerstand, nicht Verdrängung. Wenn Wohnungen saniert und dann zu höheren Mieten vermietet oder in Eigentumswohnungen umgewandelt werden, ist das formal legal – auch wenn es zum selben Problem führt wie Leerstand: Menschen finden keine bezahlbaren Wohnungen.

Wiesbaden als Vorreiter – ein Feldversuch

Die Landeshauptstadt Wiesbaden bereitet bereits eine entsprechende Satzung vor, um handeln zu können, sobald das Gesetz beschlossen ist. Dies ist eine wichtige Chance zu beobachten, wie die Regulierung in der Praxis funktioniert. Werden tatsächlich Wohnungen aktiviert? Oder laufen Vermietungen und Verwaltung ins Leere? Die Antworten werden zeigen, ob dieses Instrument taugt.

Was wirklich hilft: Neubau und Planung

Während sich die Debatte um Leerstandssatzungen dreht, bleibt die zentrale Aufgabe ungelöst: Hessen und die Rhein-Main-Region brauchen Tausende neue Wohnungen, nicht Regulierung von Bestand. Die FDP hingegen argumentiert, dass “fast alle Experten der Wohnungswirtschaft” während der Anhörung vor dieser Regulierung gewarnt haben – nicht weil sie gegen Leerstandbekämpfung sind, sondern weil sie Investitionen abschreckt.

Was Hessens Wohnungsmarkt wirklich bräuchte: Vereinfachte Baugenehmigungsverfahren, stärkere Förderung von Neubau, eine konsistente Flächenpolitik und klare Anforderungen an Gemeinden zur Ausweisung von Bauland. Solche Maßnahmen würden tatsächlich neue Wohnungen schaffen – und damit Druck vom Markt nehmen. Wer genügend Angebot hat, spekuliert nicht.

Fazit: Ein Instrument mit Grenzen

Das hessische Leerstandsgesetz ist auf sieben Jahre befristet – eine Vorsichtsmaßnahme, die Sinn ergibt. Es könnte helfen, eine kleine Menge vergeblich leergehaltener Wohnungen auf den Markt zu bringen. Damit die Menschen in Hessen aber wirklich Wohnungen finden, braucht es mehr: Neubau, Planung, Investition. Regulierung allein wird das Wohnungsproblem nicht lösen. Sie kann es auch nicht. Ein gutes Gesetz weiß um seine eigenen Grenzen.